“Jämmerliche Parasiten!”
30. Mai 2012 von Jaspis
“Peter Burghardt ist zumindest bei uns hier seit geraumer Zeit dafür bekannt, die Kehrseiten lateinamerikanischer Despoten buchstäblich in- und auswendig zu kennen (…hier die Suchergebnisse zu “Peter Burghardt” auf suedwatch.de). Entsprechend gefällig klingt das, was er über deren Politik zu sagen hat.”
So begann der Moritatensänger seinen Artikel “El Lameculos” [1] und so könnte ich auch diesen Artikel beginnen.
Die Nichte Fidel Castros, die Tochter seines Bruders Raúl Castro, Mariela Castro, hat sich in die USA aufgemacht, um Barack Obama in dessen Wahlkampf zu unterstützen. Peter Burghardt jubiliert:[2]
Mariela Castro, Sexologin, setzt sich in ihrer Heimat Kuba für die Rechte Homosexueller ein.
Castro unterstützte Schwule, Lesben, Transvestiten und Transsexuelle und trieb die Debatte über Ehen und Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Partner voran. Seit 2008 fördert das Gesundheitsministerium kostenlose Geschlechtsumwandlungen, und die Straßen von Havanna erleben Umzüge mit Regenbogenfahnen wie beim Christopher Street Day. Kürzlich führte Castro den Marsch gegen die Homophobie an und verlangte, dass “sexuelle Rechte in der internationalen Gesetzgebung als Menschenrechte betrachtet werden sollen”.
Das ist beachtlich. Und das ist auch gut so. Wirklich.
Und außerdem ist das auch der Aufhänger, um Obama in seinem Wahlkampf zu unterstützen.
“Ich würde Obama zum Präsidenten wählen”, empfahl Frau Castro aus Havanna.
Jedoch:
Republikaner und radikale Exilkubaner, die überwiegend in Florida wohnen, sind entsetzt. Der Besuch “einer Gesandten eines kommunistischen Regimes” sei eine Ohrfeige und beleidigend, ließ der designierte republikanische Präsidentschaftsbewerber Mitt Romney ausrichten.
Liest man Peter Burkhards Artikel, dann könnte man meinen, diese “Republikaner” und “radikalen Exilkubaner” (man muss bei Peter Burkhard anscheinend schon mindestens “radikal” sein, um als Exilkubaner nichts von den Castros zu halten) wären entsetzt, weil sie etwas gegen Homosexuelle haben. Oder jedenfalls etwas gegen Reformbewegungen in Kuba. Und das, wo Mariela Castro sich doch so fortschrittlich präsentiert: Nicht nur, dass sie zu Hause ein bisschen angeeckt ist,
Nicht überall in Familie und KP stößt solche Freizügigkeit auf Gegenliebe. Ihre inzwischen verstorbene Mutter Vilma Espín war auf ihrer Seite, aber auch Vater Raúl scheint sich langsam mit solchen Reformen anzufreunden. Fidel Castro ist möglicherweise weniger begeistert von den Vorstößen seiner Nichte
sondern
Im Gegensatz zu anderen Castros gibt sie gelegentlich Interviews und nutzt Twitter und Facebook.
Sagenhaft. Man könnte meinen, Mariela Castro wäre eine Art Freiheitskämpferin. Eine Verfechterin der Menschenrechte und der Demokratie. Nur am Rande erfährt man auch von Peter Burghardt, dass
Oppositionelle wie die Bloggerin Yoani Sánchez mehr Einsatz für weitergehende Freiheiten fordern.
Und das kam so:[3]
Bei ihrem sensationellen Vorstoß ins Internet, geriet sie via Twitter an Yoani Sánchez. Die erdreistete sich doch tatsächlich, Frau Castro darauf anzusprechen, wann man sich denn nun eigentlich auch politisch in Kuba freizügig geben werde.
Und die Dissidentin fügte in Anspielung auf Mariela Castros Rolle als Schutzpatronin der Transsexuellen die politische Frage hinzu: »Wann werden die Kubaner auch anderen Neigungen (los otros amorios) frönen dürfen?« Toleranz könne es doch »nur umfassend geben – oder nicht?«
Die Reaktion Mariela Castros war - ernüchternd:
Der liberale Spross der Castro-Familie antwortete völlig überraschend und zunächst gelassen, dass Sánchez mit ihrer Forderung nach umfassender Toleranz »die alten Mechanismen der Macht« reproduziere. Um Kuba zu helfen, müsse sie mehr lernen. Gegen diese arrogante Belehrung erhob sich eine Front regimekritischer Blogger. Darauf zog sich Mariela Castro wieder in das von den Castros gerne beschworene Reich der Tiervergleiche zurück: »Jämmerliche Parasiten, haben Sie von Ihren Auftraggebern den Befehl, mit mir unisono nach einem vorgeschriebenen Text zu korrespondieren? Seien Sie kreativ!« [Hervorhebung: Jaspis]
Falls Ihnen diese Wortwahl bekannt vorkommt: Richtig, Joseph Goebbels beliebte Journalisten bisweilen als “parasitäres Geschmeiß” zu bezeichnen.
