Adieu altes Bürgertum. Stattdessen endlich Familie und endlich Werteorientierung.
1. November 2012 von moritatensaenger
Äh? Wenn Sie diese Headline zweimal lesen mussten, dann ging es Ihnen wie mir, als ich am letzten Wochenende die Titelseite der SZ vor mir liegen hatte. Da stand ganz eindeutig, dass sich das Bürgertum gewandelt habe und es also deshalb jetzt über etwas verfüge, das ihm vorher fehlte…
Wenn Sie sich also bis jetzt - als SZ-Leser vermutlich sowieso heimlich - als Angehöriger des Bürgertums betrachteten, dann wissen Sie nun, was Sie nicht waren und sind - familiär nämlich - und was Ihnen grundsätzlich fehlt - die Orientierung an Werten. Und weil man sich in München für diese erstaunliche These zum Bundesbürger dann doch vorsichtshalber einen adäquaten Zeugen an Bord holen wollte, interviewte man Heinz Bude, welcher als Soziologe u.a. beim linken Hamburger Institut für Sozialforschung tätig ist. Und der kann dann tatsächlich auch etwas…Dunkel ins Licht bringen. Im Interview auf Seite 7 [1] beantwortet er nämlich die Fragen der SZ (Interviewer: Jan Heidtmann) folgendermaßen…
“[SZ:] Wie würden Sie das neue Bürgertum beschreiben?
[Bude:] Ich glaube, es sind drei Elemente: Bürger zu sein heißt heute, eine Familiale Genealogie begünden zu wollen, also einen Familiensinn zu haben. Bürger zu sein heißt, eine Art von ständischer Verpflichtungsstruktur zu haben, also mit Leuten der der eigenen Art gut auskommen zu können. Und Bürger sein heißt drittens, irgendeine Art von Allgemeinheitsbezug für sich zu akzeptieren.
[SZ:] Was meinen Sie mit Allgemeinheitsbezug?
[Bude:] Es geht darum, ein Leben von Bedeutung zu führen. Nicht ständig von Werten zu reden, sondern sich durch sein Handeln zu bewähren. Und so eine Alltagsmoral zu begründen.
[SZ:] Also den Müll sauber zu trennen, ein Auto mit Hybridantrieb zu fahren und Milch von glücklichen Kühen zu trinken? Das hat nur wenig mit klassischem Bürgertum zu tun.” (Hervorhebung Moritatensaenger)
Ah ja. Das neue Bürgertum, also. Im Unterschied zum bestehenden, veralteten. Ja also, da kann man nur sagen: Wieder einmal ein Produkt herausragender journalistischer Arbeit und brillianten wissenschaftlichen Geistes in unserer SZ. Und zwei Seiten Papier, die zumindest in unserem Waldhäusl geeigneterer Verwendung zugeführt werden können.
Update:
Jetzt hab ich doch noch eine Frage. In diesem aktuellen Artikel auf Süddeutsche-Online…
…schreibt der Autor…
“Die Hintergründe der Tat in dem bürgerlichen Milieu seien noch unklar.”
Ist damit jetzt das alte bürgerliche Milieu gemeint, oder das neue mit den Werten?
Mit tönendem Gruß
Peter Zangerl alias Moritatensaenger
[1] Süddeutsche Zeitung; Samstag/Sonntag, 27./28. oktober 2012, Nr 249; Seiten 6/7
1 Reaktion zu “Adieu altes Bürgertum. Stattdessen endlich Familie und endlich Werteorientierung.”
Der Bürgertumsforscher Heinz Bude hat aber in der Tat ein neues Merkmal des heutigen Bürgertums entdeckt, nämlich den Hang zur - mit der Selbstsicherheit des Experten eingeführten - Familialen Genealogie.
In der Tat dürfte allen Vorgängern Budes diese neue Qualität des bürgerlichen Familensinns entgangen sein, wie die NULL Treffer bei Google vermuten lassen.
Die überraschten Bürger, die sich vielleicht fragen, ob das ansteckend oder erblich ist und im Internet nichts dazu finden, mögen indes hoffen, Bude habe das nur erfunden, um seine trübe Soziologiebrühe mit der Vokabel ein wenig aufzupeppen.