Ein Rechtsaußen, der keiner sein darf. Jedenfalls nicht in der Süddeutschen.
19. September 2011 von moritatensaenger
Man sollte doch meinen, die Süddeutsche habe keine Probleme, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit von den “Rechtsaußen”…
…, den “Ultrarechten”…
…, den “Rechtspopulisten”…
…und den “Rechtsextremen”…
…in der nationalen und internationalen Politik zu schwadronieren. Sollte man meinen. Hat sie aber doch. Seltsamerweise gerade dann, wenn sie eine waschechte Verkörperung aller vier Begriffe zum Interview lädt: den türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül…
Für die SZ ist Gül aktuell nur der “Herr Präsident”. Noch vor vier Jahren war man da durchaus mutiger und informativer und bezeichnete ihn bei seinem Amtsantritt als “islamisch konservativ” [2] bzw., ganz verwegen, sogar als “Ex-Islamisten” und, in einem anderen Artikel [3], als “früheren Islamisten”. Auch Ministerpräsident Erdogan erhielt damals das vorsichtig vernebelnde Prädikat “früherer Islamist” und damit die Absolution der Süddeutschen. Wobei die Frage erlaubt sei, was - und warum - sich an den Anschauungen Abdullah Güls (und natürlich Erdogans) so grundlegend geändert hat, dass beide nunmehr als “frühere” Islamisten gelten dürfen. Haben sie sich vom politischen Islam verabschiedet? Öffentlich einen klaren Schnitt zu ihrer Vergangenheit getan? Sich von den früheren Gefährten aus dem Umfeld des radikalen Islam distanziert? Dann wäre es allerdings seltsam, wenn sie trotzdem der Idolfigur der Masse der türkischen islamischen Extremisten, Necmettin Erbakan, im Frühjahr 2011 das letzte Geleit gewährt hätten. Genau das aber haben sie getan und die türkischen Medien wussten darüber zu berichten [4]:
“Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül, die einstigen Weggefährten ehemaligen Staatspräsident kamen am Dienstag zu der Beerdigung.” (Hervorhebung Moritatensaenger)
Weggefährten waren sie zweifelsohne. Und ebenso geistige Verbündete. Erbakan war einer der Gründer der Bewegung Millî Görüş (in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet) und jene islamistische Gruppe war es auch, mit deren Unterstützung und ideologischer Prägung sich die rechte Partei Refah Partisi [5] gründete, mit der Abdullah Gül erste größere politische Erfolge feierte [6]. Aber auch vorher war der heutige Staatspräsident bereitsch politisch aktiv: In der rechtsextremen, islamistisch-nationalistischen Studentenbewegung Millî Türk Talebe Birliğ. Deren Teilnahme an dem sog. “Blutigen Sonntag”, bei dem linke Protestierer von den Rechtsextremisten niedergeküppelt wurden [7], hat ihr dauerhaft einen mehr als zweifelhaften Ruf beschert. Dass Gül damals schon mitgeknüppelt hätte lässt sich nicht belegen, darf und soll auch nicht unterstellt werden. Aber er kannte und anerkannte zumindest den gewalttätigen Rechtsextremismus der Gruppe, für die er aktiv war.
Zurück zur Refah Partisi, für die Abdullah Gül als Parlamentsabgeordneter wirkte. Sie wurde 1972 aus der islamistischen Millî Selamet Partisi gegründet, und die wiederum baute auf den Resten der ersten politischen Partei der Millî Görüş-Bewegung auf, der Millî Nizam Partisi, die, 1970 gegründet, bereits 1971 vom türkischen Verfassungsgerichtshof wegen ihres anti-laizistischen Charakters, sprich ihres islamischen Extremismus, wieder verboten wurde.
Leitfigur in all diesen rechtsextremen, islamistischen Parteien: Necmettin Erbakan, der verstorbene “Weggefährte” von Abdullah Gül. Für die Süddeutsche ein Grund, letzteren vollkommen korrekt als Rechtspopulisten oder wenigstens Rechtsaußen zu bezeichnen? Weit gefehlt. Der “Herr Präsident” wird in unserem Blatt, online und gedruckt, mit serviler Freundlichkeit vorgestellt und interviewt [8] und seine jetzige Partei, die AKP, auch noch als “islamisch-bürgerlich” bezeichnet. Wiewohl doch das Bild vom wirklichen, freien Bürger, jenem, von der Scharia gezüchtigten und vom Islam in die religiöse Zwangsjacke gesteckten Unfreien, geradezu Hohn spricht.
