Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen
12. Januar 2011 von Jaspis
Irgendwann wird sich der Springer-Aufsichtsrat bei Iran entschuldigen müssen [1]
Diesen erstaunlichen Satz von Stefan Kornelius, der die iranische Zensur zur “Lesart” herunterspielt, monierte bereits Arvid Vormann. [2]
Selbst die gesammelte deutsche Medienmacht ist nicht stark genug, um Iran jetzt und hier zu Demokratie und Pressefreiheit zu zwingen.
meinte Kornelius weiter. Mit anderen Worten: Weil es ohnehin keinen Sinn hat, darf die Presse in Deutschland das auch nicht fordern? Nicht anprangern? Deshalb soll sie sich anbiedern?! Das ist schon eine sehr merkwürdige Berufsauffassung von jemandem, dem wenigstens hin und wieder Begriffe “Demokratie” oder “Pressefreiheit” begegnet sein sollten. Eine Berufsauffassung, mit der Stefan Kornelius aber keineswegs alleine in seiner Redaktion dasteht. Die Art der Berichterstattung von sueddeutsche.de über den Iran spricht dieselbe Sprache: Meldungen, die Positives - oder zumindest positiv Scheinendes zu berichten haben, bekommen richtige Artikel und erscheinen auch auf der Startseite. Meldungen, die ein eher schlechtes Licht auf das iranische Regime werfen könnten, verschwinden entweder ganz oder landen bestenfalls in der Rubrik “Politik kompakt”. Kleine Meldungen, versteckt unter ganz anderen. Nicht wirklich leicht zu finden und auch schnell wieder von der Bildfläche verschwunden. Ein paar Beispiele der letzten zwei Wochen:
Die beiden seit elf Wochen in Iran inhaftierten deutschen Journalisten haben sich in der Nacht zum Dienstag zwölf Stunden lang mit Verwandten treffen können. [3]
Was für eine schöne Geste. Ein so menschliches Regime.
Seltsame Wendung im Fall der im Iran inhaftierten Journalisten der Bild am Sonntag: Die wegen Ehebruchs zum Tod durch Steinigung verurteilte Iranerin Sakine Mohammadi Aschtiani beschuldigt die beiden deutschen Reporter. Sie wolle “diejenigen verklagen, die Schande über mich und das Land gebracht haben”, sagte Aschtiani in einer Konferenz vor ausländischen Journalisten [4]
Der öffentliche Medienauftritt der angeblich nicht zu diesen Angaben gezwungenen Sakine Mohammadi Aschtiani, der vermutlich nicht mehr war als eine medienwirksame Inszenierung, bereitwillig unterstützt durch sueddeutsche.de,
wird bei ihr zur “seltsamen Wendung”.
Iran bietet Besichtigung seiner Atomanlagen an [5]
Das ist doch toll! Dann kann sich ja jeder - also, zumindest jeder, der eingeladen ist - davon überzeugen, dass der Iran ganz, ganz sicher keine Atomwaffen baut. Jedenfalls nicht da, wo die Gäste hindürfen.
Irans Chefdiplomat gibt sich kompromissbereit - Irans Außenminister Salehi hat seinen Amtskollegen Westerwelle nach Teheran eingeladen. Der Fall der inhaftierten Journalisten könne “in Sekunden” bereinigt werden. [6]
Na also. Alles halb so wild. Wenn man nur nett mit den Leuten redet, dann wird auch alles gut. (Und wenn nicht, dann liegt das einzig und allein nur und ausschließlich an der Kampagne des Springer-Konzerns.)
So viel zu den geschönten Berichten. Hier die nicht so schönen. Die in der Besenkammer. Politik kompakt:
Todesstrafe in Iran: Ein mutmaßlicher Agent für Israel wird hingerichtet - angeblich verriet er Informationen über Teherans Raketenprogramm. [7]
Eine Hinrichtung wegen Spionage passt jetzt wieder nicht soo gut ins schöne Bild, die eines nur angeblichen Spions schon zweimal nicht. Ab in die Besenkammer!
