Dümmer geht’s nimmer
23. Dezember 2010 von Jaspis
Frank Eze Anayo unterhielt eine etwa zweijährige Beziehung zu einer verheirateten Frau, Frau B., die von ihm schwanger wurde. Im Dezember 2005 brachte die Frau die Zwillinge auf die Welt, doch da hatte sie Herrn Anayo bereits seit fünf Monaten verlassen.
Gemäß § 1592 Ziffer 1 BGB wurde der Ehemann der Frau, Herr B., gesetzlicher Vater der Zwillinge, mit denen er biologisch aber überhaupt nichts zu tun hat.
Die Möglichkeit, die Vaterschaft anzufechten, hat Herr Anayo nicht, denn die besteht für den biologischen Vater gemäß § 1600 Absatz 1 Ziffer 2 mit Absatz 2 BGB nur dann, wenn zwischen dem Kind und dem gesetzlichen Vater keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Die besteht aber nach Absatz 4 bereits dann schon, wenn der gesetzliche Vater für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt und die wiederum liegt in der Regel dann vor, wenn der gesetzliche Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet ist.
Obwohl sich Herr Anayo bereits vor und auch nach der Geburt der Zwillinge um ein Umgangsrecht bemühte und auch ein Umgangsverfahren eingeleitet hat, wurde ihm dies verweigert und auch vor Gericht unterlag der biologische Vater, da bei der geltenden Rechtslage eine andere Entscheidung auch schwerlich möglich war. Er zog daher vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der einstimmig eine Verletzung von Art. 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) EMRK feststellte.
Der Gerichtshof befand, dass die Entscheidungen der deutschen Gerichte, Herrn Anayo den Umgang mit seinen Kindern zu verwehren, einen Eingriff in seine Rechte aus Art. 8 darstellten. Da er mit den Zwillingen nie zusammengelebt und sie nie kennengelernt hatte, war seine Beziehung zu ihnen zwar nicht beständig genug um als bestehendes “Familienleben” zu gelten. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung allerdings festgestellt, dass der Wunsch, eine familiäre Beziehung aufzubauen, in den Geltungsberich von Art. 8 fallen kann, sofern die Tatsache, dass noch kein Familienleben besteht, nicht dem Beschwerdeführer zuzuschreiben ist. Dies war bei Herrn Anayo der Fall, der nur deswegen keinen Kontakt zu den Zwillingen hatte, weil deren Mutter und rechtlicher Vater seine entsprechenden Bitten abgelehnt hatten.
Herr Anayo hatte ein ernsthaftes Interesse an den Kindern gezeigt, indem er, sowohl vor als auch nach deren Geburt, den Wunsch nach Kontakt mit ihnen geäußert und zügig ein Umgangsverfahren eingeleitet hatte. Auch wenn er mit Frau B. nie zusammengelebt hatte, waren die Kinder aus einer nicht bloß zufälligen, sondern zwei Jahre dauernden Beziehung hervorgegangen. Selbst angenommen, dass die Beziehung Herrn Anayos zu seinen Kindern nicht als “Familienleben” gelten konnte, so betraf sie doch einen wichtigen Teil seiner Identität und folglich sein “Privatleben” i.S.v. Art. 8.
Der Gerichtshof war sich dessen bewusst, dass die Entscheidung der deutschen Gerichte, Herrn Anayo Kontakt mit seinen Kindern zu verwehren, darauf abzielte, dem Willen des Gesetzgebers zu entsprechen, bestehenden Familienbindungen Vorrang gegenüber der Beziehung eines biologischen Vaters zu seinem Kind einzuräumen. Der Gerichtshof erkannte an, dass diese bestehenden Bindungen gleichermaßen schutzbedürftig waren. Folglich wäre eine gerechte Abwägung zwischen den konkurrierenden Rechten nach Art. 8 notwendig gewesen, nicht nur denjenigen zweier Elternteile und eines Kindes, sondern denjenigen mehrerer betroffener Einzelpersonen, nämlich der Mutter, des rechtlichen Vaters, des biologischen Vaters, der gemeinsamen biologischen Kinder des Ehepaars und der aus der Beziehung der Mutter und des biologischen Vaters hervorgegangenen Kinder.
Der Gerichtshof war nicht davon überzeugt, dass die deutschen Gerichte letztinstanzlich eine gerechte Abwägung der konkurrierenden Interessen vorgenommen hatten. Insbesondere hatten sie es unterlassen, die Frage auch nur zu prüfen, ob der Kontakt zwischen den Zwillingen und Herrn Anayo unter den besonderen Umständen des Falls im Interesse der Kinder läge. Der Gerichtshof kam daher einstimmig zu dem Schluss, dass eine Verletzung von Art. 8 vorlag.[1]
Das alles hätte man nachlesen können, wenn man sich die Presseerklärung des EGMR durchgelesen hätte. [2] Sofern man des Englischen oder des Französischen nicht mächtig sein sollte, was ja keine Schande ist, hätte man sich auch deutschsprachige Publikationen heraussuchen können, z.B. die oben zitierte von LexisNexis. Des Deutschen und des Lesens mächtig sollte man nach Möglichkeit aber schon sein, jedenfalls dann, wenn man bei einer großen deutschen Tageszeitung wie der SZ anheuert. Bloß allein nach Gesinnung wird wohl hoffentlich auch sie nicht einstellen. (?)