Aber stramme Linke ficht das nicht an, auch deren Idealbild vom Bürger ist alles andere als durch Freiheit getrübt. Erstaunlich ist trotzdem, wie leicht sich die Journalisten, Kai Strittmatter und Christiane Schlötzer, von Gül vorführen lassen, etwa bei der brisanten - mit einem peinlichen Hofknicks eingeleiteten - Frage nach Verhaftungen und Menschenrechten von Kurden, die man sich in selten dümmlicher Geschichtslosigkeit nicht scheute, als “Kurdenfrage” [9 !!!] zu bezeichnen (das Thema Armenier hat man, mutig wie die SZler sind, erst garnicht aufs Tablett gebracht, von Kritik an der noch heute offiziellen Linie der Leugnung des Völkermordes ganz zu schweigen):
Reaktion von Strittmatter und Schlötzer: Nächste Frage. Das nennt man ein knallhartes Interview. Oder, angesichts der Brisanz des Themas, einen journalistischen Offenbarungseid. Was zählen schon ein paar tausend Inhaftierte zuviel und was zählt das billige Manöver eines Staatspräsidenten wenn es um Menschenrechte geht, wenn man doch endlich einen Gesprächspartner vor sich sitzen hat, der ein paar äußerst glaubhafte Worte zu Israel zu sagen hat. Hätte man sein mühevoll und durch diverse Tatsachenunterschlagungen aufgebautes Renommee zerstört, indem man zur Frage der Menschenrechte in der Türkei insistiert hätte, wäre er womöglich als endgültiger, untadelig beleumundeter Zeuge zu Israel ausgefallen. Und nichts ist der Süddeutschen wichtiger, als einer geneigten und einschlägig orientierten Leserschaft Munition gegen den Judenstaat anzubieten. Weshalb der Ex-Islamist, der islamisch konservative frühere Islamist und Herr Präsident mit seiner nur für Menschenrechtspedanten leicht schmuddeligen Vergangenheit bestätigen darf, was man bisher im Hause SZ vermutet hatte:
“Gül bestätigte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass es mehrere Runden von Geheimgesprächen zwischen Ankara und Jerusalem gab, um den Konflikt auszuräumen. Aber jedes Mal habe die israelische Seite kurz vor einer Einigung ihre Meinung wieder geändert. Gül betonte, die Türkei habe keine Probleme “mit dem israelischen Volk”, sondern nur mit der Regierung.” (Hervorhebungen Moritatensaenger)
Na wenn DER Herr Präsident das bestätigt, dann kann es daran ja wohl keine Zweifel geben. Und dass der frühere Islamist Gül keine Probleme mit dem israelischen Volk hat, das ist nachvollziehbar. Hat doch sein jahrzehntelanger “Weggefährte” Necmettin Erbakan die Israelis u.a. auf den Wert von Bakterien reduziert [10].Und was man mit Bakterien anfangen sollte, das wissen wir doch alle. Und auch der Rechtsaußen, der keiner sein darf. In der Süddeutschen.
Mit tönendem Gruß aus dem Urlaub
Ihr Peter Zangerl, alias Moritatensaenger
[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-guel-zum-neuen-praesidenten-gewaehlt-1.768841
[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Refah_Partisi
[6] http://en.wikipedia.org/wiki/Abdullah_G%C3%BCl#Entry_into_politics
[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Blutiger_Sonntag_%28T%C3%BCrkei%29#Kritik_des_Geschehens
[8] Süddeutsche Zeitung Nr. 214, von Freitag, dem 16.September 2011, Seite 8
[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Judenfrage
[10] http://www.hagalil.com/01/de/Antisemitismus.php?itemid=1224
2 Reaktionen zu “Ein Rechtsaußen, der keiner sein darf. Jedenfalls nicht in der Süddeutschen.”
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Kleine Fleißaufgabe: Es wäre sicher erhellend, einige Zitate aus dem Thierse-Interview bestimmten Passagen aus der Gül-Audienz gegenüberzustellen. So fehlt z.B. das Lob an die katholische Kirche, dass sie große Fortschritte gemacht habe (keine Hexenprozesse und Hinrichtungen von Häretikern mehr, Unterlassen von Kreuzzügen etc.) Das ist eigentlich keine schlechte Bilanz, zumindest im Vergleich zu einem Staat, der Teile eines anderen Landes völkerrechtswidrig unter Besatzung hält, einen in seiner Geschichte verübten Genozid leugnet und einen oftmals exzessiv wirkenden war on terror gegen eine Volksgruppe ohne eigenen Staat führt.
Ach ja: Wer bei den letzten Zeilen dachte, dass von Israel die Rede ist, der sollte die Lektüre der SZ sofort einstellen und das nächste Treffen der Anonymen Antisemiten besuchen.