“Eine typisch deutsche Geschichte”
27. September 2012 von Jaspis
In diesen Tagen schließt das Versandhaus Neckermann seine Pforten. Ein Traditionhaus schließt. Anlass für Hans-Jürgen Jakobs, seine Art der Heldenverehrung zu präsentieren.[1]
Eine Ikone, das kann zwar auch eine Legende sein, ein Mythos. Landläufig wird der Begriff “Ikone” aber überwiegend für Einzelpersonen verwendet. “Pop-Ikone Madonna” etwa.[2] Oder “Stilikone Michelle Obama”.[3]
Wenn Hans-Jürgen Jakobs nun vom “Ende einer Ikone” in Bezug auf Neckermann spricht, wird zunächst nicht ganz klar, was oder wen er eigentlich meint: Das Versandhaus oder dessen Namensgeber Josef Neckermann. Da Josef Neckermann längst gestorben ist, während das Versandhaus jetzt schließt, wäre es logisch, dass das Versandhaus gemeint ist. Tatsächlich aber verkommt Hans-Jürgen Jakobs Artikel zu einer Hommage an Josef Neckermann, vor allem wenn er schwelgt:
Vergessen waren Krieg und Hunger, seit es all die schönen Produkte in seinem Katalog zu bestaunen gab: Josef Neckermann war der Star der Wirtschaftswunderjahre. Der Versandhändler hat den Wohlstand demokratisiert und gewann als Dressurreiter Goldmedaillen. Doch er war auch: NSDAP-Mitglied. Nun werden die Reste seines Imperiums abgewickelt.
Ja, solch ein Held war er, der Josef Neckermann. Na gut, NSDAP-Miglied war er auch.
Neckermann schrieb selbst in seiner Autobiografie über die Nazi-Jahre: “Ich hatte nicht das geringste Bedürfnis, in Schwierigkeiten zu geraten.” Die meisten Deutschen hatten dafür Verständnis. Wer war schon Widerstandskämpfer?
Na, eben. Und so genügt Hans-Jürgen Jakobs auch der lapidare Hinweis am Rande:
Die “nivellierte Mittelstandsgesellschaft” (Helmut Schelsky), die soziologische Beschreibung des Ludwig-Erhard-Wohlstands-für-alle, produzierte die neuen Ikonen wie Josef Neckermann (1912 bis 1992), den “Necko”, den Möglichmacher. Der hatte im “Dritten Reich” ganz ordentlich von Arisierungen profitiert und das väterliche Handelsgeschäft so ausgebaut; unter den zum NS-Niedrigtarif übernommenen Besitztümern war auch die Firma des Großvaters von Billy Joel, dem US-Sänger.
Tatsache ist aber - und sollte auch erwähnt werden - dass das Versandhaus nicht von Neckermann gegründet wurde, sondern von Karl Amson Joel, dem Großvater von Billy Joel, dem “Piano Man”. Die Formulierung “zum NS-Niedrigtarif übernommene Besitztümer” ist geradezu eine Ohrfeige für den verfolgten, drangsalierten und letztlich vertriebenen Firmengründer.
Ein bisschen mehr Informationen hätte man dazu schon erwarten können. Die wären auch für einen Hans-Jürgen Jakobs unschwer zugänglich gewesen, etwa in der Chronik, die auf der deutschen Fanseite Billy Joels (den Jakobs aber leider nur als “US-Sänger” kennt) www.piano-man.de zu finden ist. Daraus:[4]
In den 20er Jahren hatten sich der Nürnberger Karl Amson Joel und seine Frau 10.000 Reichsmark zusammengespart. Mit diesem bescheidenen Vermögen gründeten sie einen Wäscheversand. Ganz klein fing man an: Die Vier-Zimmer-Wohnung in der Uhlandstraße diente anfangs gleichzeitig als Büro und Firmensitz. Karl und Meta Joel machten alles selbst, packten die Ware von Hand ein und fuhren dann die Päckchen und Pakete zur Post, erst mit dem Leiterwagen, später mit dem Auto.
Doch die eigentliche Gründung der Firma, die nun pleite ist, interessiert einen Hans-Jürgen Jakobs anscheinend ebensowenig wie das weitere Schicksal der Familie Joel, auch wenn es das traurige Schicksal einer aufstrebenden deutschen Unternehmerfamilie.
In kurzer Zeit hatte Joel es geschafft: Sein Versandhaus zählte neben Witt in Weiden und Schickedanz in Fürth zu den Großen der Branche. Es hätte eine Firmen-Erfolgsgeschichte wie aus dem Bilderbuch werden können, wäre in Deutschland nicht bereits das dunkelste Kapitel der Geschichte angebrochen - wovon die Familie Joel in zweifacher Hinsicht betroffen war: Karl Amson Joel war Jude, und er hatte sich als Firmensitz ausgerechnet Nürnberg ausgesucht, die Stadt des berüchtigten “Franken-Führers” Julius Streicher, der seit 1923 mit der Hetzschrift “Der Stürmer” seine Haßparole “Die Juden sind unser Unglück!” in ganz Deutschland verbreitete.
