Rudolph Chimellis Werbetrommel für die Intifada oder: Die Sache mit dem Teufel und dem Beelzebub
24. Januar 2011 von Jaspis
Der erste Versuch, in Tunesien eine neue Regierung zu bilden, gestaltete sich schwierig. Der Diktator ist weg, seine Mannschaft noch da. Demokratie soll jetzt her, aber mit wem. Oppositionelle formieren sich, auch solche, die von Ben Ali eingesperrt und gefoltert wurden.
Während der Revolte gegen die Diktatur waren die verbotenen Islamisten nicht hervorgetreten. Jetzt melden sie sich zurück. Ihr Führer Rached Ghannouchi hat seine Rückkehr aus dem Londoner Exil angekündigt.
Zur Wahl des künftigen Präsidenten wird an-Nahda zwar keinen Kandidaten aufstellen, an den Parlamentswahlen will sie aber teilnehmen. “Es gibt ohne sie keinen Übergang zur Demokratie”, sagt ihr Pariser Sprecher.
Die Begründung:
Ghannouchi definiert seine Formation als “islamistisch und demokratisch, sehr nahe der türkischen AKP”. Ein Kenner urteilt, der heute 69-Jährige hätte vor der Zerschlagung der Bewegung das Zeug zu einem “tunesischen Erdogan” gehabt. Le Monde zitiert ihn, an-Nahda erkenne Tunesiens Statut der Frauen an, die laizistischste Regelung des Familienrechts der arabischen Welt. Sein Informationsdienst zitiert ihn: “Wir wollen einen friedlichen Machtwechsel, Gedankenfreiheit und Pressefreiheit.” Die Partei hat sich immer gegen Gewalt ausgesprochen und bekennt sich zum politischen Pluralismus.
Na, und wenn die das sagen, dann wird das auch ganz sicher auch so sein. Aber seltsam:
Dennoch verabscheut Tunesiens Bourgeoisie Ghannouchi wie den Teufel. Bei der Parlamentswahl von 1989, als die Islamisten einmal mit unabhängigen Kandidaten antreten durften, bekamen sie örtlich zwischen 15 und 30 Prozent der Stimmen, landesweit schätzungsweise 17 Prozent. Da gemäßigt islamistische Gruppierungen wie an-Nahda von Marokko bis Kuwait existieren, ist schwer vorstellbar, dass ein demokratisches Tunesien einer Kraft dieses Potentials auf Dauer die Legalität verweigern kann.
Das bekräftigte Rudolph Chimelli zwei Tage vor diesem Artikel bereits in seinem Kommentar: [2]
Diesem Dilemma zum Trotz hätten einige Fehler vermieden werden können. In der Koalitionsvereinbarung ließen sich die drei kleinen, seit langem legalen Oppositionsparteien darauf ein, dass der alt-neue Premier Mohamed Ghannouchi zwei wichtige Strömungen, die Ben Ali verboten hatte, von vornherein ausschloss: die Kommunisten und die Islamisten von An-Nahda.
Wer einem skeptischen Volk zeigen will, was Demokratie ist, sollte nicht schon in der ersten Stunde in die Gegenrichtung steuern.
Aber nicht nur Rudolph Chimelli sagt das, das sind auch die Worte Rached Ghannouchis selbst, der wie sein Befürworter Chimelli bekräftigte, dass die künftige Regierung von allen politischen Strömungen repräsentiert werden müsse, auch von den Islamisten seiner Partei: [3]
Il affirme que le futur gouvernement doit représenter toutes les tendances, dont celle des islamistes de son parti.
Woran also mag es liegen, dass dennoch Zweifel an den demokratischen Absichten Rached Ghannouchis und seiner Partei aufkommen? Nun, vielleicht ist es ein weiterer Satz, den er im Zusammenhang mit den Aufständen in Tunesien gesagt hat, nämlich:
l’intifada tunisienne a réussi à faire tomber la dictature [4]
“Die tunesische Intifada hat es geschafft, die Diktatur zu stürzen.”
Sicher, das Wort “Intifada” bedeutet in seinem Ursprung “Widerstand”, “Aufstand”. Nur: Ghannouchi gebrauchte es in einem auf Französisch geführten Telefonat mit der AFP.
Das französische Wort für Widerstand ist “résistance”, das für Aufstand “révolte”.
Ein französisches Wort “Intifada” gibt es nicht. Es ist die Übernahme des arabischen Wortes Intifada, das im allgemeinen Sprachgebrauch - insbesondere im europäischen Raum, in dem die Äußerung ja gemacht wurde - einzig im Zusammenhang mit dem palästinensischen Terror gegen Israel gebraucht wird.
Und das ist kein Zufall. Rached Ghannouchi sprach damit nicht nur seine eigene Partei an, sondern seine Gleichgesinnten auch in anderen Ländern. Und die greifen den Faden freudig auf. Die Hamas, die eindrucksvoll zeigt, mit welchen “demokratischen” Mitteln sie ihre Macht erhält, wittert bereits Morgenluft. Inoffizielle Sprecher erwarten sich von der “Tunesischen Intifada” einen Dominoeffekt, in dem auch andere “pro-westliche” Regimes gestürzt werden sollen - oder was die Hamas dafür hält. Vorsichtshalber nicht namentlich erwähnt wurden Ägypten und Jordanien. Mahmoud Abbas, dessen “Fatah-Tyrannei” beendet werden müsse, [5] dagegen durchaus.
Eine günstige Gelegenheit, unter dem Vorwand, die Demokratie zu bringen, gleich die für pro-westlich und vor allem pro-Israel gehaltenen Regimes zu beseitigen.
Es ist nicht nur Tunesiens Bourgeoisie, die Ghannouchi wie den Teufel verabscheut, wie Rudolph Chimelli so suffisant bemerkt. Sofern Rached Ghannouchi die gleichen Vorstellungen von Demokratie hat wie seine Freunde der Hamas, hieße ihn und seine Partei in die Regierung zu wählen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.
Doch von alldem erfährt man von Rudolph Chimelli nichts.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/tunesische-opposition-aus-der-folterkammer-auf-die-politische-buehne-1.1048792
[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/tunesien-halbherziger-neuanfang-1.1048029
[3] http://www.israel-infos.net/La-leader-du-principal-parti-islamiste-tunisien–L-intifada-a-chasse-Ben-Ali–5776.html
[4] http://www.leparisien.fr/crise-tunisie/en-direct-tunisie-le-chef-du-parti-islamiste-ennahdha-prepare-son-retour-15-01-2011-1228415.php
[5] http://www.terrorism-info.org.il/malam_multimedia/English/eng_n/html/hamas_e136.htm