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Krokodilstränen

9. Februar 2011 von Jaspis

Heute war auf sueddeutsche.de ein Bericht über Emeka Okoronkwo zu lesen, der im Mai des vergangenen Jahres seine Zivilcourage mit seinem Leben bezahlen musste: [1]

der-vergessene-held

Nach seinem Abschied aus einem Salsa-Klub kam er gegen 6:40 Uhr auf der Münchener Straße mit zwei Frauen ins Gespräch. Die damals 29-Jährige Deutsche und ihre 43 Jahre alte deutsche Freundin hatten zuvor auch in der bekannten Disco getanzt.
Zwei Eritreer, die zufällig vorbeikamen, pöbelten die Frauen an. Als die Jüngere sich wehrte, wurde sie angespuckt. Da mischte sich Emeka ein, einer der beiden Männer spuckte auch ihm ins Gesicht.
Im Gerangel der drei Männer stach der 35-Jährige Angeklagte dem jungen Okoronkwo ins Herz. Er sackte zusammen, kämpfte im Krankenhaus noch wenige Stunden um sein Leben - und starb.

Doch allein mit diesem etwas spärlich ausgefallenen Bericht über die mittlerweile ein Dreivierteljahr zurückliegenden Ereignisse begnügt sich der Artikel nicht. Nein, er klagt auch an:

Während Dominik Brunners Tod im September 2009 und der Prozess gegen die beiden Täter bundesweit für enormes Aufsehen sorgten, ist der gewaltsame Tod Okoronkwos nur wenigen Menschen außerhalb Frankfurts bekannt.

Dass Emeka Okoronkwo bei weitem nicht die verdiente Aufmerksamkeit der Medien und Amtsträger erfahren hat, so wie Dominik Brunner, ist eine traurige Tatsache. Dass sein gewaltsamer Tod aber “nur wenigen Menschen außerhalb Frankfurts bekannt” geworden sei, das stimmt so nicht:

Thomas Österlicher widmet Emeka Okoronkwo auf evangelisch.de einen sehr ausführlichen Artikel. [2]

Emeka ist ein aufgeweckter, kontaktfreudiger Junge, der in Langen und im benachbarten Sprendlingen zur Schule geht und sich gern im Sprendlinger Jugendzentrum aufhält. Er nimmt sogar an einem Training teil, um zu lernen, wie man Streit schlichtet. (…)
Die 36-Jährige [für die pädagogische Betreuung der Auszubildenden zuständige DiplompsychologinSania Zyan, Anm. Jaspis] beschreibt ihren Schützling als ausgesprochen liebenswürdigen Menschen, der obendrein nicht rauchte und nichts von Alkohol oder Drogen hielt. “Wenn Emeka in den Raum trat, hat man eine Veränderung bemerkt.” Sein tänzelnder Schritt, seine Präsenz, seine Wahrnehmung für die Umgebung: Das war Emeka. “Er war in allem, was er tat, engagiert. Wenn Leute zusammenstanden, hat er sich dazu gestellt, egal ob bei den Azubis oder anderen Leuten hier im Haus. Immer nett und nie aufdringlich.”
Will man es dramatisch formulieren, kann man sagen: Seine Aufmerksamkeit für andere wird Emeka Okoronkwo zum Verhängnis.

Auf spiegel.de beschreibt Julia Jüttner den Fall [3]

Im Polizeipräsidium haben die Beamten der Mordkommission inzwischen die letzten Minuten im Leben des 21-Jährigen rekonstruiert. Fest steht, dass Okoronkwo zwei Frauen helfen wollte, die von fremden Männern bedrängt wurden. Die Frauen hatten um 6.40 Uhr die Salsa-Discothek “Chango” verlassen und warteten an der nahegelegenen Haltestelle auf die nächste Straßenbahn. Dort stand auch Okoronkwo, der ebenfalls auf die Tram wartete. Man kannte sich nicht und sprach auch nicht miteinander.
Auf die drei schlenderten zwei Afrikaner zu, sprachen die 29 und 43 Jahre alten Frauen “in obszöner Art und Weise” an, wie Polizeisprecher Alexander Kießling sagte. Es sei darum gegangen, die Frauen zum Sex zu drängen. Die Männer aus Eritrea bepöbelten die beiden wüst, die Frauen wehrten sich verbal. Die Männer wurden aggressiv, einer spuckte den Frauen ins Gesicht.
Da schritt Emeka Okoronkwo ein und stellte sich schützend vor die Opfer. “Unseren Erkenntnissen zufolge kam es zu einer Rangelei zwischen ihm und den beiden Tätern”, sagt Kießling. Das Handgemenge dauerte laut Polizei keine Minute, plötzlich zog dann einer der Männer ein Messer und stach Okoronkwo gezielt links in die Brust. Der Nigerianer sackte zusammen. Einige Stunden später erlag er in einem Krankenhaus seinen schweren Verletzungen an der Herzkammer.

