Das löchrige Feigenblatt
21. Juni 2011 von Jaspis
Es hatte sich eigentlich fast ganz gut angehört: “Entschieden” wollte sich die Fraktion Die Linke im Bundestag “gegen Antisemitismus” positionieren. [1]
Aber, ach. Der Versuch, den Kritikern der Linkspartei, die ihr, nicht ohne Grund [2], vorwerfen, in ihren Reihen werde bisweilen der Antisemitismus mehr gepflegt als bekämpft, er scheiterte. Was gut gedacht war, ist nichts weiter als ein Feigenblatt. Ein reichlich löchriges: Beanstandet wurde bereits das Zustandekommen der Erklärung: Nach stundenlangem zähen Ringen, angeblich nach einer Rücktrittsansdrohung Gregor Gysis und nachdem 14 Abgeordnete den Saal verlassen hatten. “Undemokratisch” sei das Zustandekommen der Abstimmung gewesen, wurde kritisiert. (Wobei sich schon die Frage aufdrängt, wie ein derart selbstverständliches Bekenntnis unter bekennenden Demokraten überhaupt noch der Diskussion bedarf. Demnächst wird man bei der Linkspartei wohl noch über die Frage, ob das Parlament überhaupt gewählt werden soll, nach zähen Diskussionen abstimmen müssen.) Aber besonders stößt vielen Mitgliedern der Linkspartei die Erklärung selbst auf. Zwei Beispiele von Gegnern der Erklärung:
Annette Groth:[3]
Nun wird seit geraumer Zeit aus unterschiedlichen Kreisen der Versuch unternommen, die Kritik an der israelischen Politik und konkrete Aktionsformen wie die Free-Gaza-Mission mit Antisemitismus gleichzusetzen. Bei unseren politischen Gegnern fällt diese ungeheuerliche Argumentation auf fruchtbaren Boden. Höhepunkt dieser Hetze gegen DIE LINKE war eine aktuelle Stunde im Bundestag zu vermeintlichen antisemitischen Tendenzen in der LINKEN. Hier wurde der Versuch unternommen, einen diffusen Begriff von Antisemitismus gegen DIE LINKE zu instrumentalisieren.
Nun jedoch wurde in der Fraktion ein Beschluss durchgesetzt, der die Diskussion über eine Ein-Staaten-Lösung oder die humanitäre Free-Gaza-Flotille verbietet.
DIE LINKE. Düsseldorf:[4]
Einhellig bei zwei Enthaltungen wurde eine Erklärung verabschiedet, die deutlich macht, dass der Kampf gegen Antisemitismus in unserer Partei einer der wichtigsten politischen Ziele ist. Allerdings ist es nach Ansicht des Kreisverbandes unzulässig, Kritik an der Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern in direkten Zusammenhang mit Antisemitismus zu stellen.
Diskussionen über eine sogenannte Ein-Staaten-Lösung in dem Juden, Araber und andere Bevölkerungsgruppen friedlich in einem säkularen Staat zusammenleben, über einen Warenboykott für israelische Produkte, vor allem aus den besetzten Gebieten, und auch über die Entsendung einer so genannten Gaza-Flottille zur Überwindung der völkerrechtswidrigen Blockade des Gaza-Streifens dürfen nicht in eine antisemitische Ecke gestellt und damit delegitimiert werden. In einer gesonderten Resolution unterstützt die Mitgliederversammlung die Entsendung der Gaza-Flottille ausdrücklich und fordert den sofortigen Stopp der Waffenlieferungen und der militärischen Zusammenarbeit mit Israel.
Heute kam Dieter Graumann, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, auf sueddeutsche.de und in der Printausgabe der Süddeutschen Zeitung mit einem Gastbeitrag zu dem noch immer brodelnden Konflikt zu Wort. [5]
Der Beitrag, der zunächst überschrieben war mit “Befreiungsschlag missglückt”
und auch gar nicht auf die Startseite von sueddeutsche.de durfte (nicht, dass ihn noch jemand sieht), wurde später umbenannt und um-illustriert in
So durfte er auch auf die Startseite. Jedenfalls für ein paar Stunden, am Montagvormittag, um dann schnell wieder in der Versenkung zu verschwinden.
