Rote Hilfe für den Pöbel
7. Mai 2009 von moritatensaenger
“Rote Hilfe für den Pöbel”…..Etwas plakativ, dieser Titel, das gebe ich gern zu, im Wesen aber trifft er den Punkt. Ich hätte meinen Artikel allerdings auch mit den Worten überschreiben können: “Die Süddeutsche Zeitung: in der Demokratie geboren, aber nie dort angekommen”. Auch das trifft, zumindest was die momentane Grundlinie der Zeitung in wichtigen politischen Fragen betrifft, durchaus zu. Denn darüber sollten wir uns klar sein: Der Artikel mit dem Titel
[1]
ist, abgesehen davon, dass er aus Verdrehungen und Falschdarstellungen zurechtgebastelt wurde, ein Plädoyer für vordemokratische -um nicht zu sagen antidemokratische- Zustände. Ausgerechnet der Leiter des Ressorts Innenpolitik der Süddeutschen entwirft darin ein Bild vom Wesen unserer Demokratie, das jeder Hauptschüler mit seinem Wissen aus Sozialkunde widerlegen könnte. Schon in der Eröffnung leistet sich Heribert Prantl, der Schreiber, grobe Schnitzer. Etwa wenn er das Entdecken der „Straße” für revolutionäre politische Bewegungen in Deutschland im 19.Jahrhundert verortet. Aufgestanden aber ist der „Deutsche”, nicht zuletzt der Süd-Deutsche, schon viel früher, beispielsweise im 16.Jahrhundert, als in Memmingen im Zuge des Deutschen Bauernaufstandes eine frühe Menschenrechtserklärung aus der “versamlung gemayner pawerschafft” [2] entstand. Und auch im weiteren Verlauf der Geschichte stand das Deutsche Volk immer wieder auf, um die gesellschaftliche und politische Entwicklung zu beeinflussen. Es nahm dabei nicht selten erbärmliche Niederlagen hin, wie etwa -um in Süddeutschland zu bleiben- in der Sendlinger Mordweihnacht [3], die eine Schicksalswendung in der Bayerischen Volkserhebung zu Beginn des 18.Jahrhunderts darstellte.
Aber natürlich gehört auch die Revolution von 1848/49, die Prantl seinem Artikel als Referenz voranstellt, zu den denkwürdigen Ereignissen der Geschichte Deutschlands. Sonderlich viel kann der Autor mit den komplexen Hintergründen der Geschehnisse allerdings nicht anfangen, stattdessen benutzt er das Szenario einer Karikatur aus den Fliegenden Blättern [4], um sein bekanntes, fixes Feindbild aus der Geschichte zu extrahieren und -wieder einmal- ins rechte Licht zu rücken. Den glücklichen Schlüsselsatz liefert ihm -jene Karikatur betreffend- eine Interpretation, die er aus Wolfgang Hardtwigs Buch “Revolution in Deutschland und Europa 1848/1849″ und dort aus dem Beitrag des Professors am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin, Wolfgang Kaschuba, abschreibt.
Buchausschnitt Hardtwig, Autor Kaschuba
Textausschnitt Prantl
Das an dieser Stelle publizierte Wort von angeblich “konservativ geschürten Revolutionsängsten” aber ist es, das Prantls straßenrevolutionäres Herz erwärmt. Um es in seinem Sinn zu verwenden, unternimmt er wohl gar nicht den Versuch, in verantwortungsbewusster journalistischer Manier einfaches Quellenstudium zu betreiben. Denn gesehen haben können die Zeichnung von der Bauersfrau und dem heimkommenden Revolutionär weder Prantl noch Kaschuba (was auch für den Wissenschaftler keinen Lorbeerkranz begründet).
Wenigstens dem in Tübingen promovierten und habilitierten Kulturwissen- schaftler (!) und Kulturgeschichtler [5] Kaschuba hätte nämlich angelegentlich dessen auffallen müssen, dass es sich bei der bewussten Zeichnung in den Fliegenden Blättern erstens nicht, wie behauptet, um ein Comic handelt, also eine Folge von Bildern, sondern um ein einzelnes Bild, eine Karikatur, und dass es zweitens schlicht und einfach der schnapsnasige, mit Sense UND hinter dem Rücken verborgenem, revolutionsgeistvollem Nachschub bewaffnete, aus der im Hintergrund angedeuteten chaotischen Volksversammlung kommende Revolutionär selbst ist, der das Ziel der Satire abgibt. Und mit ihm die Wahl zwischen der Freiheit, die er damit verkörpert, und der bestehenden, unbefriedigenden Ordnung jener Zeit, mithin also die Wahl zwischen Regen und Traufe. In der Überschrift zur Zeichnung kommt das mit den Worten zum Ausdruck: “Eines von Beiden”. Dieser eindeutige Sinn aber, in einem unabhängigen (das gab es damals, liebe SZ) Satireblatt wohl nur von einem Verschwörungstheoretiker als “konservativ geschürt” zu bezeichnen, dürfte weder Kaschuba ins Konzept passen, noch steht er für das was Prantl versucht an den Haaren herbei zu ziehen. Damit verliert aber auch die Prantl’sche Aufklärung über das, was den angeblichen deutschen “Anti-Chaos-Reflex” begründe, an Gesicht. Denn es waren keineswegs “konservativ geschürte Revolutionsängste”, also künstlich erzeugte Angstgebilde, die des Deutschen Distanz zur revolutionären Unruhe begründeten, sondern -wie die Karikatur trefflich belegt- ganz reale Revolutionserfahrungen des Bürgers, die das bewirkten.
