Tomas Avenarius und die herzigen Brüder
3. Februar 2011 von Jaspis
Tomas Avenarius hat sein Herz für die Muslimbruderschaft entdeckt:
[1]
Sie wurden eingesperrt oder endeten am Galgen - und sind trotzdem die am besten organisierte Oppositionskraft
Unbestritten: Die Anhänger der Muslimbruderschaft wurden unter dem Mubarak-Regime mit nicht gerade demokratischen Absichten sondern zum reinen Machterhalt verfolgt. Aber macht sie das schon zu Heiligen? Für Tomas Avenarius und die SZ-Redaktion anscheinend schon. Und dennoch, jedoch erstaunlich:
US-Präsident Barack Obama graut es vor ihnen.
Nicht nur das:
im Westen wird bereits die Angst vor den Fundamentalisten geschürt.
Wenn Angst “geschürt” werden muss, dann ist sie dem Grunde nach unberechtigt. Das jedenfalls will Tomas Avenarius hier suggerieren.
Ein wenig halbherzig beschreibt er dieses “Herz der Revolution” als “schwer zu durchschauende Organisation”, die früher Attentate begangen hat, verboten und verfolgt wurde und mittlerweile “zumindest offiziell Abstand von Gewalt genommen” haben.
Sie wurden eingesperrt, von Wahlen ausgeschlossen, bei Bedarf politisch instrumentalisiert. Dennoch bestreitet keiner, dass die Brüder die stärkste und am besten organisierte Opposition sind. Zudem sind sie eine Art Schirm für andere Fundamentalistengruppen; die palästinensische Hamas etwa erwuchs aus der ägyptischen Organisation.
Unter Mubarak haben die Brüder Ägyptens Neo-Islamisierung betrieben. Sie unterwandern Berufsverbände, unterhalten ihren eigenen Wohlfahrtsapparat in einem Land, in dem das staatliche Sozialsystem schwach ist: Kliniken, Suppenküchen, Schulen, Moscheen. Das Graswurzel-Modell funktioniert; parallel zum Trend der Neo-Islamisierung in allen arabischen Staaten ist der ägyptische Alltag re-islamisiert worden.
Jetzt müssen die Brüder bald zeigen, ob sie den nicht nur im Westen gefürchteten islamischen Staat wollen oder sich an die demokratischen Spielregeln halten.
… und wenn ja, wie lange, hat Tomas Avenarius noch vergessen zu erwähnen. Denn dass es damit hapern könnte, befürchten Barack Obama und Benjamin Netanjahu nicht ohne Grund.
Israels Premier Benjamin Netanjahu würdigt mit keinem Wort den bevorstehenden Sturz des Despoten Mubarak, stattdessen warnt er vor dem Chaos danach; das könnten die Islamisten der Muslimbruderschaft nutzen, um den Friedensvertrag Ägyptens mit Israel in Frage zu stellen: “Aus Ägypten könnte ein Gottesstaat wie Iran werden.”
Auch dem US-Präsident Barack Obama graut es vor dem politischen Gewicht der Muslimbrüder.
Die Empörung über Netanjahu geht fehl.
Vor allem die islamistische Gefahr ist es, die die Israelis umtreibt. Die Europäer gelten hier einmal mehr als naiv. “Es geht in diesem Kampf nicht um Mubarak gegen pro-demokratische Elemente, sondern um Mubarak und die Muslim-Bruderschaft”, wird der Generalmajor a.D. und frühere Nationale Sicherheitsberater Giora Eiland zitiert. Der bange Blick richtet sich dabei immer auch auf das Jahr 1979 und Iran. Mit dem Schah hatte Israel gedeihliche Beziehungen, sein Sturz brachte ein Regime an die Macht, das Israel heute in seiner Existenz bedroht. Eine ähnliche Entwicklung in Ägypten wäre schlicht eine Katastrophe.
konnte man letzte Woche bei Peter Münch lesen. [2]
Tomas Avenarius aber scheint zu glauben, das größte Problem an der Muslimbrüderschaft wäre ihre politische Stärke und der bloße Machterhalt die einzige Sorge “des Westens”. Mehr Grund, ihnen mit Skepsis zu begegnen, gibt es für ihn anscheinend nicht. Man weiß schließlich nicht, wie die Revolution ausgeht und letztlich muss sich die Muslimbrüderschaft dann eben beweisen.
