US-Polizeigewalt
17. Mai 2009 von moritatensaenger
Ein erschütternder Gewaltexzess der amerikanischen Polizei schlägt hohe Wogen bis nach Deutschland. Auf sueddeutsche.de nimmt man sich des Falles an und klärt das Verbrechen schonungslos auf. Typisch amerikanische Polizeigewalt, angeprangert durch seriösen, investigativen deutschen Journalismus:
[1]
Man muss sich das nur mal vorstellen: Da fährt man nichts ahnend durch einen Vorort des wunderbaren “Pueblo de Nuestra Señora la Reina de los Ángeles”, also durch die “Stadt Unserer Frau, der Königin der Engel”, abgekürzt Los Angeles oder L.A., begeht eine kleine Verkehrssünde und wird in der Folge von einem Polizisten ganz und gar un-engelhaft niedergetreten. Oder, wie es die SZ in kurze Worte fasst:
Ein Unding, was sich da im schönen Kalifornien abgespielt hat, finden Sie nicht auch, lieber Leser? Weil es uns aber nicht ruhen lässt, wenn die Süddeutsche wieder einmal ganz genau weiß, wo die Schuldigen für irgendwas zu finden sind, betrachten wir uns den Vorfall nun ein wenig näher an:
Richtig ist, dass Officer George Fierro, Streifenbeamter beim El Monte Police Department, einem am Boden liegenden Mann einen Tritt gegen die Kopf-Hals-Partie verpasste:
(Update 1.8.2011)
So weit, so schlecht.
Bei der SZ jedenfalls wird aus dem unstreitbaren aber immerhin einzelnen Tritt das BILDhaftere und deutlich besser verkäufliche
“Polizist tritt auf Verkehrssünder ein”.
Niemanden in unserem Qualitätsblatt stört es, dass mit dieser Formulierung eine sowohl sprachlich als auch juristisch völlig andere Qualität der Handlung suggeriert wird:
“eintreten [...] jmdm. …eine Zeit lang ohne Unterbrechung (unbeherrscht) Fußtritte versetzen: er hatte auf den am Boden Liegenden wie wahnsinnig eingetreten” [2]
Nun kann man sich über die Notwendigkeit dieses Trittes durchaus streiten, schließlich lag der Flüchtige schon am Boden. Unsereiner, und sowieso der im Streetfight der Ghettos kompetente Gerechtigkeitswächter am Redaktions-PC, weiß natürlich, dass in dem Augenblick, in dem sich ein flüchtender Straftäter zu Boden wirft, restlos alle Gefahr gebannt ist und sich der nette Junge vor uns nun wirklich in sein Schicksal fügt. Die Cops in La Monte, nicht bequem am Schreibtisch sitzend sondern täglich real konfrontiert mit realen Waffen und realen Tätern ohne jede Skrupel, sehen das vermutlich etwas anders. Und für die Bannerträger der Menschenrechte ist das Geschehene ohne Zweifel -sowieso ohne Unschuldsvermutung und natürlich ohne Anhörung des Betroffenen- ein “ungeheuerlicher Fall von Polizeibrutalität” (laut SZ-Zitat Äußerung der Bürgerrechtsorganisation ACLU), der nur die “sofortige Entlassung des Polizisten” (weiteres Zitat der ACLU zu diesem Fall) zur Folge haben kann.
Für den Anwalt des Polizisten, Dieter Dammeier, dagegen war es ein von ihm so genannter “distraction blow”, dessen Ziel nicht die schwerwiegende Verletzung des Gegenübers ist, sondern der Moment der Desorientierung, der durch den Schlag beim Täter entsteht und der in der Folge eine für den Beamten ungefährlichere Festnahme ermöglicht. Auch die im Video erkennbare Attacke des am Boden liegenden Flüchtigen durch einen zweiten Polizisten, ausgeführt mit einer Taschenlampe, lässt sich nach den Worten von Chief Tom Armstrong, dem Leiter der Polizei von El Monte, u.U. mit einer Eigenschutzmaßnahme dieses Beamten begründen, weil der Täter -im Video erkennbar- seinen rechten Arm unter den Körper und damit aus dem Blickfeld des Polizisten gezogen hatte. Dies hätte auch der Griff zu einer Schusswaffe sein können. Gleichwohl, die Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren eingeleitet und es wird untersucht werden, ob sich Officer Fierro mit seinem Verhalten einer Strafttat schuldig gemacht hat.