bild.de berichtete [4]
bild

und welt.de; [5] FAZ [6] und die Frankfurter Rundschau sowieso. [7]

Bloß sueddeutsche.de war der Vorfall kein Wort der Erwähnung wert. Was hat sueddeutsche.de, die heute tränenreich das Desinteresse an diesem Fall anprangert, nur daran gehindert, selbst die Initiative zu ergreifen und ihre Leserschaft zu informieren und womöglich zu mobilisieren? Woran mag diese Untätigkeit liegen? Am Opfer, ein Nigerianer? An den Tätern, zwei Eritreern?

Oder lag es vielleicht daran, dass man bei sueddeutsche.de noch nicht so recht verstanden hat, was Zivilcourage überhaupt ist, so dass auch die Berichterstattung über den Fall Dominik Brunners nicht mehr als ein Schwimmen mit dem Strom war? Das würde nicht verwundern. Schließlich hat vor geraumer Zeit Violetta Simon für sueddeutsche.de erklärt, was Zivilcourage eigentlich ist. Sie wissen schon: Violetta Simon, die Spezialistin bei sueddeutsche.de für - äh - die wirklich relevanten Dinge des Lebens:



kidman[8]

lagerfelds-squaw[9]
Violetta Simon also hat es den aufmerksamen sueddeutsche.de-Lesern erklärt: [10]

Unser Alltag bietet viel öfter Gelegenheit zur Zivilcourage, als wir vermuten würden.

“Je mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land hat, desto weniger Helden wird es einmal brauchen.” Wer würde an dem Zitat der Journalistin Franca Magnani zweifeln. Dennoch fühlen wir uns von einem großen Begriff wie “Zivilcourage” oft nicht angesprochen, denken an Flüchtlingshilfe, blutige Proteste und Bürgerrechtler, sehen Bilder von Anfeindung, Gewalttätigkeit und Aggression. Wir erinnern uns an Mahatma Gandhi, der sich für seine Sache beinahe zu Tode hungerte, und Martin Luther King, der im Kampf gegen Rassendiskriminierung sein Leben gab. Helden, die weder Prügel noch Pranger fürchten. Nichts für uns also.

Nun, bevor wir uns also in solch schreckliche Gefahr begeben, uns “Prügel oder Pranger” aussetzen - oder vielleicht per Handy um Hilfe rufen oder als Zeugen zur Verfügung stehen - bietet Violetta Simon die ultimative Gewissensberuhigung, die jeden anderen Einsatz ersetzt:

Dabei bietet unser direktes Umfeld im Alltag viel öfter Gelegenheit zur Courage, als wir vermuten würden. Und damit sind noch nicht einmal die Horrorszenarien gemeint, von denen wir immer wieder hören: Frauen, die verprügelt oder Ausländer, die in der S-Bahn angepöbelt werden; Kinder, die in Schwimmbädern ertrinken - das alles in Anwesenheit von Passanten oder Schaulustigen.

Nein, das muss nicht sein. Frau Simon zeigt, womit man höchsten Ansprüchen genüge leistet:

Eine Frau läuft auf der Straße, mehrere Passanten drehen sich um und lachen. Der Grund: Sie hat nach einem Toilettenbesuch offenbar den hinteren Teil ihres Rocks mit in die Strumpfhose gesteckt und nun sind ihr Slip und die Beine der Öffentlichkeit schutzlos ausgeliefert. Es dauert Minuten, bis sich endlich jemand erbarmt und die Ahnungslose anspricht.

Man stelle sich nur vor, dasselbe passiert im Büro: Der oder die Vorgesetzte erscheint zum Meeting und hat vergessen, die Hose zu schließen. Wer möchte schon derjenige sein, der den Faux Pas anspricht?

Ohne Zweifel - wer in so einer Situation den Mund aufmacht, beweist Zivilcourage.

Möglicherweise war die sueddeutsche.de-Redaktion im letzten Mai mit einer vergleichbaren Situation bereits völlig ausgelastet (vielleicht war es aber auch nur Nicole Kidmans “Schwerelosigkeit”) und konnte deshalb nicht über Emeka Okoronkwo berichten, wer weiß.

Doch eines ist sicher: Die Tränen, die sueddeutsche.de heute darüber vergießt, dass “der gewaltsame Tod Okoronkwos nur wenigen Menschen außerhalb Frankfurts bekannt” sei, die sind nichts weiter als Krokodilstränen.





