Einäugige Blindheit
26. November 2011 von Jaspis
In verschiedene Richtungen wird gerne vorgeworfen, auf einem Auge blind zu sein, aktuell “dem Staat”, der Bundesregierung oder dem Verfassungsschutz.
Sehen wir uns doch einmal an, wie es sich mit unsrem Hausblatt, der Süddeutschen, verhält:
Da wird über die Ursachen gemutmaßt: Warum gerade im Osten? Warum so viele in den neuen Bundesländern?
Constanze von Bullion hat sich dieser Frage angenommen [1]
Zur Kollektion [gemeint sind Opfer der Rechtsextremisten, Anm. Jaspis] gehörten Familienväter, die ausländisch aussahen, und eine Polizistin, die ihre Mörder gekannt haben soll. Menschen wurden da hingerichtet, die aus Sicht von Neonazis für “das System” stehen, für die verkommene pluralistische Gesellschaft und den Rechtsstaat, der weg muss. Genauer gesagt: wegbleiben muss. Denn in vielen Köpfen, vor allem ostdeutschen, ist er ein fremder Planet geblieben.
Die Ursachen dafür sieht Bullion in der Diktatur, der DDR-Diktatur.
Überhöhung der Gemeinschaft, Einordnung in autoritäre Denkmuster, ins große Ganze, für dessen Erhalt persönliche Überzeugungen, weichliche Emotionen und Skrupel zurückzustellen waren.
Das ist zwar so verkehrt nicht. Nur, in ihren Schlussfolgerungen macht es sich Bullion ein wenig zu einfach: Die Regierung ist Schuld - wer sonst:
Nirgends ließ man rechtsextremistische Milieus so blühen wie in den neuen Ländern, nirgends gab es so viele Polizisten, die wegsahen, manchmal aus Sympathie mit Neonazis, manchmal aus Angst um ihre Familien.
Das mag zwar sein, doch liegt darin nicht die Ursache des Rechtsextremismus.
Constanze von Bullions Elaborat mündet in der Frage:
Nimmt da eine Generation Rache an den sozialistischen Eltern?
Also eine Art Generationskonflikt? Doch wer weiß, vielleicht sieht Bullion ja auch tatsächlich, dass die einen von den anderen nicht wirklich weit entfernt sind. Vielleicht deshalb die Gleichsetzung
So wie einst die Rote Armee Fraktion auszog, es den braunen Vätern heimzuzahlen?
Oder ist womöglich doch die Gesellschaft an allem Schuld, die, wie man ja weiß, die Täter erst zu Tätern macht?
Ein Professorensohn und ein Hilfsarbeiter aus Thüringen haben Rache genommen an der Gesellschaft.
Was Constanze von Bullion nicht erwähnt und die geneigten SZ-Leser auch nicht erfahren, das schildert Freya Klier auf Welt Online [2]
Sie zeigt, dass Rassismus und Ausländerfeindlichkeit auf dem Gebiet der früheren DDR keine Revolution der Jugend gegen die Alten ist. Sondern eine eingeübte Einstellung:
Dabei hatte Schönhuber noch gar nicht realisiert, was diese Genossen im Osten noch alles auf der Pfanne hatten: Einen über 40 Jahre gepflegten Antisemitismus sowie einen Zangengriff für die extreme Minderheit von Ausländern, die sich vorübergehend in der abgeschotteten DDR aufhalten durften.
Denn es herrschte nach der millionenfachen Flucht von DDR-Bürgern ein solch permanenter Arbeitskräftemangel, dass die sozialistische Führung sich Ende der 70er-Jahre schweren Herzens entschloss, Kontingente von Vietnamesen und Mosambikanern hereinzulassen – für jeweils drei Jahre, dann wurden sie gegen die nächsten ausgetauscht.
„Fidschis und Mozis“ aber waren in abgesonderten Wohntrakts untergebracht, die offiziellen Gaststätten waren ihnen verwehrt. Sie durften die Stadt nicht ohne Genehmigung verlassen, mussten in den Betrieben niedere Arbeiten verrichten und sollten gar nicht erst Deutsch lernen.
