“Ich bleibe Rebellin, bis zum Sieg oder bis zum Tod”
21. Oktober 2012 von Jaspis
Es ist eine Story wie aus dem SZ-Bilderbuch. Sie handelt von einer edelmütigen jungen Frau, die auszog, um gegen die Ungerechtigkeit zu kämpfen.[1]
Nijmeijer war 2000 zum ersten Mal nach Kolumbien gekommen. In Pereira, einer schwül-warmen Stadt in der Kaffeezone des Landes, machte sie ein Praktikum an einer Privatschule. Sie brachte den Söhnen und Töchtern wohlhabender Unternehmer Englisch bei. In ihrer Freizeit besuchte sie die barrios populares, die Slums der Stadt. Nijmeijer, so erzählen es ihre ehemaligen Kollegen, litt an der krassen Ungleichheit zwischen Arm und Reich in Kolumbien. Sie suchte Kontakt zur Guerilla.
Sie reiste zurück nach Holland, machte ihren Abschluss und kehrte dann zurück, um ihre heroischen Pläne zu verwirklichen.
Als Tarnung arbeitete sie tagsüber als Englischlehrerin, nachts sprengte sie in Bogotá Geschäfte und Polizeistationen in die Luft. “Mit der Farc zu arbeiten, heißt Bomben zu legen”, erklärte Nijmeijer Jahre später in einem Interview.
Ja, so lustig ist das Guerilla-Leben. So lustig, dass sich Frederik Obermaier offenbar schier nicht erklären kann, warum dieses Lichtwesen, das so sensationell “mit der kolumbianischen Regierung über Bedingungen für ein Ende des Bürgerkriegs sprechen” - oder jedenfalls als Dolmetscherin fungieren soll, per internationalem Haftbefehl gesucht wird. Ok, ein paar Entführungen gehen wohl auch auf ihr Konto:
sie soll an der Entführung von drei Amerikanern beteiligt gewesen sein. Einer von ihren beschrieb Nijmeijer nach seiner Freilassung als kaltblütige “Möchtegern-Revolutionärin”. Auf die Frage was bei einem Befreiungsversuch mit ihm geschehe, habe sie geantwortet: “Wir töten jeden.” [Hervorhebung: Jaspis]
Dieser Wahrheit kommt Obermaier zumindest auf halber Strecke entgegen, auch hier aber mit der betonten Zurückhaltung:
Sie hat Bomben gelegt und mutmaßlich auch Menschen getötet. [Hervorhebung: Jaspis]
Aber nichts Genaues weiß man ja nicht. Denn nichts, was die schöne Holländerin
tut oder getan hat, scheint den schmachtenden SZ-Schreiber[2]
dazu veranlassen, es auch als das zu bezeichnen, um was es sich handelt. Sie ist bei ihm “Farc-Partisanin”, “Rebellin”, “Kämpferin für die Schwachen”. Nur eines nicht: Terroristin. So, wie auch ihre Organisation, die FARC, “Rebellen” sind, “Guerilla” - aber doch keine Terror-Organisation. Und doch stufen etwa Kolumbien, die USA und die Europäische Union[3] die FARC als Terrororganisation ein. Doch davon will Frederic Obermaier nichts wissen. Nichts davon, dass die FARC sich zwar rühmen, auf der Seite der einfachen Leute zu stehen, gleichzeitig aber gerade sie schädigen, wenn es um die FARC-eigenen Interessen geht. Etwa durch den Einsatz der verbotenen Landminen:[4]
Der Einsatz von Antipersonenminen durch die Guerilla hat verheerende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung Kolumbiens, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die Anzahl der Opfer ist in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Dies ist hauptsächlich auf den wachsenden Einsatz von Landminen durch die Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) zurückzuführen.
Antipersonenminen können mit billigem, leicht erhältlichem Material einfach hergestellt werden. Die FARC rechtfertigt die Verwendung von Landminen damit, dass die Produktionskosten niedrig sind. Landminen seien die „Waffen der Armen“. Auch wenn die meisten Todesfälle durch Landminen im Militär zu verzeichnen sind, verletzen die Minen jährlich auch Hunderte von Kolumbiens ärmsten und verletzlichsten Bürgern.
„Indem die FARC Landminen einsetzt, lässt sie kolumbianische Zivilisten, die nichts mit dem Konflikt zu tun haben, verstümmelt, blind, taub oder tot zurück“, so José Miguel Vivanco, Leiter der Amerika-Abteilung von Human Rights Watch. „Es gibt einfach keine Entschuldigung für den Einsatz von Waffen, die willkürlich töten.“ [Hervorhebungen: Jaspis]
Wenn sie durch eine Landmine verletzt werden, hat dies schwere Auswirkungen auf das gesamte Leben der Opfer. Der Unfall verursacht nicht nur körperliche Verletzungen, sondern oft auch psychische Schäden. Die Betroffenen haben Schwierigkeiten, für sich und ihre Familien zu sorgen und zu Hause zu bleiben.
