Holocaust war gestern, heute ist Beschneidungsdebatte.
8. September 2012 von moritatensaenger
Wer den Holocaust bisher als das Menscheitsverbrechen der an Menschheitsverbrechen nicht armen letzten hundert Jahre sah, muss sich belehren lassen. Natürlich in der Süddeutschen [1]…,
…was nicht verwundert. Und dort aus eigentlich honorigem Mund, was mehr als verwundert. Keine Geringere als die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, gibt sich dafür her, in der chaotischen und sowieso hochemotionalen Diskussion um die Beschneidung, den Holocaust, also den Mord an mehr als 6 Millionen Juden, und die Beschneidungsdebatte auf eine Ebene zu hieven…
“Nicht einmal in meinen Albträumen habe ich geahnt, dass ich mir kurz vor meinem achtzigsten Geburtstag die Frage stellen muss, ob ich den Judenmord überleben durfte, um das erleben zu müssen.”
… Und wer bisher Sätze wie diesen…
“Kizilkaya betonte: ‘So ein Angriff [auf einen Juden in Berlin] ist ein Angriff auf uns alle. Dagegen muss die Gesellschaft etwas tun.’ Der Appell des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, sei aber nicht nötig gewesen. ‘Muslime brauchen da keine Lehrstunde.‘ Es werde bereits etwas getan.” [2] (Hervorhebung Moritatensaenger)
…nur aus dem Mund dauerbeleidigter Muslimfunktionäre erwartet hat, der muss seinen Horizont um die Wortwahl von Frau Knobloch erweitern…
“Es waren deutsche Juden, die fast alle demokratischen Entwicklungen auf deutschem Boden initiiert, mitgestaltet, begleitet und gelebt haben. Wir brauchen keine Nachhilfe in Demokratie. Wir benötigen keine Belehrungen über Meinungsfreiheit.” (Hervorhebung Moritatensaenger)
Das alles wäre aber noch zu verdauen. Wie gesagt, die Thematik ist emotional belegt wie kaum eine andere und einzelne Ausreiter von der einen wie der anderen Seite kann und sollte man wegstecken. Auch dass, wer die Zirkumzision kritisiert, gemein ist mit Grass und linken Antisemiten, ist noch irgendwie unterzubringen im Verständnis für die Erregung des Gegenübers. Ja selbst das etwas arrogante Hinweggehen über das Leid der irgendwo zwischen 50 und 100 Millionen ermordeten Unschuldigen der anderen großen verbrecherischen Ideologie des 20. Jahrunderts, des Kommunismus,…
“Wir ertragen, dass die singulären Verbrechen der Nationalsozialisten relativiert werden, selbst in der sogenannten Prager Erklärung, in der einige Bürgerrechtler die Verbrechen des Kommunismus und den Holocaust gleichsetzen.” (”einige Bürgerrechtler” sind u.a. Václav Havel und Joachim Gauck, zwei der Erstunterzeichner der sog. Prager Erklärung)
…ist, wenn auch schon mit Kopfschütteln, noch zu ertragen. Unerträglich aber ist der Umgang mit dem eigenen Volk, den Frau Knobloch praktiziert und in der Süddeutschen ausbreitet. Denn Jude zu sein bedeutet nicht, von Frau Koblochs Gnade der Definition jüdischer Identität abhängig zu sein. Wenn sie schreibt…
“Unvermindert tauchen vermeintliche Experten auf und behelligen uns ungefragt mit ihren medizinischen, juristischen, psychologischen oder moralischen Assoziationen.” (Hervorhebung Moritatensaenger)
…, dann fragt man sich unwillkürlich, ob der hochgeachteten und engagierten Funktionärin ihre Karrieren in den zahlreichen Ämtern so in den Kopf gestiegen sind, dass sie von sich schon im Pluralis Majestatis spricht. Denn es sind nicht alle Juden, für die Frau Knobloch zu sprechen beauftragt ist. Noch sind die überwiegend dem liberalen Judentum angehörenden Juden im Deutschland vor der Shoah, die zusammen mit den per Rassegesetz zu Juden erklärten Menschen die Masse der Ermordeten bilden, das geeignete Werkzeug und die ungefragten Zeugen überdrehter Funktionäre. Und auch diejenigen Juden, die sich heute für die Brit Schalom statt der Brit Mila entscheiden, werden sich kaum von Frau Knobloch die Identität absprechen lassen.
Dass die Präsidentin ihren verwirrten, partiell nahe an der Holocaustrelativierung entlangschrammenden Text dagegen in der Süddeutschen Zeitung platzieren kann, ist mehr als nachvollziehbar, wenn sie, Frau Knobloch, auch den Israelis damit einen Bärendienst erwiesen hat. Denn natürlich kann das Blatt aus München jetzt auch weiterhin seine erbärmliche Negativpropaganda über das Überlebensbemühen der Juden im Nahen Osten fortsetzen, ohne komplett in den Ruch antisemitischer Agitation zu geraten.
Mit tönendem Gruß
Peter Zangerl alias Moritatensaenger
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/beschneidungen-in-deutschland-wollt-ihr-uns-juden-noch-1.1459038