Vor allem – und das lässt jeden Rechtsradikalen noch immer jubeln – standen ihre Frauen unter Abtreibungszwang. Gibt es ein rechtsradikaleres Programm? Die, die solches praktizierten, spielen heute Die Linke. Und schoben schon kurz nach dem Mauerfall dem Westen ihre eigenen praktizierten Miesheiten in die Schuhe.
Ich schrieb von den Vietnamesinnen und meiner alten jüdischen Freundin Johanna, die den Nazi, der sie 1935 vergewaltigt und in die Elbe gestoßen hatte, nun als Parteisekretär der SED vor sich sitzen sah. Ich schrieb von unserem kleinen antirassistischen Theaterstück, das ich 1986 mit zwei Berliner Jugendlichen einstudiert hatte, die aus einer deutsch-sudanesischen Studentenliaison hervorgegangen waren.
Die Jungen wuchsen als „Nigger“ und „Kohle“ auf und mussten schließlich in eine Armeesondereinheit gesteckt werden, damit sie die NVA heil überstanden. Auch dieses Theaterstück studierten wir zu einer Zeit ein, da der antifaschistische Schutzwall uns noch vor den West-Nazis schützte.
In plastischer Erinnerung stand mir jene Fascho-Horde, die im Oktober 1987 mit „Sieg Heil!“ und „Juden raus aus deutschen Kirchen!“ die Nachbarskirche überfallen und dort mit Flaschenhälsen auf fliehende Punker eingestochen hatte. Ein Jahr zuvor hatte ich mit ein paar Freunden Unterschriften gesammelt, um das Plattwalzen des jüdischen Friedhofs Berlin-Weißensee zu verhindern.
Die Untätigkeit und die Blindheit in der Zeit nach der Wiedervereinigung taten ihr übriges. Worüber die ganze Zeit hinweggesehen wurde, ist dass die DDR nicht “nur” einen guten Boden für den Rechtsextremismus schuf, sondern ihn auch selbst hegte und pflegte. Das scheint in vielen Köpfen noch nicht angekommen zu sein, vor allem nicht in denen, die immer noch glauben, Sozialismus und Faschismus schlössen sich gegenseitig aus und wer “links” sei, könne kein Antisemit sein.
Von ähnlicher Qualität scheinen die Vorstellungen Andreas Zielckes zu sein [3]
Menschenverachtend sind Terroristen immer. Aber Rechtsextremisten richten ihren Hass auch gegen die Demokratie
Andreas Zielcke scheint in dem Glauben zu leben, dass linksextremistischer oder islamistischer Terror demokratiefördernd sind. Er wiederholt es:
was den rechten Extremismus vom linken unterscheidet, ist in der Tat der Furor gegen das Haus der Demokratie
Interessant wäre es schon zu erfahren, worin denn da der Unterschied liegt. Statt dessen legt Zielcke nach:
Die meisten von ihnen [den Opfern der Rechtsextremisten; Anm. Jaspis] mussten sterben allein wegen ihrer Hautfarbe, Religion oder politischen Haltung. Bei der RAF galten die Anschläge Repräsentanten politischer oder ökonomischer Macht, bei den Neonazis sind es die Individuen selbst, denen das Lebensrecht abgesprochen wird.
“Repräsentanten politischer oder ökonomischer Macht” scheinen für Zielcke nicht den Status von Individuen zu haben, ebensowenig wie deren Leibwächter, Polizisten oder etwa die Insassen der “Landshut”. Dass sie nicht zu Todesopfern wurden, beruhte nicht auf der Humanität oder dem Demokratieverständnis ihrer Entführer.
Auch in der Fortsetzung wird es nicht besser.
Was aber die Rechtsextremisten und damit erst recht die NPD noch über diese Brutalität hinaus so nachhaltig gefährlich macht, ist ihre heroische Assoziation mit dem Staat. Schematisch gesprochen, sahen sich die RAF-Täter als Feinde des Kapitalismus und des ihm dienenden Staates. So wurden sie dann auch als “Staatsfeinde” wahrgenommen und verfolgt.
