Der Geist der Brause
27. Mai 2012 von Jaspis
Während Christen zu Pfingsten vom Heiligen Geist beseelt werden, wurde die Süddeutsche Zeitung ebenfalls von einem Geist beseelt. Doch während der Heilige Geist derjenige ist, der Christen auf den richtigen Weg bringt, wenn sie auf ihn hören, ist der Geist, der in die SZ-Redaktion gefahren ist, offenbar der Geist der Geist-Losigkeit. Wem die Grassschen Zeilen noch nicht Beweis genug dafür waren, dem gibt jetzt Heribert Prantl den Rest. In[1]
zeigt er, dass er zwar mal etwas gehört hat von der christlichen Lehre, er aber, was die Computerei betrifft, eher Leere vorzuweisen hat. Eine gähnende, um genau zu sein.
Mit diesem Heiligen Geist können heute immer weniger Menschen etwas anfangen. Die alte Symbolik ist verbraucht: Da waren, so die Apostelgeschichte, Feuerzungen, die sich unter gewaltigem Brausen auf jeden Menschen setzten und ihn erleuchteten. Das Wort vom Brausen allerdings führt vom christlichen Mythos in die digitale Gegenwart: Es weiß zwar heute kaum einer, was der Heilige Geist, aber fast jeder, was ein Browser ist: Man braucht ihn zum Surfen im Internet.
Würde man Prantl nicht kennen, man müsste ihm fast den Titel des Kalauer-Königs antragen für die Vermischung der gerade einmal lautmalerisch ähnlichen Worte brausen ((besonders von Wind und Wellen) ein gleichmäßiges ununterbrochenes Rauschen hervorbringen/(veraltend) duschen/sich [geräuschvoll] mit hoher Geschwindigkeit bewegen) und to browse (durchsuchen).
Ein Browser ist auch kein
Computerprogramm, das einem das World Wide Web aufsperrt
wie Prantl weiter salbert, sondern eines, das das Internet durchsucht. Weil aber schon Prantls Grundannahme verkehrt ist, können seine Schlussfolgerungen daraus
Anders gesagt: Ein Browser macht den Menschen schlauer.
nicht mehr richtig werden und die Überleitung
Womöglich holt man sich mit seiner Hilfe neues Wissen, vielleicht auch die Kraft zur Veränderung. Der brausende Geist heißt heute Internet Explorer, Mozilla Firefox, Safari oder Google Chrome
bekommt er auch nur deshalb hingebogen, weil sich der Leser bereits vor Schmerzen krümmt.
Endlich beim eigentlichen Thema gelandet, nämlich dem Urheberrechtsschutz im Internet, stellt er tatsächlich richtig (wenn auch nicht neu) fest:
Die einen wollen den freien, möglichst auch kostenfreien Zugriff auf möglichst alles, was sich im Internet befindet - also so wenig Regeln wie möglich. Die anderen wollen, dass möglichst viel möglichst gut geschützt bleibt - also möglichst viele Regeln, auf dass demjenigen, der etwas erdacht, geschrieben, gefilmt, fotografiert oder komponiert hat, ein Recht an seiner Schöpfung auch und erst recht dann verbleibt, wenn es im Internet leicht kopiert werden kann.
Jo. Und dann kommen weitere ebenso richtige wie nicht neue Feststellungen
Es sieht auch fast jeder ein, dass es der Dichter nicht dulden muss, dass sein Doktor Schiwago auf einmal Held eines Pornofilms ist. Und der Schöpfer des rosaroten Panthers muss es sich nicht gefallen lassen, dass Neonazis seine Trickfigur als virtuellen Führer durch ihre Mörderwelt missbrauchen.
Recht war und ist immer ein Interessenausgleich.
Es gibt kein Recht auf kostenlose Konsumgüter, ganz gleich welcher Art. Es gibt ein Recht auf Zugang zu Informationen, nicht aber zu den Werken, die daraus gemacht werden.
Was Jugendliche früher mit der Schere aus der Bravo ausgeschnitten und ins Album geklebt haben, kopieren sie heute auf ihre Facebook-Seite. Das Urheberrecht darf daraus kein Skandalon machen, welches das Familieneinkommen gefährdet.