In letzter Zeit aber gibt es einige vermeintliche Friedensaktionen, die gar nicht in dieser antifaschistischen Tradition stehen und die mehr als bedenklich sind: Da weigern sich Abgeordnete, einer Erklärung im Bundestag gegen Antisemitismus zuzustimmen; zum Holocaust-Gedenktag bleiben drei von ihnen bei der Begrüßung des israelischen Präsidenten und Nobelpreisträgers Schimon Peres demonstrativ sitzen.
Andere fahren mit einer Schiffsflottille, die angeblich humanitäre Ziele hat, bei deren Abfahrt aber “Tod allen Juden” skandiert wird. Politiker der Linken rufen zum Boykott israelischer Waren auf, die Abgeordnete Inge Höger tritt mit einem Schal auf, der die Region mit und um Israel ohne den jüdischen Staat zeigt.
… schrieb Dieter Graumann und
Wir können gar keine Antisemiten sein, heißt es bei der Linken, wir sind schließlich Antifaschisten, Internationalisten. Doch das darf kein Freibrief für Äußerungen und Taten sein, die mehr als nur ein klein wenig antisemitische Züge aufweisen - und die auch ihren unrühmlichen Platz in der Geschichte der Partei haben.
Ja: Die KPD war eine verfolgte Opposition im Nationalsozialismus; die SED sah sich nach dem Zweiten Weltkrieg stolz in der Tradition der antifaschistischen Grundwerte. Und dennoch wurden in der DDR nur allzu oft die jüdischen Opfer ausgeblendet, wurde Israel mit systematischer Feindschaft bekämpft: Die brutalsten Terrorbanden der Welt bekamen von der DDR jede Hilfe. Auch das gehört zur Vorgeschichte der Linken.
Der alte anti-zionistische Geist der DDR spukt noch in der Partei. Paradoxerweise sind es heute vor allem Vertreter aus dem Westen, die ihren geradezu pathologischen, blindwütigen Israel-Hass ausleben. Und leider beanspruchen diese Betonköpfe weiterhin, für die Israel-Politik in der Linkspartei zuständig zu sein.
Was hat dieser jüdische Staat nur an sich, das ihn zum Fokus von unfairer Vorverurteilung und überzogener Häme macht? Womöglich steckt in der Frage aber auch bereits die Antwort.
Selbstverständlich ist Israel-Kritik keineswegs per se antisemitisch. Nirgendwo wird die israelische Politik leidenschaftlicher und härter kritisiert als in Israel selbst, wo es eine freie Presse gibt und unabhängige Gerichte. Aber Israel für das Unglück der Welt verantwortlich zu machen - das ist absurd.
Israel als größte Gefahr für den Weltfrieden, Israel, der ewige Sündenbock! Auch das ist uns Juden hier in Deutschland nur zu gut bekannt. Wenn Israel generell dämonisiert wird, beispielsweise durch Nazi-Vergleiche, wenn seine Existenz delegitimiert wird - dann hat der Antisemitismus längst begonnen.
Sich mit der “beispielhaften Demonstration” gegen Rechtsradikale in Dresden zu rühmen, wie es die Partei Die Linke tut, hilft da nicht weiter. Das antifaschistische Engagement der Linken gerade im Osten Deutschlands ist in der Tat oft vorbildlich und soll keineswegs geschmälert werden. Ja: Dresden war gut.
Aber was ist mit Bremen oder Duisburg? Was ist, wenn in der bremischen Linkspartei das Existenzrecht Israels als “Hirngespinst” bezeichnet und in Duisburg als “läppisch” verlacht wird? Aus solchen Formulierungen spricht skrupellose Kälte und eisige Gefühllosigkeit, die geradezu schockiert.