Leider zieht sich diese schon von Beginn an offenbarte verquere selektive Betrachtung revolutionärer Ereignisse durch den gesamten Text des Ressortleiters der SZ. Und Schlappschüsse, wie die von Prantl ebenso gewöhnlich wie verfälschend als “antiautoritär” bezeichnete ‘68er-Bewegung, die in Wahrheit nach Autoritäten lechzend ihren Kult um faschistoid idealisierte Führer wie Dutschke, Teufel, Bader, Sartre, Ché, Mao und Ho Chi Minh zelebrierte (und deren Gläubige das noch heute tun), sind noch die harmlosesten.
Schwerer wiegt die Erkenntnis, dass Prantl die entscheidende Verbindung zwischen den großen, von ihm aufgezählten Revolutionen übersieht. 1848 und 1989 fand in Systemen statt, die nicht als demokratisch bezeichnet werden können; die Revolution war dort das einzige zur Verfügung stehende Vehikel des Volkes, die politischen Gegebenheiten für sich zu beeinflussen. Es ist eine Beleidigung all derer, die sich in einem totalitären Regime wie der „DDR” unter Gefahr für Freiheit und Leben auf der Straße die Demokratie und die Deutsche Einheit erkämpften, sie mit den verwöhnten Bürgerkindern von 1968 ff. oder gar den von der SED bezahlten [6] und vielfach von der Stasi unterwanderten Pseudodemokraten [7] der Friedensbewegung zu vergleichen, die in nicht nur in Mutlangen zu erpressen versuchten, wozu kein Volk sie legitimiert hatte.
[9]
“Ich halte es für psychologisch aussichtslos, Kleinbürgern, Arbeitern, Angestellten, Beamten (auch Polizeibeamten), die vom Erlebnis zweier totaler Inflationen geschreckt sind, ihren relativen Wohlstand ausreden zu wollen…”, schrieb Böll in seiner berüchtigten verharmlosenden Ode an Ulrike Meinhof [8], weshalb er wohl später, bezüglich der Raketenstationierung, selbst erst gar nicht den Versuch unternahm, dem so seinem Selbstbestimmungsrecht enthobenen, dummen Volk demokratische Entscheidungen abzuringen und er deshalb, sozusagen qua selbst erlassenem Ermächtigungsgesetz, in Mutlangen [9] sitzblockierte (was von Prantl, dem Versteher angeblichen ‘68er-antiautoritären-Geistes, dem großen Böll gegenüber gehorsam bewundernd als “Prominenten-Blockade” [14] bezeichnet wird).
Die Erwähnung der Sitzblockade führt uns auch schon zur nächsten Merkwürdigkeit des Artikelschreibers Prantl:
Wiederholt sorgt der ehemalige Staatsanwalt und Richter, der gern die Gelegenheit nutzt, sich, wiewohl seinerzeit gut besoldeter Teil des deutschen Justiz-Systems, als “Richter Harmlos” darzustellen
(Prantl über Prantl: „’Neun Jahre’ - das war das höchste Urteil, das ich einst als Richter gefällt habe; auf ‚13 Jahre’ lautete mein höchster Strafantrag als Staatsanwalt.” [11]),
wiederholt also sorgt Dr. jur. Heribert Prantl in seiner journalistischen Arbeit mit verdächtig mangelhafter Fachkenntnis [z.B.15] für Verwirrung. So, wenn er behauptet, die Sitzblockade würde aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes nicht mehr als Nötigung bestraft:
Das nämlich ist schlichtweg…..falsch. Grundsätzlich ist zu dem erwähnten Vorgang anzumerken, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts [12] nicht nur nicht einstimmig gefällt wurde, sondern dass drei von acht beteiligten Richtern ihm in einer sogenannten Abweichenden Meinung sogar dezidiert widersprachen. Aber selbst unter Berücksichtigung der trotzdem bestehenden Gültigkeit der 1 BvR 718, 719, 722, 723/89 des BVerfGE ist es Unfug, wie Heribert Prantl generalisierend zu behaupten, Sitzblockaden könnten nicht als Nötigung bestraft werden. Erstens muss die Blockade selbst strengen Anforderungen genügen -wer sich z.B. ankettet [13] oder gegen das Wegtragen durch die Polizei wehrt, der „nötigt” auch heute noch- und zweitens wird bei einer Fahrzeugkolonne, die durch eine Sitzblockade aufgehalten wird, zwar nicht der Fahrer des ersten Fahrzeugs genötigt, aber schon gegenüber dem dahinter stehenden nächsten Fahrzeug macht sich der selbst legitimierte Sitzblockierer dann doch des Straftatbestandes der Nötigung schuldig.