„Ich lebe sterbend”, sagte ein etwa 50-jähriger Bauer, der ein Bein und einen großen Teil seines Augenlichts verlor, als er in dem Bundesstaat Santander auf eine Landmine trat. „Jetzt lebe ich von Almosen und von dem Essen, das meine Kinder mir geben…Ich war die letzten drei Jahre krank, und dennoch sterbe ich nicht.“
Der Bericht von Human Rights Watch dokumentiert zudem den Einsatz von anderen Waffen durch die FARC, wie zum Beispiel Gasflaschenbomben in von Zivilisten bewohnten Gebieten. Es ist unmöglich, die Bomben gezielt einzusetzen. Regelmäßig treffen sie zivile Ziele wie Häuser und Kirchen und verletzen oder töten Zivilisten. [Hervorhebungen: Jaspis]
Auch interessiert es Frederik Obermaier offenbar nicht die Bohne, wen die FARC außer hübschen Holländerinnen mit dem großen Herzen für die notleidende Zivilbevölkerung noch für sich kämpfen lässt:
“Die Vereinten Nationen haben festgestellt, dass sowohl die Guerillas als auch die Paramilitärs grundlegende humanitäre Normen verletzen, indem sie Kinder im bewaffneten Kampf einsetzen,” sagte José Miguel Vivanco, Direktor bei Human Rights Watch. “Diese schrecklichen Praktiken fügen den Kindern in Kolumbien und auch der Gesellschaft als Ganzes unermesslichen Schaden zu.”
Human Rights Watch schätzt, dass mehr als 11.000 Kinder im bewaffneten Konflikt in Kolumbien kämpfen, eine der höchsten Raten weltweit. Zumindest einer von vier irregulären Frontkämpfern in Kolumbien ist unter 18 Jahre alt. Mehrere tausend davon sind unter 15 Jahren, dem Mindestalter für Rekrutierung durch Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen nach den Genfer Konventionen.
Viele Kinder treten wegen Nahrung und körperlichem Schutz in die Verbände ein, um häuslicher Gewalt zu entkommen, oder wegen des Versprechens von Geld. Einige werden mit Waffengewalt zum Eintritt gezwungen, oder treten aus Angst ein. Schon Kinder im Alter von 13 werden in der Handhabung von Sturmgewehren, Granaten und Mörsern unterrichtet.
Kindersoldaten nehmen auf Befehl oft an willkürlichen Hinrichtungen, Folter, Mord, Entführungen, und Angriffen auf Zivilisten teil. Sie sind auch Krankheit, körperlicher Erschöpfung, Verletzung, plötzlichem Tod und Folter in Feindeshand ausgesetzt. Kinder, die versuchen zu fliehen und zu ihren Familien zurückkehren, laufen Gefahr, hingerichtet zu werden.
Der Bericht des Generalsekretärs beschreibt auch andere Fälle des Missbrauchs von Kindern durch die illegalen bewaffneten Gruppen in Kolumbien, darunter Vergewaltigungen und Tötungen. Besonders hebt der Bericht die Ermordung eines im Jahr davor entführten 15-jährigen Mädchens durch die FARC im September 2004 hervor.
“Die FARC haben keine Bereitschaft gezeigt, die Ausbeutung und Schädigung von Kindern zu beenden,” sagte Vivanco. “Im Gegenteil, der Missbrauch scheint sich noch verschlimmert zu haben.”[5] [Hervorhebungen: Jaspis]
Der UN-Sicherheitsrat weist in seinem jüngsten Bericht darauf hin, dass es in Kolumbien rund 14.000 Kindersoldaten gibt. Die Minderjährigen werden von der Terror-Organisation FARC und anderen paramilitärischen Gruppen als Spione, logistische Assistenten und Sexsklaven missbraucht. Der Rat bezeichnete die Aktivitäten als “Verbrechen gegen die Menschlichkeit”.(…)
Mädchen werden als “Bräute” genutzt, vergewaltigt und zur Abtreibung gezwungen. Viele von ihnen müssen sich prostituieren, werden sexuell verstümmelt oder versklavt. Bereits Kinder ab sechs Jahren werden als Spione und zum Transport von Drogen und Sprengstoff eingesetzt, 10-jährige sind mit nachrichtendienstlichen Arbeiten beschäftigt. [7] [Hervorhebung: Jaspis]
All das stört Frederik Obermaiers Schwarm offenbar eher weniger. Ihre Sorgen kreisen um wesentlichere Themen:
Ihr romantischer Traum vom Leben als Rebellin, als Kämpferin für die Schwachen, wich jedoch der Realität. Sie schien zu begreifen, dass die Farc längst keine arme Bauernarmee mehr sind, sondern eine Gruppe, die sich mit Drogenhandel und Entführungen finanziert. “Ich weiß nicht, wohin dieses Projekt führt”, schrieb sie in ihr Tagebuch. “Wie wird es sein, wenn wir an der Macht sind? Die Frauen der Kommandanten in Ferrari Testarossas, mit Brustimplantaten, Kaviar speisend?”
Das muss einem SZ-Schreiberling als ehrliche Kritik am kolumbianischen Dschungel-Camp genügen. Und mehr Recherche oder gar Leserinformation muss auch nicht sein, wenn der unterdrückte Rebell aus dem Politwissenschaftler herausbricht und seiner Heldin huldigt.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/farc-partisanin-tanja-niemeijer-dschungelkaempferin-aus-den-niederlanden-1.1500472
[2] http://kress.de/kresskoepfe/kopf/profil/23024-frederik-obermaier.html
[3] http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2007:340:0109:0114:EN:PDF die FARC
[4] http://www.hrw.org/de/news/2007/07/24/kolumbien-einsatz-von-landminen-durch-guerilla-fordert-zivile-opfer
[5] http://www.hrw.org/de/news/2005/02/21/kolumbien-bewaffnete-gruppen-schicken-kinder-den-krieg
[6] http://www.n-tv.de/mediathek/bilderserien/politik/Der-Missbrauch-an-Kindersoldaten-article740026.html
[7] http://latina-press.com/news/118937-in-kolumbien-gibt-es-14-000-kindersoldaten/