Ursache und Wirkung – ein Lehrstück
20. Januar 2011 von Wolpertinger
Zum Beitrag “So tickt der Ami“ vom 14. Jan.2011 [1] erhielt der Wolpertinger einen Kommentar, an Hand dessen sich sehr anschaulich der Zusammenhang von Ursache und Wirkung von sauberer bzw. unsauberer journalistischer Arbeit demonstrieren lässt. Hier die Ursache: Eine sehr SZ-spezifische (verzerrende) Darstellung und ihre Wirkung auf leichtgläubige Leser.
Der Leser SeaSeahawk hatte im Kommentarbereich von suedwatch die folgende Textpassage aus dem oben genannten Beitrag des Wolpertingers kritisiert. Sie lautete:
Wie die Sitten seit dem Wahlkampf nach Herrn Häntzschels Sicht verfallen sind, wird an folgendem Satz erläutert:
John McCain rief den Mann, der “Kill Him!” schrie, als er im Wahlkampf über Obama sprach, noch (Hervorhebung des Wolpertingers) zur Ordnung.
NOCH!!! Wieder wird unterschlagen, dass McCain das Attentat in Arizona aufs schärfste verurteilte. Wenn es die SZ schon nicht tut, sei er wenigstens hier zitiert(…)
SeaSeahawk meinte dazu:
Das ist eine *höchst* eigenartige Auslegung der Textstelle in dem Artikel, die in ihrem Zusammenhang so lautet:
“John McCain rief den Mann, der “Kill Him!” schrie, als er im Wahlkampf über Obama sprach, noch zur Ordnung. Als ein Regierungshasser vor einem Jahr ein Sportflugzeug in das Finanzamt in Austin lenkte und dabei einen Angestellten tötete, scherzte der republikanische Senator Scott Brown: “Niemand zahlt nun mal gerne Steuern.” (Hervorhebung Wolpertinger).
Und weiter laut SeaSeahawk:
McCain wird also überhaupt kein Vorwurf gemacht, wie das im Blog wütend unterstellt wird. Stattdessen wird darauf hingewiesen, wie sehr offensichtlich im Laufe eines Jahres die politischen Sitten teilweise verkommen sind - McCain lässt sich eine geschmacklose Bemerkung nicht bieten, Brown dagegen nutzt sogar den Tod eines Menschen zu einem politischen Witz.“ (Hervorhebung Wolpertinger)
Brav folgt der Kritiker des Wolpertingers dem Wortlaut des Herrn Häntzschel – wohl ungeprüft, denn bei der SZ handelt es sich ja für ihn um eine Autorität / eine vertrauenswürdige Quelle. Allerdings, wenn sich jemand die Mühe macht, das Interview, in dem der angebliche SCHERZ gefallen ist, im Original anzuhören, ist er ob der Unverfrorenheit des SZ-Berichterstatters bass erstaunt. Unverfroren ist dieser, weil er sich a) entweder das Interview nie angehört und nur die böswilligen Interpretationen, Weiterungen, Verkürzungen, Verzerrungen der einschlägigen Blogger-Szene kolportiert hat – oder aber b), weil er wissentlich das Falsche berichtet / die Tatsachen selber hingebogen hat. In beiden Fällen kommt er seiner journalistischen Pflicht zur Wahrhaftigkeit nicht nach.
Die des Englischen mächtigen Leser mögen sich hier in einem zweiminütigen Video-Ausschnitt (des insgesamt 15-minütigen Interviews) den angeblichen „Scherz“ von Scott Brown anhören:
Transkribiert sagte er folgendes: [2]
Scott Brown im Wortlaut des Interviews:
It’s certainly tragic, and I feel for the families, obviously, that are being affected by it. And I don’t know if it’s related, but I can just sense, not only in my election but since being here in Washington, people are frustrated. They want transparency. They want their elected officials to be accountable and open and, you know, talk about the things that are affecting their daily lives. So, I’m not sure if there’s a connection. I certainly hope not. But we need to do things better. (Hervorhebung Wolpertinger)
FNC’s Cavuto: “Invariably, people are going to look at this type of incident, Senator, and say, well, that’s where some of this populist rage gets you. Isn’t that a bit extreme?”
Scott Brown: “Yes, of course it’s extreme. You don’t know anything about the individual. He could have had other issues. Certainly, no one likes paying taxes, obviously. (Hervorhebung Wolpertinger) But the way we’re trying to deal with things, and have been in the past, at least until I got here, is there’s such a logjam in Washington, and people want us to do better. They want us to help solve the problems that are affecting Americans in a very real way.”
