Der Letzte macht das Licht aus
5. Januar 2012 von Jaspis
sueddeutsche.de - seit Neuestem “Süddeutsche.de” - wird seit einiger Zeit kräftig aufgepeppt. Seit Januar in wirklich schickem neuen und übersichtlichen ZEIT-gemäßen Design, werden die vielen Text-Beiträge mehr und mehr ergänzt mit kleinen, teils regelmäßig erscheinenden Video-Filmchen, mit denen sich der Online-Auftritt von der Print-Ausgabe unterscheiden soll. Eine der neuen Reihen ist “Prantls Politik”. In den wöchentlich erscheinenden Beiträgen äußert sich Prantl teils ebenso kurz wie gehaltlos zu aktuellen politischen Themen. Natürlich auch zur Causa Wulff.
Ein bisschen muss man nun schon auch an die Causa Guttenberg denken, auch wenn das Amt des Verteidigungsministers* mitnichten mit dem des Bundespräsidenten vergleichbar ist: Wieder ein Politiker, der, um es sehr beschönigt auszudrücken, sich selbst ein Bein gestellt hat. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten bereits - jedenfalls was die Behandlung durch sueddeutsche.de betrifft. Denn während sueddeutsche.de, allen voran Heribert Prantl, zu Guttenbergs Kopf schon forderten, als der gegen ihn gerichtete Vorwurf noch nicht einmal verifiziert war, übt sich gerade Prantl nun in bemerkenswerter Zurückhaltung.
Im Dezember, als zunächst “nur” die etwas anrüchigen Privatkredite im Raum standen, da äußerte sich Prantl lauthals[1] “Warum Wulff nicht zurücktreten darf” (wer sich daran noch erinnert: Das klingt ein wenig an das “Birne muss Kanzler bleiben” aus den 1980er Jahren).
Wulff müsse die Gelegenheit gegeben werden, das durch ihn beschädigte Amt zu “reparieren”. Es seien zwar Zweifel aufgekommen, ob Wulff dem Amt des Bundespräsidenten gewachsen sei und es ausfüllen könne. Aber Prantl sei der Ansicht, Christian Wulff könne das Amt sehr wohl ausfüllen, denn er hat
in der Art und Weise, wie er über die … Ausländer in Deutschland, über die zweite deutsche Einheit, über die Neubürger geredet hat, gezeigt, dass er weiß, wo die brennenden gesellschaftspolitischen Fragen sind
Wulff sei ein Werber für Integration, der halt nur an seiner Glaubwürdigkeit ein wenig arbeiten müsse. Interessant ist hier die Wortwahl. Die Integration der “Ausländer” habe Wulff vorangetrieben. Im letzten Juni hörte sich das noch so an: [2][3]
in seinem ersten Amtsjahr ist es dem Bundespräsidenten gelungen, sein Thema beharrlich zu vertreten: die Integration der Muslime in Deutschland.
Aus den Muslimen im Juni sind ein halbes Jahr später flugs “die Ausländer” geworden. Anscheinend hat dem Heribert Prantl immer noch keiner gesagt, dass “die Ausländer”, die Mitbürger mit “Migrationshintergrund” gar nicht alle Muslime sind? Und dass sich zum Beispiel die eingewanderten Buddhisten oder Hindi durch Wulffs Feststellung, der Islam gehöre zu Deutschland, mit Bezug auf Christentum und Judentum, die “zweifelsfrei zu Deutschland” gehörten, kein bisschen besser integriert fühlen. Und die deswegen auch kein bisschen mehr von ausländerfeindlichen Übergriffen geschützt sind, die sie nur deshalb erleiden, weil sie “fremd” aussehen? Oder dass diejenigen Iraner oder Pakistaner, die nach Deutschland fliehen mussten, weil sie aus ihrem islamistisch regierten Heimatland wegen ihres christlichen Glaubens verfolgt werden, es nicht sonderlich integrationsfördernd empfinden könnten, wenn ausgerechnet der Islam hier einen herausgehobenen Stellenwert haben soll? Nein, Heribert Prantl scheint, wie viele seiner Gesinnungsgenossen von dem Glauben beseelt zu sein, dass Friede, Freude und Eierkuchen in Deutschland einkehren werden, wenn nur der Islam nach Kräften gelobt und gefördert werde, in welcher Ausschattierung oder Auslegung auch immer.
