Das große Schweigen
26. September 2012 von Jaspis
Nun ist er in der Welt, der vor der Sommerpause angekündigte Gesetzesentwurf, der die Beschneidung von Knaben straffrei stellen soll.
Heribert Prantl, Dr. jur., stellte ihn vor.[1] So korrekt und nüchtern wie ein Autofahrer nach drei Bier, der exakt 49,6 km/h in der Ortschaft fährt, um nur ja nicht aufzufallen:
Eine Beschneidung, die mit Einwilligung der Eltern und nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen wird, bleibt danach zwar eine Körperverletzung - ist aber nicht rechtswidrig und damit nicht strafbar.
Die Beschneidungs-Regeln sollen nicht im Strafrecht stehen, sondern im Kindschaftsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs: An die Paragrafen 1631 bis 1631c BGB, die den “Inhalt und die Grenzen der Personensorge” regeln, wird ein Paragraf 1631d angehängt, der klarstellt, dass Eltern unter bestimmten Voraussetzungen in die Beschneidung ihres Sohnes einwilligen können.
Das Gesetz stellt ausdrücklich nicht auf eine religiöse Motiviation der Eltern ab. Die Rechtspraxis sähe sich sonst, so heißt es in den amtlichen Papieren, “vor die schwierige Aufgabe gestellt, den Inhalt religiöser Überzeugungen ermitteln zu müssen”. Eltern können ja, so heißt es weiter, “die weltweit stark verbreitete Beschneidung ihres Sohnes aus unterschiedlichen Gründen für kindeswohldienlich halten”. Eine Regelung allein für eine religiös motivierte Beschneidung von Jungen würde den unterschiedlichen Zielsetzungen von Beschneidungen daher nicht gerecht.
In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen sie die Beschneidung vornehmen, “wenn sie dafür besonders ausgebildet sind und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind”.
Heribert Prantl, SZ-Kommentarschreiber, (von manchen jedenfalls) hochgepriesener Rechtsstaats-Schützer, der einen Kommentar zu brisanten Themen meist schon geschrieben hat, bevor die Meldung aus dem Ticker kommt, kommentiert den Gesetzesentwurf: Bislang gar nicht. Warum? Reibt er sich gar nicht daran, dass nun plötzlich jeder, aber wirklich jeder Anlass Grund für eine Manipulation des kindlichen Körpers sein kann, begrenzt gerade noch durch das “Kindswohl”? Jeder, der wenigstens am Rande schon einmal mit dem elterlichen Sorgerecht zu tun hat, weiß, wie schwer greifbar dieser Begriff ist. Wo endet es? Erst wenn das Kind durch den Eingriff stürbe? Oder auch schon, wenn ihm relevante Körperfunktionen weg- oder überflüssige hinoperiert werden? Eine religiöse Begründung braucht es nicht mehr. Dabei genießt die Religionsfreiheit wenigstens noch Grundrechts-Schutz. Absurde Asthetik-Vorstellungen von Eltern nicht. Die bekommen ihren Freibrief aber genauso. Stört es Prantl nicht, dass hier eine Beschränkung auf Knaben stattfindet, die, weil ja die religiösen Gründe nicht vorliegen müssen, keine Berechtigung mehr hat? Wer schützt die Mädchen vor Beschneidungen, die der Bundestag doch eigentlich ausdrücklich ablehnt? Was ist aus der Gleichbehandlung geworden? Was will der Bundestag den Eltern von Mädchen sagen, die ihre Tochter nun auch ganz “kindswohlgerecht” beschneiden lassen wollen - selbstverständlich “nach den Regeln der ärztlichen Kunst” (wenn auch nicht mehr zwingend von einem Arzt) und mit “gebotener und wirkungsvoller Schmerzbehandlung”?
Ein anderer hat einen Kommentar geschrieben, Matthias Drobinski.[2]
Spätestens jetzt hätte ein echter Staatsrechtsschützer aufschreien und einen deftigen Gegenkommentar verfassen müssen.
Der Gesetzentwurf von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zur religiös motivierten Beschneidung von Knaben ist unpräzise - zum Glück. Er macht das beste, was ein Gesetzgeber nach dem Kölner Urteil tun kann. Er gibt einen Rahmen vor, füllt ihn aber nicht. Das müssen andere tun.
schreibt Matthias Drobinski, der bei der SZ zuständig ist für Religionsthemen (obwohl der Gesetzesentwurf ja gar kein Religionsthema mehr sein will), und der zwar Geschichte, Katholische Theologie und Germanistik studiert hat, aber nicht Jura. Was aber hilfreich gewesen wäre. Denn dort hätte er etwas gelernt über den Bestimmtheitsgrundsatz. Wer den Begriff nicht kennt, dem hilft, frei zugänglich, schon Wikipedia weiter:[3]
Der Bestimmtheitsgrundsatz hat in verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedliche Bedeutungen. Im Staatsrecht ist er eine Ausprägung des im Deutschen Grundgesetz garantierten Rechtsstaatsprinzips.
Aha. Der Bestimmtheitsgrundsatz hat also etwas mit dem Rechtsstaatsprinzip zu tun. Und weiter:
Der Bürger muss erkennen können, welche Rechtsfolgen sich aus seinem Verhalten ergeben können. Die staatliche Reaktion auf Handlungen muss voraussehbar sein, andernfalls wäre der Bürger der Willkür des Staates ausgesetzt. [Hervorhebung: Jaspis]
Doch weil Matthias Drobinski offensichtlich noch nicht einmal das Wort “Bestimmtheitsgrundsatz” kennt und sich im Hause SZ anscheinend auch keiner gefunden hat, der ihm da einen Tipp hätte geben können, konnte er natürlich auch bei Wikipedia nicht fündig werden und so trällert er so leicht dahin, was einem Staatsrechtler die Haare zu Berge stehen lässt:
Zum Glück unpräzise
Und Heribert Prantl?
Schweigt.
Update 28.09.2012 15:20 Uhr:
Zumindest einen gibt es im Haus der SZ, der doch noch mitgedacht hat: Markus C. Schulte vom Drach.[4] Er moniert, was den Pseudo-Staatsrechtsschützer Prantl völlig kalt lässt:
Der Auftrag an das Ministerium hatte gelautet, die Rechtsunsicherheit nach dem Kölner Urteil, religiöse Beschneidung sei eine Straftat, zu beseitigen. Und sie waren aufgefordert, dabei die grundsätzlich geschützten Rechte des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und individuelle Religionsfreiheit zu berücksichtigt.
Haben sie das getan? Nein. Das vorliegende Papier ist der unangemessene Versuch, davon abzulenken, dass es in der Diskussion letztlich eben doch um Religion geht, und darum, welche Sonderrechte Gläubigen eingeräumt werden sollten. Denn um Sonderrechte geht es.
Danke, Herr Schulte vom Drach.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/gesetzentwurf-beschneidung-bleibt-koerperverletzung-und-straffrei-1.1478479
[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/gesetzentwurf-zur-beschneidung-zum-glueck-unpraezise-1.1478957
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Bestimmtheitsgrundsatz
[4] http://www.sueddeutsche.de/wissen/gesetzentwurf-des-bundesjustizministeriums-beschneidungsrecht-fuer-alle-1.1480166-2