“Marschiert wie die Ägypter!”
7. August 2011 von Jaspis
Dass Israel das einzig wirklich demokratische Land im Nahen Osten ist, wollen die “Israelkritiker” nur ungern wahrhaben. Doch gerade die aktuellen Demonstrationen in Israel für mehr soziale Gerechtigkeit, bei denen gestern landauf, landab an die 300.000 Demonstranten auf die Straße gingen, beweisen gerade das: Eine Demokratie lässt Demonstrationen zu. Auch dann, wenn sie die Regierung stark angreifen. Die Demonstrationen setzen die Regierung bereits seit Mitte Juli unter Druck, ohne sie deswegen absetzen zu wollen. [1]
Darüber darf und soll berichtet werden, das interessiert schließlich. Mich auch. Nur, die Art, wie sueddeutsche.de heute über die gestrigen Demonstrationen berichtet hat, hinterlässt weniger das Gefühl, gut informiert zu sein über ein aktuelles Tagesgeschehen, als vielmehr einen eigenartig bitteren Nachgeschmack. Es ist nicht nur die Schilderung der Reaktion der israelischen Regierung auf die Demonstrationen. Diese wird in anderen Publikationen durchaus positiv gesehen, [2] [3]
… während sie von sueddeutsche.de bereits abgewertet wurde. Da will Netanjahu in Wirklichkeit gar nicht auf die Demonstranten zugehen, sondern er will die “Proteste wegdimmen”,[4]
was nichts anderes heißt als dass er die Demonstranten mit Luftnummern ruhig stellen will. Sicher, man kann die Lage unterschiedlich einschätzen. Aber die Süddeutsche zeigt hier aufs Neue, wie sie mit neutralen Meldungen über politisch “Andersgläubige” umzugehen pflegt: Da werden kurzerhand die Tatsachen etwas verbogen und da wird einer Meldung bereits durch die Überschrift ein anderer Sinn gegeben: Aus der gesamten Reaktion der israelischen Regierung, der Bildung einer Kommission, die Verbesserungen ausarbeiten soll, aus dem offenen Aufeinanderzugehen, zieht sueddeutsche.de nur eine Schlussfolgerung: “Netanjahu will Proteste wegdimmen”, und das aus einer Äußerung, die ganz zum Schluss als einziger Beleg für die Schlagzeile aufgeführt wird:
Netanjahu sagte, man könne nicht jeden zufriedenstellen.
Die ZEIT zitierte etwas vollständiger:[3]
“Wir wollen einen richtigen Dialog aufbauen und jeden zu Wort kommen lassen, der Lösungen vorzutragen hat - auch wenn wir nicht alle Forderungen erfüllen können”, sagte Netanjahu.
Das hört sich schon wieder etwas anders an, zumal vor dem Hintergrund der auch in Israel spürbaren Auswirkungen der Finanzkrise.
Doch noch nicht einmal das ist es, was den wirklich bitteren Nachgeschmack hinterlässt: Aus all diesen handfesten Beweisen für das Funktionieren der Demokratie in Israel, aus allen Plakaten und sinnigen oder weniger sinnigen Sprüchen der Demonstranten ist es dieser eine, der für sueddeutsche.de prägnant zu sein scheint:[5]
Es mag ein Zufall sein, gewiss. Aber man könnte schon auf den Gedanken kommen, dass hier ganz bewusst eine Linie zu den blutigen Reaktionen der ägyptischen Diktatur auf ihre Demonstranten gezogen werden soll. Und sicher wäre es falsch, nur deshalb an die 3-D [6] zu denken. Auch wenn sich das noch so sehr aufdrängen mag.
Jaspis
[1] http://www.tagesschau.de/ausland/israel1090.html
[2] http://www.tagesschau.de/ausland/israel1092.html
[3] http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-08/netanjahu-dialog-protestbewegung
[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/proteste-in-israel-netanjahu-will-proteste-wegdimmen-1.1128889
[5] http://www.sueddeutsche.de/politik/massendemonstration-in-israel-marschiert-wie-die-aegypter-1.1128851
[6] http://www.suedwatch.de/blog/?p=5082
2 Reaktionen zu ““Marschiert wie die Ägypter!””
ich denke, Sie finden allzuviel vergnügen an ihren spitzfindigkeiten. Ihre beobachtungen sind mir nicht viel mehr als projektionen bzw. verdächtigungen. die süddeutsche ist kein einheits- oder kaderblatt; die weitere qualität einzelner beiträge mag zur diskussion stehen.
zu diesem artikel: möglicherweise gibt es einigen anlass, von der regierung um netanjahu in den durch die demonstranten vorgetragenen forderungen nicht besonders viel zu erwarten. wo hier überhaupt die feststellung ihren platz hat, israel sei die einzige demokratie im nahen osten (was es zweifelsohne ist!), ist mir weiter nicht ganz klar. gerade in demokratisch organisierten gesellschaften kann man an verschiedene akteure verschiedene erwartungen richten. israel scheinen Sie wohl als einheitlichen block aufzufassen? schließlich dürfte der bezug auf agypten, vllt. die arabischen proteste im allgemeinen, nicht im sinne repressiver konsequenz, sondern in anlehnung an die geistige urheberschaft gemeint sein.
ist Ihnen israel nur ausrede für die geringschätzung seiner nachbarn?
jedenfalls sollten Sie auf beiträge wie diesen verzichten, in denen Sie doch nur Ihr vergnügen an der plauderei und Ihre voreingenommenheit zur schau stellen.
beste grüße
Lieber Peterle,
wenn Sie schon meinen, mir Verhaltensmaßregeln erteilen zu müssen, meinen Sie nicht, es wäre dann angebracht, Ihrerseits den Rahmen der Plauderei, wackeliger Rechtfertigungsversuche und gewagten Unterstellungen zu verlassen, um ein wenig konkret zu werden? Was genau außer “möglicherweise”, “vllt.” und “dürfte” meinen Sie, hat die Süddeutsche denn berechtigterweise dazu veranlasst, den Boden sachlicher Berichterstattung zu verlassen und einseitige Stimmungsmache zu betreiben?
In gespannter Erwartung
Jaspis