Nach dieser vollmundigen Stellungnahme Prantls im Dezember folgte mittlerweile der nächste Skandal: Wulffs unsäglicher Droh-Anruf bei BILD-Chefredakteur Kai Diekmann.
Der sei “ein schwerer Fehler” gewesen, sagte Wulff heute (4. Januar) selbst [4], er habe sich aber deswegen auch schon (höchstselbst, versteht sich) entschuldigt. Sodann suchte er nach Rechtfertigungen - “man” habe eben so unter Druck gestanden undsoweiter. Dieses “man” suggeriert, dass so etwas schließlich jedem passieren kann. Das mag sein. Doch zeigt sich in solchen Stress-Situationen meist nur das, was anderenfalls, mit der entsprechenden Selbstbeherrschung eher nicht zu Tage tritt. In diesem Fall war das die Haltung des Bundespräsidenten zum Grundrecht der Pressefreiheit. Das war nicht nur der Anruf des netten Herrn Wulff bei der BILD, sondern das war ein Versuch eines Bundesorgans, die freie Presse zu beeinflussen.
Dieser augenscheinliche Skandal rief die Angehörigen der freien Presse ziemlich schnell auf den Plan. Einige wurden mehr, andere weniger deutlich. Jörg Brandscheid vom BR meinte etwa: [5]
Wer es ernst meint mit der Pressefreiheit, sollte jedoch nicht mit Klagen und Boykott drohen, wie Wulff es offenbar gegenüber der “Bild”-Zeitung getan hat. Eine Aussprache zwischen Wulff und Bild-Chefredakteur Kai Diekmann soll es gegeben haben. Doch dementiert wurde die Drohung nicht.
Deshalb bleibt die Frage: Wie souverän ist ein Bundespräsident noch, der so hilflos agiert? Nein, es ist nicht die Kritik, die das Amt beschädigt, es ist das merkwürdige Verhalten Christian Wulffs.
Ludwig Greven von der ZEIT: [6]
Ungewöhnlich und erstaunlich ist in diesem Fall das Ausmaß an politischer Instinktlosigkeit und Skrupellosigkeit, das Christian Wulff an den Tag legt. (…) Wulff ist offensichtlich ein Mensch, der ein gestörtes Verhältnis zu eigenen Fehlern und damit zur Wahrheit hat. Ein solcher Charakter in diesem Amt schadet dem Land.
Die sueddeutsche.de-Redakteure reagierten zunächst nur zögerlich, so wie Nico Fried.[7] Doch wie in der Causa Guttenberg musste früher oder später jeder einmal ran, auch Hans Leyendecker [8]. Wolfgang Kracht [9] und Daniel Brössler [10] wagten scharfe Töne und auch Marc Beise widmete sein “Summa summarum”-Filmchen diesem Thema [11]
deswegen, summa summarum, finde ich - und da hab ich wirklich drüber nachgedacht - dass dieser Bundespräsident abtreten sollte
Und Heribert Prantl, der immerwährende Kämpfer für die Freiheitsrechte? Der nuschelte gerade gestern in “Prantls Politik” noch etwas davon, dass sich der Bundespräsident “bewähren” müsse.[12] Kein Wort von der “Anruf-Affäre”, kein Aufschrei wegen des neuerlichen Skandals der versuchten Beeinflussung der freien Presse durch ein Verfassungsorgan.
Noch während ich diesen Artikel schreibe, scheint auch Heribert Prantl Marc Beises Methode angewandt zu haben (wirklich darüber nachzudenken) und er konnte wohl nicht umhin, nun endlich auch einen Kommentar zu Wulffs öffentlicher Stellungnahme vom heutigen Abend abzugeben. Frei nach dem Motto “was kümmert mich mein Gewäsch von gestern” meint er nun:[13]
Er ist nicht, wie es seinem Amtseid entspräche, damit beschäftigt, Schaden vom Volk abzuwenden, sondern Schaden von sich selbst.
Er ist ein Präsident, der sich in seiner Schwäche an seinem Amt festhält, weil ihm das Amt den Halt gibt, den er ansonsten nicht hat.
Die Enttäuschung über seinen Prinzen ist Prantl deutlich anzumerken. Geradezu hilflos wirkt sein Versuch, die Schuld wenigstens teilweise abzuwälzen.
Wulff ist auch Opfer der Mediengesellschaft [die] aus Dreckkübeln, die in ausländischen Servern gefüllt werden, ungestraft auf Hass-Subjekte zu schütten. Wulff war und ist da eines der Opfer.