In Berlin hoffte Joel, den Hasstiraden Streichers entgegen zu können und verlegte Wohn- und Firmensitz 1934 dorthin.
Die Joels wohnten in einer geräumigen Villa in Charlottenburg, aber trotz anhaltenden geschäftlichen Erfolgs fühlten sie sich auch in Berlin zunehmend unwohler. Die Schikanen der Nazis wurden von Tag zu Tag schlimmer. Karl Joel mußte einen sogenannten Arier in die Geschäftsleitung nehmen, Kundenpakete wurden mit einem großen “J” (für Jude) versehen, und bald durfte man auch nicht mehr in Zeitungen inserieren.
Obwohl das Versandhaus weiter expandierte, sah Karl Joel sich schließlich gezwungen, mit seiner Familie in die Schweiz zu emigrieren.
Hier wird deutlich, was Hans-Jürgen Jakobs so putzig mit “Der hatte im “Dritten Reich” ganz ordentlich von Arisierungen profitiert und das väterliche Handelsgeschäft so ausgebaut; unter den zum NS-Niedrigtarif übernommenen Besitztümern war auch die Firma des Großvaters von Billy Joel, dem US-Sänger.” umschreibt:
Profiteur der Nazi-Pogromhetze wird ein geschäftstüchtiger, junger Mann: Josef Neckermann, der spätere Herrenreiter und Versandhauskönig. Ihm war es in den 30er Jahren im heimischen Würzburg zu eng geworden, und daher suchte er nun in Berlin nach einem günstigen Schnäppchen. In Neckermanns Autobiographie “Erinnerungen” liest sich sein widerliches Geschäftsgebaren folgendermaßen harmlos: “Ich bat meinen Schwiegervater, sich umzuhören, ob nicht vielleicht irgendwo ein Versandhaus zum Verkauf anstünde. Etwa drei Millionen wollte ich dafür ausgeben. Brückner hatte sonst nichts zu tun und kümmerte sich nach wie vor rührend um das unternehmerische Fortkommen von Josef Neckermann. Nicht ganz uneigennützig, aber immerhin. So kam er mit den Bankhäusern Hardy & Co. sowie der Reichskredit ins Gespräch. Als Brückner eines Tages anrief und mir sagte, daß Karl Amson Joel seine Wäschemanufaktur und das Versandhaus verkaufen wollte, war ich Feuer und Flamme. Jahresumsatz etwa vier Millionen. Das war im Frühsommer 1938.”
Für Neckermann erwies sich die Zwangslage Joels, der schon in die Schweiz emigriert war, als Glücksfall. So zahlte er etwa für das Inventar, das mit ca. 200.000 Reichsmark bewertet worden war, nur 5.300 Mark. Von dem vereinbarten Kaufpreis von 2,3 Millionen Mark bekam Karl Joel so gut wie nichts zu sehen, da man das Geld auf sein Sperrkonto überwiesen hatte. In einem jahrelangen Rechtsstreit mußte Karl Joel nach dem Krieg gar noch um sein Vermögen streiten.
Für Jakobs nicht der Rede wert. Doch war es
Eine typisch deutsche Geschichte, die gerade deshalb so erschreckend ist, weil die Transaktion so unspektakulär geschäftsmäßig abgewickelt wird. Neckermann bezieht mit seiner Familie die Villa der Joels und übernimmt sogar einen großen Teil der Einrichtung. Seine Memoiren lesen sich dann auch streckenweise wie Rechtfertigungsversuche ohne jedwede Selbstzweifel. - Sprache ist verräterisch. “Um die Entwicklung meiner Betriebe brauchte ich mich im Moment nicht zu sorgen. Noch liefen sie wie geschmiert. Doch ich bin kein Mensch, der sich in Illusionen wiegt. Bewirtschaftung, Kontingentierung… du mußt dir etwas einfallen lassen, hielt ich mir immer wieder vor: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit!”
Ein Motto, das sich auch Hans-Jürgen Jakobs auf die Fahnen geschrieben zu haben scheint, wenn er die Schließung des Versandhauses lediglich als Aufhänger für die Huldigung für seinen Helden Josef Neckermann benutzt und damit nicht nur einen Teil der Firmengeschichte, sondern auch einen Teil der deutschen Geschichte mal eben so unter den Tisch kehrt.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/neckermann-ende-einer-ikone-1.1479761
[2] http://www.sueddeutsche.de/panorama/nach-engagement-fuer-pussy-riot-sprachrohr-putins-beschimpft-madonna-1.1437098
[3] http://www.sueddeutsche.de/leben/michelle-obama-auf-reisen-first-vorzeigefrauen-1.1022220
[4] http://www.piano-man.de/archiv/detail.asp?ID=185&Artikel_ID=joel-chronik