Der brave sueddeutsche.de-Leser kann daran auch keine größeren Zweifel haben, denn das, was er von seiner Haus-Zeitung über die Muslimbrüderschaft erfährt, ist
Offen dagegen ist, wie lange dieses Zweckbündnis zwischen ElBaradei und den Muslimbrüdern halten wird, sobald das gemeinsame Ziel erreicht ist, nämlich Mubarak zu stürzen. Die Islamisten betrachten ihn offenkundig nur als Übergangsfigur. “Wir unterstützen ElBaradei darin, den Wandel anzuführen”, sagte Mohamed El Beltagi, ein früherer Parlamentsabgeordneter und Führer der Bruderschaft. “Wir versuchen, eine demokratische Arena zu schaffen, bevor wir beginnen, darin zu spielen”, fügte er hinzu. [3]
11:05 Uhr In Sprechchören und auf Transparenten verlangen die Demonstranten erneut Mubaraks Rücktritt. An einer Ampel wurde eine Mubarak-Puppe symbolisch erhängt. Auffällig ist, dass unter den Demonstranten deutlich mehr Vertreter der Muslimbruderschaft als zuletzt zu sehen sind. Ein Vertreter der islamistischen Organisation sagte einer dpa-Reporterin: “Wir sind eine gut organisierte Bewegung. Es wird Zeit, dass auch wir auf diesem Platz reden dürfen.” Die Muslimbrüder sind in Ägypten offiziell verboten, haben aber viele Anhänger. [4]
Die Muslimbruderschaft wurde in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegründet und ist die größte und am weitesten vernetzte Oppositionsgruppe in Ägypten. Sie wurden in den frühen Jahren der Republik stark verfolgt, seit einiger Zeit dürfen sie einzelne Abgeordnete ins Parlament schicken. Die Bruderschaft ist sozial engagiert und betreibt beispielsweise Krankenhäuser. Die islamistische Gruppe forciert seit langem den Sturz Mubaraks. Inzwischen haben die Muslimbrüder erklärt, eine Übergangsregierung unter Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei mittragen zu wollen. Die Bruderschaft könnte mittelfristig selbst die Macht am Nil erringen. [5]
Kurz: Nach den Informationen, die sueddeutsche.de über die Muslimbrüderschaft liefert, handelt es sich um eine Bewegung, die vor allem karitative Tätigkeit entfaltet und der nun an der Demokratie in ihrem Land gelegen ist.
Woher mögen nur diese Zweifel in Israel und USA herrühren?
Ein kleiner Blick in die Verfassungsschutzberichte hierzulande:
Grafik: Verfassungsschutzbericht Bayern 2006 [6]
Das erklärte Ziel der ‘Muslimbruderschaft’ (MB) ist die Ablösung der als unislamisch geltenden Regime in den muslimischen Staaten, notfalls unter Anwendung von Gewalt. (…) Die 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten gegründete ‘Muslimbruderschaft’ ist die einflussreichste und älteste islamistische Bewegung des modernen politischen Islam. Als pan-islamisch ausgerichtete Organisation ist sie nicht nur in allen arabischen Staaten verbreitet, sondern nach eigenen Angaben in 70 Ländern weltweit vertreten. Nach ihrer Ideologie sind die meisten Regime in der muslimischen Welt unislamisch.
Ziel der MB ist deren Umgestaltung in Staaten islamistischer Prägung auf der Grundlage der Scharia, der islamischen Rechts- und Lebensordnung. [7]
Das karitative Engagement der MB, vor allem bei der Einrichtung und dem Betrieb von Schulen, Krankenhäusern und Ambulanzen, stößt in weiten Teilen der Bevölkerung auf große Resonanz und garantiert ihr politischen und gesellschaftlichen Rückhalt. Die ägyptische Regierung sieht daher in der MB den größten Herausforderer und reagiert hierauf auch mit repressiven Maß nahmen. Verhaftungen von MB-Funktionären und -Anhängern sind an der Tagesordnung. Weiteren Einschränkungen ihrer politischen Aktivitäten, die mit einem Verfassungsreferendum im März 2007 eingeführt worden waren, begegnete die MB Mitte Oktober 2007 mit der Vorlage des ersten Entwurfs eines politi schen „Parteiprogramms“, in dem sie auf konservative islamistische Positionen zurückgreift. So wird z.B. Frauen und Christen das Recht auf Ausübung öffentlicher Ämter abgesprochen; ferner solle dem Parlament künftig ein „Geistlichenrat“ bei Entscheidungen zur Seite stehen. [8]
Gerade in den Tagen, in denen in der EU über eine gesetzliche Frauenquote nachgedacht wird, die Frauen einen Platz in Führungspositionen garantieren soll, scheinen bei sueddeutsche.de Pläne, Frauen die Ausübung öffentlicher Ämter zu verbieten, ein Schritt in Richtung zu Demokratie sein.
Anfang 2004 übernahm Mohamed Mahdi Akef die Führung des ägyptischen Zweigs der MB. Akef hatte Mitte der 80er Jahre das der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) zugehörige Islamische Zentrum München (IZM) geleitet. Er war in seiner Jugend mit dem MB-Gründer Hassan al-Banna befreundet. Später wurde er wegen eines geplanten Anschlags auf den ägyptischen Präsidenten zum Tode ver- urteilt und schließlich nach 20 Jahren Gefängnis begnadigt. Schon von Deutschland aus baute er seinen Einfluss auf den internationalen Zweig der MB aus. In seiner Person zeigt sich die personelle und ideologische Kontinuität der MB.