Der englische Wortlaut ins Deutsche übersetzt:
Scott Brown: „(Das Ereignis) ist sicherlich tragisch, und mein Mitgefühl gilt natürlich den Familien, die dadurch berührt werden. Und ich weiß nicht, ob hier ein Zusammenhang besteht, aber mir kommt es so vor, nicht nur während der Zeit meiner Wahl, sondern auch seit ich hier in Washington bin, dass die Menschen frustriert sind. Sie wollen Transparenz. Sie wollen, dass ihre gewählten Vertreter zur Rechenschaft gezogen werden können und sie wollen, dass sie offen und ehrlich sind, wissen Sie, dass sie all die Dinge ansprechen, die ihr tägliches Leben betreffen. Deshalb weiß ich nicht, ob es hier eine Verbindung gibt. Ich hoffe ganz gewiss, dass es sie nicht gibt. Aber wir müssen bessere Arbeit leisten.“ (Hervorhebung Wolpertinger)
Cavuto (vom Fox News Channel) „Wie immer werden Leute auf diese Art Vorkommnis schauen, Senator, und sagen, nun, soweit bringt einen manchmal dieser wütende Volkszorn. Ist das nicht ein wenig extrem?“Scott Brown: „Ja, natürlich ist das extrem. Man weiß nichts über den Menschen (der das getan hat). Er könnte auch andere Probleme gehabt haben. Sicherlich, keiner zahlt gerne Steuern. (Anm. Wolpertinger: Das war der angebliche Scherz! Scott Brown bezieht sich hier auf den Abschiedsbrief, das „Manifest“ des Piloten. Hier nachzulesen [3]). Aber so wie wir es jetzt versuchen oder in der Vergangenheit versucht haben, Dinge anzugehen, wenigstens bis ich hierher kam, ist, dass es eine solche Blockierung (durch angestauten Wust) in Washington gibt, und die Menschen wollen, dass wir es besser machen. Sie wollen, dass wir ihnen helfen, die Probleme zu lösen, die die Amerikaner sehr real berühren.“
Wenn man sich das Video ansieht und anhört, wird kein vernünftiger Mensch behaupten können, Scott Brown habe sich da einen abgebrühten, zynischen Scherz erlaubt. Im Gegenteil: Ton, Gestus, Zusammenhang können eine solche Interpretation absolut nicht untermauern. Aber so „editierte“ die linke Bloggerszene das Interview: 1) Herauslösen eines einzelnen Satzes 2) aus einer Mücke einen Elefanten machen 3) Verdrehung der Intention des Sprechers unter Ignorierung des Gesamtzusammenhangs inklusive Körpersprache 4) völlige Unterschlagung des Satzes von Scott Brown, er hoffe nicht, dass es einen Zusammenhang zwischen dem „Volkszorn“(populist rage) und der Tat des Piloten gebe.
Im Interview zeigt Scott Brown Verständnis für Bürger, die sich von ihren Politikern alleingelassen fühlen – wie es der Pilot Joe Stack in seinem Manifest anprangerte – ohne dessen Tat gutzuheißen und gar mit einem „Scherz“ herunterzuspielen. Alles andere als das.
„Schaum vor dem Mund“ , „Wettern“ gegen einen „harmlosen“ Artikel, nebst „wütender“ Unterstellung, wobei deshalb auch „dann und wann der Blick fürs Detail verloren (geht)“, aus einer „vorgefertigten Perspektive“ – das sind wörtlich die Kritikpunkte des SeaSeahawk am Wolpertinger und seiner Würdigung des Häntzelschen Machwerks. Sonst noch was?
Nur: Man wäre froh, wenn sich Herr Häntzschel und sein gläubiger Leser wenigstens eines Details wie des tatsächlichen Wortlauts des Interviews von Scott Brown verlässlicht hätten, wenn dieser schon als Prügelknabe für die Verkommenheit der politischen Sitten und giftiger Rhetorik der „Rechten“ in Amerika vorgeführt werden soll.
Aber was soll’s, belassen wir sie vorerst in ihrer selbstgebastelten Idylle mit dem streng dualistischen Weltbild, wo sich alle schwarzen Schafe im Pferch der „Rechten“ aufhalten, während sich die Unschuldslämmer auf den mit freundlichen Blumen bestückten grünen Wiesen der „Linken“ tummeln…
Der Wolpertinger
[1] http://www.suedwatch.de/blog/?p=4735
[2] http://www.theatlantic.com/politics/archive/2010/02/scott-brown-on-the-austin-plane-crash/36246/
[3] http://www.foxnews.com/us/2010/02/18/raw-data-joseph-stack-suicide-manifesto/
2 Reaktionen zu “Ursache und Wirkung – ein Lehrstück”
Warum weitet Ihr euer Blog nicht auf deutsche Massenmedien insgesamt aus?
Schließlich unterscheidet sich das Ausmaß an Bescheuertheit in den allermeisten anderen großen Zeitungen und Funkmedien nicht großartig von dem bei der Süddeutschen.
Noch dazu wird durch den Namen Eures Blogs die Süddeutsche auch noch aufgewertet. Vor dem geistigen Auge entsteht ein Bild von Euch als ein kleiner Wadenbeißer am Knöchel eines Riesen, der davon völlig unberührt bleibt.
Die Realität ist doch eher umgekehrt: die alten Massenmedien stehen der vitalen und meinungsvielfältigen Wucht des Internet gegenüber wie Honnecker vor der niedergerissenen Mauer.
Lieber Skandalos,
Sie haben sicher Recht damit, dass die Süddeutsche nicht das einzige Medium ist, das sich täglich mehr als kritikwürdig erweist. Dass wir uns auf sie beschränken hat im Wesentlichen zwei Gründe: Der eine liegt ganz banal in den Grenzen unserer Kapazitäten. Der andere liegt darin, dass die Süddeutsche eben “unsere” Zeitung ist. War. Die Motivation, gerade an ihr zu bleiben, finden Sie im Geleitwort, aber zum Beispiel auch am Anfang des Start-Artikels vom 2. März 2009.
Ob das den Riesen berührt, weiß ich nicht. Seine Leser berührt es durchaus. Einen Teil von ihnen wenigstens, die sich ihre Kritikfähigkeit noch bewahrt haben.
Mit freundlichen Grüßen
Jaspis