Uns reicht nicht die Beteiligung an Demonstrationen gegen Rechtsradikale. Uns reichen auch keine halbherzigen Beteuerungen, uns reicht auch kein Fraktionsbeschluss gegen Antisemitismus, der auch nur deswegen einstimmig verabschiedet werden konnte, weil 14 Personen vor der Abstimmung den Saal verließen und der Vorsitzende sogar noch mit Rücktritt drohen musste; so gut gemeint das auch sein mochte.
Anstatt sich darauf zu konzentrieren, die Antisemitismus-Kritik pauschal zurückzuweisen, sollte man sich bei den Linken besser ernsthaft, entschieden und glaubwürdig damit auseinandersetzen, warum es so weit gekommen ist.
Es gibt sehr ehrenwerte Stimmen in der Partei. Es gibt Petra Pau, Katja Kipping oder Gregor Gysi; sie wollen die Linkspartei aus dem Kerker des Israel-Hasses befreien.
Die Reaktion des SZ-Publikums war vorhersehbar. Der Raum, seinem Antisemitismus seiner Israelkritik freien Lauf zu lassen, wird freudig genutzt.
Aber nicht nur das. Auch das blanke Unverständnis über Graumanns Text und dessen Hintergründe wird geäußert - und zwar von einem ständig präsenten, beinahe alles aufnehmenden Foristen.
Einmal abgesehen von der möglicherweise latent vorhandenen Unwilligkeit des Foristen, Dieter Graumanns Beweggründe für seinen Gastbeitrag zur Kenntnis zu nehmen, ist auf sueddeutsche.de auch tatsächlich nur wenig zu finden, das den Gastbeitrag in irgend einer Weise erklären und seine Motivation begründen würde. Denn von dem ganzen Spektakel, das um die Erklärung der Linksfraktion stattfand, findet sich gerade einmal in einem einzigen Artikel etwas.[7] Einem Artikel, der fast eine Woche nach der Erklärung verfasst wurde (während eine aktuelle Berichterstattung durchaus möglich gewesen wäre [8]) und der nur ansatzweise wiedergab, was eigentlich passiert ist. Von einer Stellungnahme des Völkerrechts- und Seekriegsexperten Wolff Heintschel von Heinegg, der die Legalität und die Legitimität des Einsatzes Israels gegen die Blockadebrecher bestätigte, wie sie die ZEIT letzte Woche veröffentlichte [9]
rede ich noch gar nicht einmal. Obwohl auch das angesichts der Ankündigung der nächsten Flottille und der immer noch fortdauernden Verklärung derartiger Aktionen durch Mitglieder der Linkspartei zumindest klarstellend wäre, zumal wenn Dieter Graumanns Beitrag schon mit einem Foto der letztjährigen Flottille illustriert ist.
Und so bleibt auch der Gastbeitrag Dieter Graumanns, um den man offenbar nicht herumgekommen ist, nichts weiter als ein Feigenblatt. Ein reichlich löchriges.
Jaspis
[1] http://www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/entschieden-gegen-antisemitismus/
[2] http://www.suedwatch.de/blog/?p=5305
[3] http://www.annette-groth.de/
[4] http://www.dielinke-nrw.de/start/aktuelles/detailansicht_der_news/zurueck/aktuelles/artikel/stellungnahme-zum-antisemitismus-beschluss-der-bundestagsfraktion/
[5] http://www.sueddeutsche.de/politik/die-linke-und-die-juden-befreiungsschlag-missglueckt-1.1110274
[6] http://www.zentralratdjuden.de/de/topic/1.html
[7] http://www.sueddeutsche.de/politik/linke-genossen-attackieren-gysis-politik-hoechst-undemokratisch-1.1108043
[8] http://www.welt.de/politik/deutschland/article13420164/Linke-verabschiedet-Papier-gegen-Antisemitismus.html
[9] http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-06/seeblockade-gaza-interview/komplettansicht