Diese Dreckkübel im Ausland haben vermutlich auch noch etwas mit den Krediten zu tun.
“Lange war es die perfekte Symbiose: Wulff, der Strahlemann mit den blauen Augen - und die Springer-Presse, die großzügig mit Homestorys und Exklusivem aus dem Privatleben versorgt wurde. Doch plötzlich kühlte die Liebe ab.” mokierten sich Prantls Kollegen Silke Bigalke, Corinna Nohn und Jens Schneider gerade noch [14]
Doch was Springer kann, kann Prantl allemal:
Nun fällt auf diesen Satz der Schatten der Schwäche des Präsidenten. Er ist mit seinem Amt nicht gewachsen, sondern geschrumpft.
Vielleicht wird ja von einem Bundespräsidenten viel zu viel erwartet. Das Amt ist Projektionsfläche für viele Sehnsüchte - nach Lauterkeit, Ehrlichkeit und Vorbildlichkeit in der Politik. Das ist viel verlangt, vielleicht zu viel. Gleichwohl: Man steht vor der Frage, wer diesem Amt sein Gewicht wiedergeben kann. Wulff vertraut offenbar darauf, dass er selber das schaffen kann. Mit diesem Vertrauen steht er ziemlich alleine.
Der Letzte macht das Licht aus, Herr Prantl!
Update 10.01.2012 20:30 Uhr:
Einen wahren Schenkelklopfer setzte Prantl gestern noch drauf:
In “Wider die Maßlosigkeit” [15] predigt der schweren Wein aus Kübeln Trinkende vom Wasser:
Man darf sich dann nicht auf den Kopf stellen und mit den Füßen nach Karlsruhe zeigen, als sei das Verfassungsgericht die Instanz, um dem Präsidenten die moralische Eignung abzuerkennen. Wenn der Bundespräsident nicht zurücktritt, mag man das bedauern. Heikel und gefährlich wird es, wenn aus dem kräftigen Bedauern präpotente Rechthaberei, ja eine Art Machtprobe wird zwischen der Presse und dem Präsidenten.
Hätte man nicht gerade erst erlebt, wie dieses “Maß” Prantls & Co. aussah, als es um zu Guttenberg ging, als sie nicht eher ruhten, bis der nicht zurückgetreten war. Zu Erinnerung siehe “Gratwanderungen” vom letzten Februar. [16]
“Präpotente Rechthaberei” “ja eine Art Machtprobe” - da muss er mal kurz in den Spiegel (den an der Wand) geschaut haben.
Wäre es nicht so bitter für jeden, der der auch nur einen Funken demokratisches Gespür hat, man käme gar nicht mehr heraus aus dem Lachen.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-politik-warum-wulff-nicht-zuruecktreten-darf-1.1238977
[2] http://www.suedwatch.de/blog/?p=6317
[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/bundespraesident-christian-wulff-der-schirmherr-1.1112675
[4] http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video1038890.html
[5] http://www.tagesschau.de/kommentar/wulff644.html
[6] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-01/wulff-anruf-bild-zeitung
[7] http://www.sueddeutsche.de/politik/kreditaffaere-christian-wulff-der-wundersame-praesident-1.1248358
[8] http://www.sueddeutsche.de/medien/verhaeltnis-von-politikern-und-journalisten-zwischen-respekt-und-rubikon-1.1250132
[9] http://www.sueddeutsche.de/politik/wulffs-verhalten-in-der-kredit-affaere-wie-ein-landrat-von-osnabrueck-1.1249117
[10] http://www.sueddeutsche.de/politik/affaere-um-den-bundespraesidenten-warum-die-geht-mich-nichts-an-kanzlerin-handeln-muss-1.1249924
[11] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/summa-summarum-wulff-kein-vorbild-1.1251013
[12] http://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-politik-merkels-jahr-1.1242775
[13] http://www.sueddeutsche.de/politik/wulff-haelt-an-seinem-amt-fest-gnade-dem-praesidenten-1.1251047
[14] http://www.sueddeutsche.de/medien/wulff-und-die-springer-presse-erst-gehaetschelt-dann-fallengelassen-1.1250046
[15] http://www.sueddeutsche.de/politik/kritik-an-bundespraesident-wulff-wider-die-masslosigkeit-1.1252992
[16] http://www.suedwatch.de/blog/?p=4944
*verbessert 10.01.2012 21:45 Uhr