meint Zielcke und suggeriert damit zwei Dinge: Erstens, es sei der Staat als solcher, den Rechtsextremisten fördern wollten und zweitens, es habe etwas mit der Wahrung der Demokratie zu tun, den Kapitalismus zu verdammen und mit absolut undemokratischen Mitteln - mit Gewalt - zu bekämpfen. Zielckes Empörung darüber scheint echt zu sein. Abhilfe hätte möglicherweise ein Blick in den Verfassungsschutzbericht 2010 gebracht: [4]
Neben diesen Ideologiefragmenten verbindet Rechtsextremisten in aller Regel zudem ihr Staatsverständnis, das für ein autoritäres politisches System eintritt, in dem der Staat und das – nach ihrer Vorstellung ethnisch homogene – Volk als angeblich natürliche Ordnung in einer Einheit verschmelzen. Gemäß dieser Ideologie der „Volksgemeinschaft“ sollen die staatlichen Führer intuitiv nach dem vermeintlich einheitlichen Willen des Volkes handeln. In einem rechtsextremistisch geprägten Staat würden somit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen auszuüben, oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, fehlen.
Linksextremisten richten ihr politisches Handeln an revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Vorstellungen aus. Sie wollen anstelle der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung ein sozialistisches bzw. kommunistisches System oder eine „herrschaftsfreie“ anarchistische Gesellschaft etablieren. (…) Die „Antifaschismus-Arbeit“ gehört seit jeher zu den Kernaktivitäten von Linksextremisten. Dabei richten sie sich nur vordergründig auf die Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen. Ziel ist es vielmehr, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu überwinden, um die dem „kapitalistischen System“ angeblich zugrunde liegenden Wurzeln des „Faschismus“ zu beseitigen.
Nicht erst bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass weder die einen noch die anderen Förderer des Staates oder gar der Demokratie sind.
Dieser “Staat”, mit dem Zielcke in seiner Gleichsetzung mit den Zielen der Rechtsextremisten
Die durch die Orte stampfenden Rechten sind mitunter höchst gefährliche Staatsfreunde, aber eben doch Staatsfreunde.
offenbar so seine Probleme hat, die er nicht hätte, würde er ihn nicht mit der linksextremistischen Brille der RAF betrachten, dieser Staat muss nun offenbar dämonisiert werden. In
rollt Bernd Kastner alte Artikel nebst einer Fallsammlung der gern genannten Rechtsanwältin Lex auf. [5]
“Staat und Zivilcourage” ist die Ober-Überschrift des Artikels. Dass man in der SZ-Redaktion noch immer nicht begriffen hat, was Zivilcourage ist [6] zeigt sich in der Auswahl der Fälle, die Kastner präsentiert: Sie beschreiben das strafrechtliche Vorgehen gegen Personen, die Demonstrationen von Rechtsextremisten verhindert haben oder sie verhindern wollten. Nicht verwechseln: Es geht nicht um die wirkliche Zivilcourage, die darin besteht, an einer Gegenveranstaltung teilzunehmen, in der gegen Rechtsextremismus demonstriert wird und in der etwa der Opfer von Rechtsextremisten gedacht wird. Oder der mehr denn je grassierende Antisemitismus angeprangert wird. Nein, in den von Kastner beschriebenen Fällen ging es darum, dass sich die fraglichen Personen zu selbsternannten Ordnungshütern aufschwangen und andere Personen mit Gewalt an der Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen Rechte hinderten. Wenn jemand eine Versammlung verhindern oder auflösen darf, dann ist das die Polizei. Wenn sie jemand verbieten darf, dann ist das ein Gericht. Wenn ein Gericht festgestellt hat, dass die Versammlung rechtmäßig ist, dann haben das Bürger mit ausreichend Demokratiebewusstsein zu respektieren. Tun sie das nicht, sondern schwingen sich selbst zu Richtern und Polizisten auf, noch dazu solche, die sich nicht an die Gesetze zu halten haben, dann machen sie sich strafbar. Sie stellen sich auf die gleiche Stufe mit denen, denen sie gerade vorwerfen, ihre Ansichten mit Gewalt durchzusetzen. Zivilcourage sieht anders aus.
Nach seinem Hohelied auf den Linksextremismus kommt Zielcke zu der Forderung nach einem Verbot der NPD. Für ein Verbot der NPD spricht einiges. Nur darf man sich nicht dem Irrglauben hingeben, dass der Rechtsextremismus verschwindet, wenn nur erst die NPD verboten ist. Ihre Anhänger sind dann nämlich immer noch da. Und nicht nur die.