Iran warnt vor Kampagne für deutsche Reporter
Iran verbittet sich ausländisches Engagement für die Freilassung der inhaftierten deutschen Reporter. [8]
Eine erstaunliche Anmaßung. Es genügt nicht, die eigene Presse zu gängeln. Jetzt wird auch noch ausländisches Engagement untersagt. Interessant, wer diese Autorität so ohne weitere hinzunehmen bereit ist. Dennoch: Eine etwas peinliche Nachricht. Die muss wenigstens mit dem Hinweis auf den zwölfstündigen Verwandtenbesuch entschärft werden und landet - ab in die Besenkammer!
Und dann war da noch die Meldung von der Festnahme mehrerer Personen wegen angeblicher christlicher Missionierung. Das kann die Todesstrafe für diese Personen bedeuten. Auch diese Meldung hatte es zunächst wenigstens noch in die Besenkammer geschafft, war aber dann wohl auch dafür noch zu heikel. Sie ist daher sogar noch aus “Politik kompakt” verschwunden. In der URL kann man sie noch erahnen.
Aus den Meldungen ist sie allerdings entfernt worden. Es gibt sie gerade einmal noch im Newsticker. [10] Es wäre eine bösartige Unterstellung anzunehmen, dass dies nach einem scharfen Anruf aus Teheran erfolgt sei.
Es ist wie bei Aschenputtel: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.
Ausgewogener Journalismus war gestern. Jetzt ist MärchenSZtunde angesagt.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/inhaftierte-deutsche-reporter-in-iran-lehren-und-belehrungen-1.1044129
[2] http://www.suedwatch.de/blog/?p=4700
[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/iran-inhaftierte-deutsche-journalisten-zwoelf-stunden-hoffnung-nach-tagen-haft-1.1040795
[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/entfuehrte-journalisten-im-iran-zum-tod-verurteilte-iranerin-will-deutsche-verklagen-1.1041836
[5] http://www.sueddeutsche.de/politik/atomstreit-iran-bietet-besichtigung-seiner-atomanlagen-an-1.1042458
[6] http://www.sueddeutsche.de/politik/hilfe-fuer-deutsche-reporter-irans-chefdiplomat-gibt-sich-kompromissbereit-1.1043976
[7] http://www.sueddeutsche.de/politik/politik-kompakt-iran-henkt-angeblichen-spion-1.1040609
[8] http://www.sueddeutsche.de/politik/politik-kompakt-us-militaerexperte-tot-auf-muellkippe-entdeckt-1.1042461
[9] http://www.sueddeutsche.de/politik/politik-kompakt-iran-festnahmen-wegen-christlicher-missionierung-1.1042935
[10] http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1091781
1 Reaktion zu “Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen”
Auch die Kommentare zu derartigen SZ Artikeln (genauer gesagt zu allen Artikeln die in irgendeiner Weise mit Iran, dem Nahen Osten oder gar Israel zu tun haben) entbehren mittlerweile kaum noch einer gewissen “ideologischen Ausrichtung”:
So tummelt sich seit geraumer Zeit eine dieser seltsamen muslimisch-rechtsradikalen Allianzen, die dort mittels gemeinsamen Feindbild zu Höchstform auflaufen. Muslimische User wie z.B. ein alkhaider (man beachte die gewitzte Doppeldeutigkeit) als auch Rechte wie ein gewisser “wahrheitssuchender (liebt den Geschichtsrelativismus ebenso wie die “konstruktive Israelkritik”) lassen ihrer überdeutlichen Abneigung ggü. Israel als auch “dem Westen” ganz allgemein (i.d.R. als USrael bezeichnet) ungehemmt freien Lauf.
Und all dies ohne nennenswert von der ansonsten ebenso emsigen wie rigiden SZ Zensur behelligt zu werden - während Kommentatoren, die sich erdreisten auf diese abstoßenden bzw. alamierenden Kommentare kritisch zu antworten, i.d.R. umgehend der SZensur anheim fallen (witzigerweise stets mit dem Verweis auf die Nettiquette).
Erstaunt mich immer wieder, dieses SZ Phänomen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Evtl. können Sie Ihr Augenmerk ja auch einmal darauf richten.
mfg nh100