Und natürlich
Das Urheberrecht als Arbeitsrecht der geistigen Arbeiter muss neu justiert und gesichert werden: nicht nur gegen die Klonierer, sondern auch gegen Großkonzerne und (Wissenschafts-)Verlage, die die Interessen ihrer Partner, also der Urheber, zu wenig beachten.
Ja - aber wie? Gerade den Kernpunkt der Debatte, den lässt Prantl, der Jurist, gnädig unter den Tisch fallen. Der Leser ist so schlau wie vorher. Dass irgend etwas passieren muss, hat er schon vorher gewusst, eine zündende Lösung ist auch jetzt nicht in Sicht und so fragt sich der geneigte Leser, worin denn nun eigentlich der Geist dieses Kommentars liegen soll. Außer vielleicht in der Feststellung, dass die Aufmacher der SZ an diesem Wochenende gerade diesen - nämlich den Geist, sei es nun der Heilige oder auch wenigstens den Geist im Sinn von “Gehalt” gänzlich vermissen lassen.
Das Urheberrecht braucht ein Pfingsterlebnis, eine Erleuchtung; es braucht den Geist, dessen Schutz es zum Inhalt hat.
Ach, Herr Prantl. Schauen Sie, es passiert Ihnen ja nichts. Setzen Sie sich einfach hin und rühren sich eine feine Brause an. Eine mit Himbeer-Geschmack, vielleicht. Oder doch lieber Waldmeister?
Wohl bekomm’s!
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/digital/debatte-ueber-urheberrecht-heiliger-firefox-1.1367629
2 Reaktionen zu “Der Geist der Brause”
SZ (Heribert Prantl): “Die einen wollen den freien, möglichst auch kostenfreien Zugriff auf möglichst alles, was sich im Internet befindet - also so wenig Regeln wie möglich. Die anderen wollen, dass möglichst viel möglichst gut geschützt bleibt - also möglichst viele Regeln, auf dass demjenigen, der etwas erdacht, geschrieben, gefilmt, fotografiert oder komponiert hat, ein Recht an seiner Schöpfung auch und erst recht dann verbleibt, wenn es im Internet leicht kopiert werden kann.” … “Das Recht des schöpferischen Geistes, eine der großen Schöpfungen der Aufklärung, ist in einer Krise.” … “Das Urheberrecht braucht ein Pfingsterlebnis, eine Erleuchtung; es braucht den Geist, dessen Schutz es zum Inhalt hat.”
SPIEGEL (Frank Thadeusz): “Höffner [Eckhard Höffner: Geschichte und Wesen des Urheberrechts, 2 Bände. München 2010, Anm. d. V.] hat die frühe Blütezeit des Gedruckten hierzulande beleuchtet und kommt zu einem überraschenden Befund: Anders als in den Nachbarländern England und Frankreich habe sich in Deutschland im 19. Jahrhundert eine beispiellose Explosion des Wissens vollzogen.” … “Noch verblüffender mutet die Ursache an, die Höffner für diese Entwicklung ausgemacht hat: Ausgerechnet das Copyright, das die Briten bereits 1710 eingeführt hatten, ließ nach seiner Ansicht die Welt des Wissens im Vereinten Königreich veröden.”
(Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,709761,00.html)
Mehr zum Thema (Interview mit dem Wirtschaftshistoriker Höffner):
http://www.heise.de/tp/artikel/33/33092/1.html
Sebastian Neurauter, Münster, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht (ITM), Münster über Höffners Arbeit zum Urheberrecht:
http://www.jipitec.eu/issues/jipitec-2-1-2011/2964/jipite_neurauter.pdf
> sondern eines, das das Internet durchsucht.
OMFG. Nee nee, der Prantl ist so doof nun wirklich nicht. Sein “aufsperren” ist wenigstens nicht falsch und im pragmatsischen Sinne sogar richtig.
Der Webbrowser sucht erste einmal gar nichts, der kopiert nur vorgegebene Inhalte auf den Computer und zeigt sie an.
Das Suchen machen vor allem die Suchmaschinen, wie der Name schon sagt…