Doch so unsäglich das offensichtliche Versagen des Verfassungsschutzes war: Die SZ sollte ganz leise mit Vorwürfen deshalb sein. Dort sieht man beinahe vorsätzlich weg, wenn es um andere Menschenverachtung, anderen Extremismus oder anderen Antisemitismus geht als die bei der NPD verorteten.
Kennen Sie den “Fall” des Ken Jebsen und seiner Sendung “KenFM” im Radio RBB? Wenn ja, dann jedenfalls nicht durch sueddeutsche.de. Da gibt es den Fall gar nicht. Dabei ist er durchaus berichtenswert: Es begann damit, dass Achgut eine Sammlung von youtube-Filmchen, Mitschnitten von “KenFM”, präsentierte [7], in denen Jebsen seiner stammelnden Stichwortgeberin zum Beispiel seine Ansichten über Israel und Palästinenser erläutert, sich zu “Propagandalügen” zum Iran äußert oder seine Verschwörungstheorien zu 9/11 ausbreitet (ersteres Filmchen ist nicht mehr erhältlich).
In der Folge wurde Henryk M. Broder eine E-Mail[8] zugeleitet, die Jebsen an einen Hörer geschrieben hat und in der er sich unter anderem wie folgt äußerte:
sie brauchen mir keine holocaus informatinen zukommen lassen. ich habe mehr als sie. ich weis wer den holocaust als PR erfunden hat. der neffe freuds. bernays. in seinem buch propaganda schrieb er wie man solche kampagnen durchführt.
Nach der Veröffentlichung der Mail auf Achgut wurde die Sendung erst vorübergehend abgesetzt, später hörte man sich beim RBB anscheinend doch noch ein paar Sendungen Jebsens der letzten zehn (!) Jahre an und trennte sich sodann von ihm. - Immerhin, diese Trennung tauchte im Newsticker von sueddeutsche.de auf: [9]
Der RBB beendet die Zusammenarbeit mit Moderator Ken Jebsen. Dieser war in die Kritik geraten, weil eine Mail von ihm an einen Hörer so aufgefasst wurde, Jebsen habe den Holocaust geleugnet. [Hervorhebung: Jaspis, mit der Frage an unsere Leser: Als was würden Sie denn obige Äußerung Jebsens auffassen?]
“Jebsen geht, die Hörer bleiben” meinte Broder am 23.11.2011 [10] Und die haben gezeigt, was sie gelernt und nie verlernt haben:
Vergleichbare “Fanpost” kam auch bereits, nachdem die Sendung vorerst nur vorübergehend ausgesetzt war: [11][12]
Hat das irgend jemanden bei sueddeutsche.de interessiert? Gab es irgendwelche Anzeichen von Empörung? Von Solidaritätsbekundungen? Von Zivilcourage? - Natürlich nicht.
Wie geschäftig wäre wohl die SZ, wenn Herr Jebsen nicht vorher so artig Israel in Bezug auf die Palästinenser und auch sonst schlecht gemacht hätte? Wie betriebsam, wenn Herr Jensen die gleichen Äußerungen in ein braunes statt in ein rotes Mäntelchen gehüllt hätte?
Glaubt man bei der SZ denn wirklich, Antisemitismus, Menschenverachtung und Demokratiefeindlichkeit wären harmlos, solange sie nur von der “richtigen” Seite kommen?
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/ursachensuche-nach-den-neonazi-morden-gift-der-diktatur-1.1196986
[2] http://www.welt.de/debatte/kommentare/article13727979/Neger-Fidschis-und-die-Heuchelei-der-Linken.html
[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/streit-um-npd-verbot-hort-der-terroristen-1.1194340
[4] http://www.verfassungsschutz.de/download/SHOW/vsbericht_2010.pdf
[5] http://www.sueddeutsche.de/muenchen/der-staat-und-der-antifaschismus-neonazi-gegner-im-visier-1.1195819
[6] http://www.suedwatch.de/blog/?p=4898
[7] http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/so_muss_man_nachrichten_decodieren/
[8] http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/ich_weis_wer_den_holocaust_als_pr_erfunden_hat/
[9] http://www.sueddeutsche.de/e5l38z/332814/RBB-trennt-sich-von-Jebsen.html
[10] http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/jebsen_geht/
[11] http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/fuckin_fritz/
[12] http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/kens_fans/