Fachkräftemangel bei der SZ
27. April 2011 von Jaspis
Ach, hätte die SZ doch wenigstens einen Juristen im Haus, der sich auch ein bisschen mit dem Familienrecht auskennt. Dann müsste sie die Zeit ihrer Leser nicht mit so nichtssagenden und Verwirrung stiftenden Artikeln wie diesen stehlen: [1]
Dazu wäre es hilfreich zu wissen, dass vor der Unterhaltsrechtsreform ein starres Altersphasenmodell galt: War das jüngste Kind noch nicht in der dritten Grundschulklasse, musste der betreuende Elternteil gar nicht arbeiten, dann Teilzeit und ab dem 15. Geburtstag des jüngsten Kindes voll. Und das unabhängig vom konkreten Betreuungsbedarf des jeweiligen Kindes und unabhängig von den aushäusigen Betreuungsmöglichkeiten. Das war zwar einfach und für alle Beteiligten leicht zu durchschauen.
Dass dieses Modell aber dem Einzelfall nicht gerecht werden konnte, liegt auf der Hand: Es gibt 13jährige, die noch volle Unterstützung bei den Hausaufgaben und viel persönliche Zuwendung benötigen, während manche Neunjährige trotz (oder wegen) Hortbesuchs problemlos den Übertritt aufs Gymnasium schaffen und lieber mit Gleichaltrigen herumtollen. An manchen Orten gibt es Vollversorgung von Ganztageskindergarten bis zum Hort bis 18 Uhr, an anderen Orten gibt es nicht einmal eine Mittagsbetreuung. An manchen Orten gibt es Arbeitsplätze fast vor der Haustüre, in anderen Gegenden muss man eine Fahrtzeit von täglich zwei und mehr Stunden in Kauf nehmen, was bei vollschichtiger Tätigkeit eine Abwesenheit von zwölf Stunden ausmachen kann.
Das alles war früher egal, es galt das Altersphasenmodell und damit basta. Die Unterhaltsreform hat damit aufgeräumt. Sie verlangt die Einzelfallbetrachtung und schafft insoweit eine Beweislastumkehr: Ab dem dritten Geburtstag des Kindes muss der betreuende Elternteil nachweisen, dass das Kind den behaupteten Betreuungsbedarf hat, dass es keine aushäusigen Betreuuungsmöglichkeiten gibt oder dass er bzw. sie nur in Teilzeit arbeiten kann, weil alle verfügbaren Arbeitsplätze nur mit langer Fahrtzeit erreichbar sind.
Das alles hat der BGH schon einmal festgestellt, nämlich in seinem Urteil vom 15. September 2010 (AZ: XII ZR 20/09), und nun noch fortgeführt:[2]
Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen nach § 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB ist stets zunächst der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Kindesbetreuung auf andere Weise gesichert ist oder in kindgerechten Betreuungseinrichtungen gesichert werden könnte. Ein Altersphasenmodell, das bei der Frage der Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen allein oder wesentlich auf das Alter des Kindes, etwa während der Kindergarten- und Grundschulzeit, abstellt, wird diesen Anforderungen nicht gerecht (im Anschluss an das Senatsurteil vom 15. September 2010 - XII ZR 20/09 - FamRZ 2010, 1880). [Hervorhebungen: Jaspis]
Nicht die erhöhte Indiepflichtnahme des betreuenden Elternteiles, also die “Verschärfung der Arbeitspflicht Alleinerziehender” und die Erleichterung des zum Barunterhalt Verpflichteten ist der Grundtenor dieser Entscheidung, so wie das der irreführende SZ-Artikel weis machen will. Sondern Grundtenor der Entscheidung ist, wie schon im letzten September, dass das Altersphasenmodell endgültig ausgedient hat: Das Alter des Kindes allein ist nicht mehr der Maßstab für seinen Betreuungsbedarf. Sondern es kommt auf den Einzelfall an.
In ihrem Bestreben, die Ungerechtigkeit gegen die Alleinerziehenden in einer Art Pseudo-Solidarität in die Welt hinauszuschreien, übersieht die SZ, dass diejenigen, die am meisten Schutz benötigen, nun besser geschützt sind als vorher, nämlich die Kinder. Sie werden jetzt jedes für sich angesehen und nicht mehr nach Schema F eingruppiert, nur weil sie ein bestimmtes Alter erreicht haben. Diese Einzelfallbetrachtung ist der große Gewinn der Unterhaltsreform. Doch leider ist man bei der SZ vor lauter ideologischer Verblendung noch nicht einmal imstande, das Offensichtliche zu erkennen. Aber wie denn auch, wenn selbst die “Hausjuristen” sich eher für ideologische Ausschweifungen berufen fühlen als für das Lesen - und womöglich gar Erklären - höchstrichterlicher Urteile.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/leben/urteil-in-karlsruhe-bgh-verschaerft-arbeitspflicht-alleinerziehender-1.1089090
[2] http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&az=XII%20ZR%203/09&nr=55855
2 Reaktionen zu “Fachkräftemangel bei der SZ”
Der Gefaellt mir Button wuerde sich gut auf der Seite machen, oder finde ich ihn nur nicht?
Gute Idee, danke. Ich werde das mal an die “Technik” weitergeben.
Viele Grüße
Jaspis