Wenn man sich nun fragt, weshalb ein harmloser Verkehrssünder, wie ihn die SZ darstellt, überhaupt einer solchen Behandlung unterworfen wird, dann sollte man wohl doch etwas näher auf die Umstände eingehen:
Der “Verkehrssünder”, Richard Rodriguez, 23,
sein Beifahrer, Alfredo Rodriguez, 22,
sowie ein dritter Insasse, Tony Castro, 29, fallen mit ihrem Fahrzeug zwei Gang-Ermittlern der Polizei auf. In dem Augenblick, als die beiden Polizeibeamten anhand des Kennzeichens des Toyota Corolla, in dem die drei Männer sitzen, überprüfen wollen, ob das Fahrzeug gestohlen ist, begeht der Fahrer eine nicht näher bezeichnete Verkehrsübertretung. Für die Polizisten ist das der geeignete Anlass, das Fahrzeug anzuhalten.
Diesem Anhalteversuch widersetzen sich die Verdächtigen, indem Richard Rodriguez mit hoher Geschwindigkeit davon rast. Laut Polizeiangaben erreichte der Fluchtwagen auch in der Stadt zeitweise annähernd 130 km/h. Selbst über Bürgersteige und Gegenfahrbahnen raste der Wagen dabei. Nach Angaben der Los Angeles Times dauerte die Verfolgung unter diesen Bedingungen annähernd 40 Minuten.
Ich weiß nicht ob die verantwortlichen Redakteure der SZ, die diesen Artikel verfassten oder genehmigten, Kinder haben, eventuell solche, die sogar schon alleine zur Schule oder zum Einkaufen gehen dürfen. Für mich als Vater jedenfalls ist allein schon die rasende Flucht inmitten eines belebten Stadtgebietes ein Verbrechen, bei dem der Täter zu Gunsten seiner erfolgreichen Flucht bereit ist, das Leben Unbeteiligter, auch das von Kindern, aufs Spiel zu setzen. Nun, wie auch immer, die Redaktion der SZ jedenfalls hat keine Skrupel, ihren Lesern den Fahrer als harmlosen “Verkehrssünder” zu verkaufen.
Lassen Sie uns aber noch einen Schritt weiter gehen und uns die netten Jungs, die da so gehetzt wurden, etwas näher ansehen:
El Monte ist eine 115.000 Seelen Stadt (Daten von 2000) in Los Angeles County. Über 70% der Einwohner sind Hispanics, über 25% leben unterhalb der Armutsgrenze. Zwölf Street-Gangs, die El Monte 13, die El Monte Courts, die El Monte Flores, die El Monte Hayes, die El Monte Hicks, die El Monte Liga, die El Monte North Side, die El Monte Rifa, die El Monte South Side, die North Side Montes, die Rowland St und die Sastre dominieren die Kriminalität in der Stadt. Die älteste Gang sind die El Monte Flores, abgekürzt EMF, gegründet in den 50ern des letzten Jahrhunderts. Heute umfasst diese Gruppierung etwa 400 aktive Mitglieder; ihre besondere Gefährlichkeit liegt in ihrer engen Verbindung zur La eMe (“eMe” für spanisch “M”), der Mexican Mafia:
Diese ebenfalls in den 50′ern gegründete Verbrecherorganisation ist die älteste und schlagkräftigste Gefängnis-Gang der Vereinigten Staaten, ihrerseits eng mit der Aryan Brotherhood, der Arischen Bruderschaft verbunden, einer anderen Prison-Gang, die, obwohl nur 1% aller Inhaftierten stellend, für 18% aller Gefängnis-Morde verantwortlich zeichnet:
Die “La eMe” selbst steuert von den Strafanstalten aus ihr Geschäft, das zur Hauptsache aus Drogen- und Waffenschmuggel sowie Auftragsmord besteht. Eine der Gruppierungen, die auf Befehl der etwa 150 inhaftierten höheren Führungsmitglieder der Mexican Mafia deren Aufträge ausführt, ist jene El Monte Flores genannte Gang, deren Mitglieder u.a. der Verkehrssünder Richard Rodriguez und sein Beifahrer Alfredo Rodriguez sind. Mit dieser Mitgliedschaft erklären sich die auffälligen Tattoos an Hals und Oberlippe von Richard
und an der Unterlippe von Alfredo
und damit erklärt sich wohl auch die Einschätzung der Gefährdung durch die verfolgenden Polizisten, die auch die kritisierte Behandlung der Flüchtenden mehr bestimmt haben mag, als der ursprüngliche Verkehrsverstoß, den die Süddeutsche geschickt in den Vordergrund rückt.