Jaspis






[1] http://www.sueddeutsche.de/panorama/zivilcourage-prozessauftakt-in-frankfurt-am-main-der-vergessene-held-1.1057534

[2] http://www.evangelisch.de/themen/gesellschaft/du-bist-ein-held-die-geschichte-des-emeka-o18197
[3] http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,693644,00.html
[4] http://www.bild.de/BILD/news/2010/05/07/wie-beim-drama-um-dominik-brunner/nigerianer-21-bezahlte-zivilcourage-mit-seinem-leben.html
[5] http://www.welt.de/vermischtes/article7671382/Emeka-Okoronkwo-Held-der-Zivilcourage.html
[6] http://www.faz.net/s/RubFAE83B7DDEFD4F2882ED5B3C15AC43E2/Doc~EA3D819BFC0F24417A062A62AF8209E6C~ATpl~Ecommon~Scontent.html
[7] http://www.fr-online.de/rhein-main/buergermeisterin-kommt-zur-beerdigung/-/1472796/4453792/-/index.html

[8] http://www.sueddeutsche.de/leben/vip-klick-nicole-kidman-es-lebe-die-schwerelosigkeit-1.946245
[9] http://www.sueddeutsche.de/leben/natalia-woerner-im-playboy-lagerfelds-squaw-1.1057551
[10] http://www.sueddeutsche.de/leben/zivilcourage-und-ehrenamt-entschuldigung-ihr-slip-ist-zu-sehen-1.464763

Geschrieben in Es stand -nicht- in der SZ, NonSZens, SZ-Kritik Allgemein, SZcheinheilig, Sprachverwirrung | 4 Kommentare

4 Reaktionen zu “Krokodilstränen”

  1. am 10 Feb 2011 um 17:571Ein Blogleser

    Herrje. Das sueddeutsche.de den Fall damals nicht aufgegriffen hat, finden Sie also schlimm. Und das sueddeutsche.de den Fall jetzt aufgreift, finden Sie noch schlimmer.

  2. am 10 Feb 2011 um 17:582Ein Blogleser

    Schön auch:

    “Geschrieben in Es stand -nicht- in der SZ, NonSZens, SZ-Kritik Allgemein, SZcheinheilig, Sprachverwirrung”.

    Die Benennung der Kategorien spricht wohl für sich. Krawall um jeden Preis.

  3. am 10 Feb 2011 um 20:483jaspis

    Lieber Blogleser,

    unsere Leser sind im Allgemeinen des Lesens mächtig und der Transferleistung fähig, ich erkläre es Ihnen aber gerne:

    Dass sueddeutsche.de den Fall damals nicht aufgegriffen hat, finde ich schlimm. Korrekt. Sie nicht?
    Dass sueddeutsche.de den Fall jetzt wenigstens endlich aufgegriffen hat, finde ich völlig in Ordnung, etwas anderes werden Sie in meinem Artikel nicht finden. Was ich nicht in Ordnung finde, ist das Lamentieren darüber, dass das bislang nicht passiert ist. sueddeutsche.de hatte es selbst in der Hand, etwas daran zu ändern - und hat es nicht getan.

    Zu den Schlagwörtern:

    “Es stand - nicht - in der SZ” = die fehlende Berichterstattung bisher
    “SZcheinheilig” und “SZ-Kritik Allgemein” = das Lamentieren über die fehlende Berichterstattung, die sueddeutsche.de selbst fabriziert hat
    “NonSZens” und “Sprachverwirrung” = die wirren Versuche der Violetta Simon, “Zivilcourage” zu erklären

    Durchaus, die Benennung der Kategorien spricht für sich. Und Krawall? Wenn Sie meinen. Ich finde, etwas “Krawall” im Blätterwald hätte Emeka Okoronkwo schon verdient. Nur war das der sueddeutsche.de-Redaktion leider völlig egal.

    Mit freundlichem Gruß
    Jaspis

  4. am 11 Feb 2011 um 13:064Blog Leser

    Ich weiß nicht, ob sie schon einmal vor einem Nachrichtenticker gesessen haben: Es ist die Hölle. Abertausende Nachrichten pro Tag. Jetzt werden Sie sagen: Es ist die SZ, die muss das können. Aber leider passieren auch in der besten Redaktion Fehler. (Zumal es sich hierbei nicht um die SZ-, sondern die sueddeutsche.de-Redaktion zu handeln scheint, die allem Anschein nach personell deutlichdeutlichdeutlich schlechter ausgestattet ist).

    Ich sage: ist doch schön, dass die Redaktion nachträglich auf die Sache anspringt. Dass sie dann nicht schreibt: “Oh, sorry, das haben wir damals verpennt, jetzt bringen wir es groß”, sehen Sie ihr bitte nach. So viel Selbstreferentialität ist im (deutschen) Journalismus eben nicht üblich.

    Das kann man schade finden, aber Ihre Kritik an der Heuchlerei usw. finde ich dann doch, wie anfangs angedeutet: völlig daneben.

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