Die SZ setzt Prioritäten
27. Mai 2009 von moritatensaenger
Am Montag, den 25.5.2009, beschließen 46 namhafte Medienvetreter aus 19 Ländern die “Europäische Charta für Pressefreiheit”. Ihr Text wurde von Journalisten des Stern, des Spiegel, von Focus, von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Frankfurter Rundschau, der Tageszeitung, der Bild, der Zeit und von National Geographic erarbeitet.
Kein geringes Papier, denkt man an Journalisten, die in vielen Ländern der Welt für ihre mutig unabhängige Berichterstattung verfolgt und von Repressalien bis hin zum Tod bedroht sind.
Die Süddeutsche hat an dem Text nicht mitgearbeitet, aber immerhin war Hans Leyendecker von der SZ einer der 46 Unterzeichner. Man sollte also meinen, dass diese nicht unbedeutende Errungenschaft auch für die renommierte Tageszeitung aus München Grund genug ist, ausführlicher zu berichten. Weit gefehlt.
Im Hause SZ reicht es am Dienstag, einen Tag nach der feierlichen Unterzeichnung in Hamburg, gerade zu einem Agenturbericht von ap/dpa/bey
[1]
Und vermutlich der Nachtportier schmettert am Folgetag um 04:25 Uhr einen lieblos gemachten Text mit dem kreativen Titel “Europäische Charta für Pressefreiheit” in den Computer,
[2]
der im ersten Moment die Frage aufkommen lässt, wie es der Zirndorfer Modeversender “Madeleine” in den Artikel 1 dieser “Europäische Charta für Pressefreiheit” schaffte. Hat man diese Irritation überwunden und sich durch die ersten drei Artikel des Werkes gelesen, landet man (Anzeigenraum geht vor Leserinformation, wir verstehen das) bei dem Hinweis, dass, wer sich nun wirklich für mehr interessiere, sich die aufgeführte URL kopieren oder merken oder abschreiben könne (nein, kein Link, das lohnt nur für Werbung; klicken sie einfach mal auf Mademoiselle Madeleine, dort geht das), denn dort fände er dann alle 10 Artikel der Charta.
[2]
(Hervorhebung Moritatensaenger)
Natürlich habe ich die URL kopiert und sie meinem Browser anvertraut, schließlich hat mich interessiert, was von den Journalisten mit dem Gedanken an die Pressefreiheit vereinbart wurde. Ergebnis war…….ich landete wieder bei dem Agenturbericht [1] von ap/dpa/bey. Artikel 4 bis 10 ? Fehlanzeige!
Immerhin hat man aber dort seitens sueddeutsche.de ein Fenster eingerichtet, das sich beim Anklicken vergrößert und …… nein, nicht die restlichen Artikel der Charta offenbart, sonderneine bedeutungsschwere Grafik, die wohl die ganze Berichterstattung aufwerten soll:
Gut, dass man uns das vergrößert gezeigt hat. Alles in allem: ich bin froh zu wissen, wie wichtig der SZ diese Charta und zu einem Teil wohl auch die weltweit verfolgten, nicht automatisch in den Genuss von Pressefreiheit kommenden Kollegen sind. Und natürlich die Leser. Sucht man heute (27.5.09/18:00 Uhr) im Ressort „Kultur” [3] wenigstens nach dem Agenturbericht vom Vortag, so findet man ein breites Angebot an ebenso BILDhaften wie nutzlosen Quatschartikelchen,
(”Mehr Genitalstolz”, “Der Führer muss mal”,
“Guppies für die Groupies”, “Meerjungsau in Schmoll” u.a.)
aber kein Wort mehr über die „Europäische Charta für Pressefreiheit”. Die SZ setzt Prioritäten.
Wer trotzdem an seriöser wie fundierter Information zur Charta interessiert ist, der kommt bei Gruner & Jahr unter nachfolgendem Link wenigstens zu den vollständigen Artikeln und zu den Unterzeichnern:
http://www.pressfreedom.eu/de/index.php
Mit tönendem Gruß
Ihr Moritatensaenger
[1] http://www.sueddeutsche.de/kultur/322/469874/text/
[2] http://www.sueddeutsche.de/65i38w/2907883/Europaeische-Charta-fuer-Pressefreiheit.html