Es ist nun nicht so, dass Frau Castro sich um einen ersten Teilbereich der Freiheitsrechte in ihrem Land bemüht, in dem Bestreben, diesem weitere folgen zu lassen. Burghardts Satz
Es war die Zeit des Machismus-Leninismus. “Ein schwerer Fehler”, meint Mariela Castro.
ist mehr als irreführend. Castro scheint das allenfalls in Bezug auf den Machismus auch so zu meinen.
Noch ein wenig deutlicher wird das in dem Interview, das im Februar bei ihren Gesinnungsgenossen veröffentlicht wurde:[4]
Bernard Duraud: Sie sprechen von der Achtung der Menschen und ihren vollständigen und umfassenden Rechten. Gibt es im Kampf um die Meinungsfreiheit nicht auch andere Kämpfe zu führen?
Mariela Castro: Niemand kann verhindern, dass wir unsere Meinung äußern. Das ist ein Mythos. Niemand kann in Kuba schweigen. Das spanische Kolonialsystem hat uns nicht zum Schweigen bringen können, der US-amerikanische Kolonialismus nicht, und auch nicht die von den USA auferlegte Militärdiktatur. Wir haben immer gesagt, was wir denken. Jeder ist Herr darüber, was er sagt, was er tut. Man muss auch die Verantwortung dafür tragen. Die Freiheit besteht darin, seine Verantwortung zu übernehmen, alles zu wagen, Entscheidungen zu treffen. Und das gilt für alles. Im Zusammenhang mit der Pressefreiheit bin ich geneigt zu sagen, dass es sie nirgends gibt. Sie hängt davon ab, wer die Medien beherrscht, die Eigentümer, die Finanzgruppen, die Aktionäre, die Herausgeber, die Staatspolitik. In Kuba gibt es eine Vielzahl unabhängiger Blogs und Tausende interessante Blogger, mutig in ihren Fragestellungen und ihre Verantwortung tragend, ohne Geld von einem Land zu erhalten, das uns kontrollieren oder belästigen will. Wahrlich erhält eine kleine Gruppe von ihnen Geld von der Regierung der Vereinigten Staaten, damit sie sich Geschichten gegen Kuba ausdenken. Seit über 50 Jahren erleiden wir einen wahren ideologischen Krieg mit dem Ziel, die Revolution zu zerstören. Die Medienkampagne gegen Kuba wird immer stärker. Das US-amerikanische Außenministerium hat in sie über 20 Millionen Dollar gepumpt. Mit diesem Geld werden Blogger bezahlt, US-amerikanische oder europäische Journalisten, um uns in Misskredit zu bringen. Aber wer kennt wirklich und nicht durch die Deformation die tägliche Realität der Kubaner und ihre Kapazität voranzuschreiten? Was Kuba betrifft, wünschte ich mir eine kritischere Presse, die eine wirkliche investigative Arbeit leistet. Und kritisieren heißt nicht, es an Respekt fehlen zu lassen, und man muss der journalistischen Ethik gerecht werden.
Zusammengefasst: Natürlich gibt es Meinungsfreiheit in Kuba! Wer etwas anderes sagt, der lügt und ist von den USA bezahlt. Jeder hat dort die Freiheit, über die USA herzuziehen!
Bernard Duraud: Nach seiner Wahl hatte Obama Hoffnungen in Bezug auf Kuba genährt. Aber nichts änderte sich …
Mariela Castro: Obama hat die Verantwortlichkeit für sein Programm nicht aufgegeben. Die Vereinigten Staaten sind weiterhin hegemonial. Sie sind der Weltgendarm, kontrollieren uns alle. Ich stelle fest, dass Europa ihren Schritten gefolgt ist, indem es den gemeinsamen Standpunkt gegen Kuba festlegte. Das ist Zynismus! Das zeigt, dass es der Politik der Vereinigten Staaten untergeordnet ist.
Mariela Castro hat ihren “Handlungsbedarf” erkannt. Doch zum übergroßen Erstaunen Peter Burghardts gibt es Menschen (nicht nur) in den USA, die von dieser Art Wahlkampfhilfe wirklich rein gar nichts halten.
Japis
[1] http://www.suedwatch.de/blog/?p=4479
[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/kommunistische-wahlkampfhilfe-castro-nichte-setzt-sich-fuer-obama-ein-1.1369579
[3] http://www.zeit.de/2011/48/Kuba-Castro
[4] http://www.dkp-online.de/internat/amerika/kuba/ipo/44081501.htm