Mit dem Humor vereinbar
2. November 2011 von Jaspis
Also, ein bisschen - Pardon, hier ist die Floskel “ein Stück weit” besser angebracht - kann ich die Redaktion von sueddeutsche.de ja verstehen. Wer das Bild der Zerstörung sieht, das fanatische … äh … Unbekannte in der Redaktion des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo angerichtet haben, ansieht, dem läuft nicht nur als Zeitungsredakteur ein kalter Schauer über den Rücken.
Verzichtete sueddeutsche.de aus Pietätsgründen darauf, den Stein des Anstoßes, nämlich die Karikaturen, mit denen die dieswöchige Ausgabe von Charlie Hebdo, die dazu passend für diese Ausgabe in “Charia Hebdo” mit einem Chefredakteur “Mohammed” umbenannt wurde, abzubilden? Statt dessen wurde die Karikatur nämlich nur mit Worten beschrieben:[1]
Auf dem Titelblatt war eine Zeichnung des Propheten Mohammed zu sehen, die mit einer Sprechblase versehen war. Darin zu lesen: “100 Stockschläge, wenn Sie sich nicht totlachen.” Auf der Rückseite war eine weitere Zeichnung abgebildet, die Mohammed mit einer roten Clownsnase zeigte. Die Bildunterschrift lautete: “Der Islam ist mit dem Humor vereinbar.”
Und obwohl bereits der Gedanke, dass gerade dieser letzte Satz für - wen auch immer - Anlass sein könnte, eine Redaktion in Schutt und Asche zu legen, für jeden, der zumindest den Worten “Kunst-”, “Meinungs-” oder “Pressefreiheit” einmal begegnet ist, absurd sein dürfte, sprechen gerade hier Bilder mehr als Worte. Denn es ist ja nicht etwa so, dass die Karikatur ganz entsetzlich provokant wäre. Irgend etwas, das etwa noch viel schlimmer wäre als vielleicht Titelblätter wie diese hier,
die aber selbstredend unschädlich für die jeweilige Redaktion waren - man hält schließlich die “Kunst-”, “Meinungs-” oder “Pressefreiheit” hoch. Und das zu Recht.
Was mag also der Grund gewesen sein, dass sueddeutsche.de diese Karikaturen nicht abgebildet hat? Wollte man die Gefühle einer Religionsgruppe nicht verletzen? Das wäre edel. Aber doch reichlich scheinheilig, denn bei anderen Religionsgruppen die SZ auch nicht gerade besonders zimperlich. Wissen Sie noch? Der Moritatensaenger hat erst kürzlich auf die der SZ-Redaktion durchaus veröffentlichungswürdige Karikatur hingewiesen [2]
Der Edelmut kann es also nicht gewesen sein. Erstaunlich trotzdem, dass es sueddeutsche.de versäumt darzustellen, wie lächerlich der Anschlag wegen einer derart harmlosen Karikatur war. Aber wer weiß, vielleicht hatte die Redaktion auch nur ganz einfach die Hosen voll. “Ein Stück weit” verständlich, sicherlich. Aber für vorgebliche Kämpfer für Freiheitsrechte schon ein Armutszeugnis.
Die Leser landauf landab hatten aber dennoch in unzähligen Publikationen ausreichend Gelegenheit, das Titelblatt der “Charia Hebdo” zu betrachten, zum Beispiel auf
tagesschau.de [3]
welt.de [4]
oder spiegel.de [5]
um sich ein Bild von der Karikatur, aber auch vom Edel - Mut der sueddeutsche.de-Redaktion machen zu können.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/frankreich-anschlag-auf-satire-magazin-nach-scharia-sonderheft-1.1178502
[2] http://www.suedwatch.de/blog/?p=6261
[3] http://www.tagesschau.de/ausland/charliehebdo100.html
[4] http://www.welt.de/politik/ausland/article13693343/Brandanschlag-auf-Satireblatt-nach-Scharia-Sonderheft.html
[5] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,795353,00.html