In einem offenen Brief, der im August im Internet veröffentlicht wurde, sprach sich Akef für den bewaffneten Kampf gegen Israel aus. Anlass waren die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Hizb Allah und der israelischen Armee im Libanon:
„Dann kam diese nicht ausgewogene Schlacht, die gezeigt hat, dass das Besiegen dieser Armee möglich ist, nicht nur durch Armeen, sondern mit Kämpfern, die an Allah glauben und nach dem Martyrium streben. (…) Aus diesem Grunde rufen wir dazu auf, alle jungen Menschen, die den Djihad wünschen, in allen islamischen und arabischen Ländern zu trainieren, damit sie als die Speerspitzen der Armeen und an deren Seite in der Schlacht der Befreiung und der Würde kämpfen werden.“
In einem Interview mit dem Hizb Allah-eigenen libanesischen Fernsehender „al-Manar“ äußerte Akef am 2. August, er bedauere es, dass man derzeit nur materielle Hilfe und ideelle Unterstützung leisten könne, aber der Tag werde kommen, an dem man wie ein Mann mit den Libanesen zusammenstehen und gegen den zionistischen Feind kämpfen werde. (…)
Offiziell haben sich die meisten Zweige der MB von der Gewalt abgewandt. Aussagen Mahdi Akefs und Selbstmordattentate der palästinensischen Sektion der MB „Islamische Widerstandsbewegung“ (HAMAS) zeigen indes, dass die MB Gewalt weiterhin als legitimes politisches Mittel betrachtet.
[6]
Anscheinend ist Tomas Avenarius der Auffassung, man müsse es die Muslimbruderschaft doch einfach nur einmal versuchen lassen, vielleicht klappt es ja auch. Die Parallelen zum Iran sind jedoch nicht übersehbar. Der Nicht-Eintritt der Demokratie ebenfalls. Schon vergessen?
Proteste in Ägypten [9]
Demonstrationen in Teheran [10]
Die “Demokratie”, die im Iran herrscht, ist keine, auch wenn das von SZ-Redakteuren bisweilen gerne Glauben gemacht werden soll.
Die Muslimbruderschaft weist sich durch ein mehr als zweifelhaftes Demokratieverständnis, gepaart mit einer offen aggressiven Haltung gegenüber Israel aus.
Da müssen “im Westen” keine Ängste geschürt werden. Die sind schon da. Und sie sind nur zu berechtigt.
Update 05.02.2011 11:15 Uhr:
Der geistliche Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, hat die ägyptische Bevölkerung aufgerufen, den Protest fortzusetzen, bis ein auf der “islamischen Religion basierendes Regime des Volkes” gebildet sei. Beim traditionellen politischen Freitagsgebet in Teheran bezeichnete er die Unruhen in zahlreichen arabischen Ländern als die Fortsetzung dessen, was vor 32 Jahren mit der Islamischen Revolution in Iran begonnen habe.
“Die Ereignisse in Nordafrika und Ländern wie Ägypten und Tunesien haben für das iranische Volk eine ganz besondere Bedeutung. Das ist genau das, wovon wir ständig gesprochen haben, nämlich die islamische Erleuchtung als Folge der großen islamischen Revolution der iranischen Nation,” so Chamenei. [11]
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/aegypten-muslimbrueder-das-herz-der-revolution-1.1054115
[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/israel-und-die-arabische-welt-das-echo-der-revolution-1.1052755
[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/aegypten-mohamed-elbaradei-das-gesicht-der-revolution-1.1054161
[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/live-ticker-proteste-in-aegypten-regime-stoppt-zugverkehr-1.1053181-2
[5] http://www.sueddeutsche.de/politik/krise-in-aegypten-die-akteure-das-volk-der-pharao-und-die-islamisten-1.1053224-3
[6] http://www.verwaltung.bayern.de/Anlage2049638/VerfassungsschutzberichtBayern2006.pdf
[7] http://www.im.nrw.de/imshop/shopdocs/Verfassungsschutzbericht_2008.pdf
[8] http://www.verfassungsschutz.de/de/publikationen/verfassungsschutzbericht/vsbericht_2007/vsbericht_2007.pdf
[9] http://www.sueddeutsche.de/politik/proteste-in-aegypten-verschwinde-verschwinde-1.1054198-2
[10] http://images.google.com/images?ie=UTF-8&oe=UTF-8&q=Demonstration%20in%20Teheran&biw=1280&bih=595
[11] http://www.tagesschau.de/ausland/iranreaktionen100.html