Jedenfalls sind die Mitglieder der EMF-Gang berüchtigt für den rücksichtslosen Einsatz von Waffengewalt. Der Mord an Anthony Moreno, einem Aussteiger aus der Mexikanischen Mafia, der von der La eMe veranlasst und von Luis Maciel von den El Monte Flores organisiert wurde, und bei dem nicht nur der “Verräter” sondern u.a. auch gleich ein Baby und ein fünfjähriges Mädchen hingerichtet wurden, ist nur eines von vielen Beispielen. Und auch die beiden Festgenommenen sind wegen diverser Gewalt- und Drogenstraftaten bereits verurteilt, gegen Richard Rodriguez lag sogar erneut ein Haftbefehl vor.
Bei aller berechtigten und notwendigen Aufmerksamkeit gegenüber dem Verhalten von Gesetzesvertretern ist diese kleine Sammlung an Informationen, aus der Sie hier nun lesen konnten, sicher besser geeignet die Situation und das Verhalten des Polizeibeamten zu beurteilen, als die Posse vom harmlosen Verkehrssünder, die man in der SZ aus dem Hut gezaubert hat. Und bei Licht betrachtet kann man sich fragen, ob nicht die Verantwortlichen in der Redaktion in München selbst stärker gegen die für sie verbindlichen ethischen Prinzipien des Journalismus verstoßen haben, als der Polizist in Kalifornien gegen seine Dienstvorschriften, erstere -im Gegensatz zu Officer George Fierro- in ihrer Gesundheit allerdings bestenfalls gefährdet durch eine zugige Klimaanlage in den Redaktionsräumen von Wolkenkuckucksheim, Hultschiner Straße.
Mit tönendem Gruß
Ihr Moritatensaenger
[1] http://www.sueddeutsche.de/panorama/71/468635/text/
[2] „Duden - Deutsches Universal-Wörterbuch” Dudenverlag, 5., überarbeitete Auflage, S.446
Anmerkung: Dem aufmerksamen Leser meiner Artikel mag nicht entgangen sein, dass ich die von mir gelieferten Fakten oder Behauptungen grundsätzlich ausreichend mit Quellenangaben versehe. Die Angaben liegen auch heute in meinen Unterlagen vor. Dass ich sie diesmal aber nicht am Ende einstelle liegt nicht daran, dass das Geschriebene nicht belegbar wäre. Es ist allerdings so, dass ich einem schlampig arbeitenden Journalisten -von dem ich weiß, er wird meine Kritik lesen- nicht auch noch den roten Teppich zu Informationen ausrollen möchte, die er sich mit etwas Verantwortungsbewusstsein und etwas gutem Willen hätte selbst verschaffen können. Bewegen Sie, lieber Schreiber -das ist meine Hilfe-, einfach Ihren Hintern, wie das auch Officer George Fierro und seine Kollegen Tag für Tag tun, dann lassen sich journalistischen Sesselblähungen wie der hier kritisierte “Zeitungsartikel” gut vermeiden.