Den Verstand verloren
25. Juli 2011 von Jaspis
Kein Verbrechen ist zu groß, keine Tat zu abscheulich für schäbige Ideologen, um sie nicht doch für ihre kruden Theorien zu missbrauchen.
Rechtsextreme höhnen laut NPD-Blog:[1]
“Sozialdemokraten scheinen auch in Norwegen nicht beliebt zu sein, woran das nur liegen kann?” Die größte Sorge des Betreibers aus Stralsund: Repressionen gegen die Neonazi-Szene auch in Deutschland. Daher versucht er, den mutmaßlichen Täter dem nicht-neonazistischen Rechtsextremismus zuzuordnen:
“Bei dem Täter soll es sich um einen gewissen Anders Behring Breivik handeln, der sich, laut Wikipedia, selber als als Konservativer, Nationalist und Freimaurer bezeichnet. Damit dürfte Versuchen, den Fall in eine Art “Nazirichtung” zu lenken, wohl schon im Vorfeld die Spitze abgebrochen sein, da Freimaurertum von dieser Seite aus für gewöhnlich bekämpft wird.”
Verschwörungstheoretiker sehen den Anschlag als CIA und Mossad gesteuert an. [2]
Es erstaunt nicht wirklich, dass die Süddeutsche bei solchen Vorlagen in die gleiche Kerbe schlägt:[3]
Man kann den Erleichterungsseufzer förmlich hören. Was für eine Gelegenheit.
In einem beispiellos flachen “Interview” gibt Gerhard Fischer seinem Gesprächspartner, dem schwedischen Journalisten Daniel Poohl, eine Plattform zur Präsentation seiner Ansichten, der da meint, die neonazistische Szene in Norwegen sei
sehr, sehr, sehr klein. Und sie ist inkompetent und statisch. Aber Anders Breivik ist kein Neonazi, er gehört einer anti-muslimischen Bewegung an, die es seit etwa zehn Jahren gibt.
Breivik sieht sich als Tempelritter, er befindet sich im Krieg gegen den Islam. Er ist der erste anti-muslimische Terrorist.
Wäre es Gerhard Fischer auch nur ansatzweise um wirkliche Sachfragen gegangen, dann hätte er Daniel Poohl zumindest die Frage gestellt, wie es denn zu der gerade “anti-muslimischen” Haltung passt, dass sich Anders Breivik zum Beispiel deshalb kein gutes Abschneiden Norwegens beim Eurovision Song Contest wünschte weil
Für die Skandinavier singt Stella Nyambura Mwangi. Sie wurde in Kenia geboren und kam 1991, noch als Kind mit ihrer Familie nach Norwegen.[4]
Ob Stella Nyambura Mwangi Muslima ist, ist mir nicht bekannt. Sie stammt aber aus einem Land mit gerade einmal 10 % muslimischem Bevölkerungsanteil.
Was Nyambura Mwangi aber ganz offensichtlich ist: Sie ist schwarz. Gerade ein Mensch wie sie als Hassobjekt deutet weniger auf einen Muslim-Hasser hin als -übel genug- auf einen Rassisten. Auf einen Neonazi. Warum Anders Breivik kein Neonazi sein soll, erklärt Daniel Poohl nicht und Gerhard Fischer sieht sich auch nicht veranlasst, danach zu fragen. Denn Poohl bietet die willkommenste aller Erklärungen:
Neonazis sind Antisemiten, sie hassen Israel. Die anti-muslimische Bewegung ist pro Israel.
Da muss der SZ-Interviewer nicht weiter fragen, denn damit ist ja schon alles gesagt.
Poohl vereint beide eingangs erwähnten kruden Ansichten: Sowohl die der Rechtsextremisten, die versuchen, den mutmaßlichen Täter dem nicht-neonazistischen Rechtsextremismus zuzuordnen, als auch den Verschwörungstheoretikern, die letztendlich hinter allem Üblen, das auf der Welt passiert, das Judentum sehen. Doch die SZ bietet ihm eine Plattform, denn nie gab es eine bessere Gelegenheit mit “Islam-Kritikern” abzurechnen, und sei es auf dem Rücken von (derzeit) 92 Mordopfern.
Man könnte wirklich meinen, beim Thema “Islamkritik” hätte die gesamte SZ-Redaktion den Verstand verloren.
Jaspis
[1] http://npd-blog.info/2011/07/23/deutsche-neonazis-verhohnen-norwegische-opfer/
[2] http://www.haolam.de/index.php?site=artikeldetail&id=5964
[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/extremisten-in-norwegen-breivik-ist-der-erste-anti-muslimische-terrorist-1.1124049
[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/anschlaege-in-norwegen-das-verstoerende-manifest-des-anders-behring-breivik-1.1124002-2
1 Reaktion zu “Den Verstand verloren”
Viel kann die ganze Redaktion auch in der Summe nicht verloren haben…