Erstaunlich, dass der sonst so ethisch wie philosophisch weit blickende Artikelschreiber ausgerechnet zu einer Sitzblockade keine entsprechend stringente Betrachtungsweise aufzubringen in der Lage ist. Tatsache ist doch, dass eine Versammlung, die von Artikel 8 des Grundgesetzes [16] geschützt sein will, in der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts “eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung” ist [17]. Sie, die Versammlung, ist also ein Instrument der ebenfalls vom Grundgesetz garantierten freien Meinungsäußerung [18]. „Blockieren” aber heißt im Wortsinn „absperren” und ist damit etwas gänzlich anderes, als die Kundgabe einer Meinung. Wer also, wie es unsere parlamentarische Demokratie vorsieht, durch verantwortliche Meinungsbildung und in der Folge durch Wahlen bestimmte Entscheidungen oder Vorgehensweisen des Staates legitimierte, sieht sich im Fall der Blockade selbiger durch anders denkende, „friedliche” Sitzblockierer in seinen Rechten beschnitten. Demokratische Prozesse werden so, ganz wie es „Unruhestifter” Prantl im Sinn hat, nicht mehr von der Mehrheit des Volkes bestimmt, sondern von der Minderheit der mehr oder weniger gewaltbereiten Blockierer am Ort des Geschehens. Die Devise ist: Scheiß auf die Wahlurne, wir haben ja die Straße.
Prantl schreibt in einem Kommentar zur Folter völlig richtig:
“Die Werber [für die Folter] sehen in der Folter einen Anwendungsfall des Satzes: Opferschutz geht vor Täterschutz. Sie glauben, dass man Folter quasi domestizieren und Exzesse verhindern könne. Sie verkennen, dass die Folter selbst der Exzess ist. Ein bisschen Folter soll angeblich sein dürfen” [19]
Wäre er nicht so ideologisch eingeschränkt in seinen Sichtweisen, würde er erkennen, dass er damit auch ein zutreffendes Urteil über das gefällt hat, was er als Demokratisches Elixier Unruhegeist missdeutet. Es ist nicht der geschärfte, ruhelose Verstand des Bürgers, den er idealisiert, nicht dessen waches, politisches Engagement; es sind die Gosse und der revoltierende Pöbel, denen er einzig die Verwirklichung -seiner eigenen?- politischen Ziele zutraut. Ob er glaubt dass man den Pöbel quasi domestizieren und Exzesse verhindern könne, wage ich mit einem Blick in die -auch jüngere- Geschichte zu bezweifeln. Tatsache ist, dass die von ihm propagierte Form der Unruhe auf der Straße bereits “selbst der Exzess” ist. Sein Plädoyer vom vergangenen Wochenende stellt also nichts anderes dar, als eine Rote Hilfe für den Pöbel.
Mit tönendem Gruß
Ihr Moritatensaenger
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/523/467101/text/
[2] http://stadtarchiv.memmingen.de/918.html
[3] http://www.br-online.de/bayern/einst-und-jetzt/sendlinger-mordweihnacht-DID1211995134086/index.xml
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Fliegende_Bl%C3%A4tter
[5] Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 2003, S.1554
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Friedensunion
[7] „Die unterwanderte Republik. Stasi im Westen.”, Hubertus Knabe, Propyläen
[8] http://209.85.129.132/search?q=cache:wEix_9nsqRYJ:www.infopartisan.net/trend/trd1207/t151207.html+Ich+halte+es+f%C3%BCr+psychologisch+aussichtslos&cd=2&hl=de&ct=clnk&gl=de
[9] http://www.dhm.de/ausstellungen/klemm/boell.htm
[10] http://de.wikipedia.org/wiki/Ronald_Schill#.C3.96ffentliche_Wahrnehmung_als_Richter
[11] http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/29094/1/1#texttitel
[12] http://www.servat.unibe.ch/law/dfr/bv092001.html
[13] http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20011024_1bvr119090.html
[14] http://www.sueddeutsche.de/politik/523/467101/text/5/ (dort 5. Absatz)
[15] http://www.suedwatch.de/blog/?p=350
[16] http://dejure.org/gesetze/GG/8.html
[17] „Versammlungen - Rechtliche, strategisch-taktische, politische, psychologische und ethische Fragen”, Dirk Staak/Stephan Schwentuchowski, S. 51
[18] http://dejure.org/gesetze/GG/5.html