Allerdings scheint das bei Heribert Prantl nicht so recht geklappt zu haben, als er seinen Kommentar zu der Entscheidung des EGMR dahingeschludert hat. Da hallen seine Worte vom August noch nach, als er sich an der “Kinderhymne” versuchte: [3]
Jedes Kind hat ein Recht auf Mama und Papa, auch das nichteheliche Kind. Unverheiratete Väter, die nach deutschem Recht bisher nur Zahlväter waren, müssen daher mehr Rechte erhalten.
Damit gelangt eine fulminante Rechtsentwicklung zu einem vorläufigen Abschluss: Noch vor dreißig Jahren war es so, dass ein nichteheliches Kind in Deutschland rechtlich mit seinem Vater nicht einmal verwandt war. Das Recht hat sich, angeschoben vom Bundesverfassungsgericht, den geänderten Familienwelten angepasst. Das höchste Gericht hat mit seinen Entscheidungen die Strophen zu einer juristischen Kinderhymne geschrieben.
Kinder haben ein Recht auf Mama und Papa.
Noch einmal: Kinder haben ein Recht auf Mama und Papa, und zwar nicht nur die ehelichen Kinder, sondern auch die nichtehelichen.
Ach, vergessen sind sie, die hohlen hehren Worte. Der Sommer ist vorbei, jetzt ist Weihnachten:
Pünktlich zum Fest der Familie verkündet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil, das den Familienfrieden gefährdet.
Das Urteil ist, leider weit über den entschiedenen Fall hinaus, ein Sprengsatz für Zehntausende Familien, in denen Kinder aus früheren nichtehelichen Beziehungen aufwachsen.
Anscheinend haben nach Prantls Rechtsverständnis Väter nur dann Rechte, wenn die Mutter alleinerziehend lebt. Lebt sie dagegen in einer Beziehung mit einem anderen Mann als dem Vater ihrer Kinder - dann wird der Papa eben ausgetauscht. So einfach ist das. Biologie hin, Abstammung her.
Und um diesen verqueren Gedanken Nachdruck zu verleihen, werden die Tatsachen (sofern überhaupt zur Kenntnis genommen) ein klein wenig verfälscht, sonst passt es ja nicht: [4]
Pünktlich zum Fest der Familie verkündet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil, das den Familienfrieden gefährdet. Dieses Urteil redet vom Kindeswohl, fragt aber wenig danach und schon gar nicht nach der Situation der Familie, in der das Kind lebt. Es sagt nur: Vater ist Vater, unabhängig davon, wie er sich bisher verhalten hat. Auch wenn er sich gar nicht verhalten hat, wenn er sich nie um sein Kind gekümmert hat - auch dann soll er künftig, noch nach Jahren, den Umgang mit dem Kind erzwingen können.
Es geht um die Fälle, in denen der biologische Vater von Geburt an absolut nichts mit dem Kind zu tun hatte oder zu tun haben wollte; um die Fälle, in denen er die Möglichkeit gehabt hätte, die Vaterschaft anzuerkennen, es aber nicht getan hat und die Mutter die Feststellung nicht betrieben hat; womöglich deshalb, weil sie einen neuen Partner fand, der dem Kind Vater wurde und der die Vaterschaft anerkannte. In diese Familien wirft das Gericht sein Urteil.
Und das ist falsch. Genau um einen solchen Fall geht es hier nicht. Hätte Prantl den EGMR gelesen - oder LexisNexis, wenn schon kein Englisch bzw. Französisch geht, hätte er den Blick ins Gesetz geworfen, der bekanntlich die Rechtsfindung erleichtert, dann hätte er - im Rahmen seiner Möglichkeiten - erkennen können, dass es Herrn Anayo eben nicht möglich gewesen ist, die Vaterschaft anzuerkennen, weil es bereits einen gesetzlichen Vater gibt (und das BGB auch nicht mehr als einen Vater zulässt), dass Herr Anayo diese Vaterschaft nicht anfechten kann, um wiederum selbst die Vaterschaft anzuerkennen, dass Herr Anayo sich von Anfang an gerne um seine Kinder gekümmert hätte, wenn er denn dürfte, und: dass der EGMR sicher kein Urteil irgendwo hineinwirft, sondern dass er eine Abwägung der berechtigten Interessen verlangt.
Das Gesetz nicht gelesen, die Entscheidung nicht gelesen, die eigenen Worte vom Sommer schon vergessen, einen auf falschen Annahmen basierenden Kommentar dahingeschludert - lässt sich das eigentlich noch steigern? Es lässt: Mit dem Titel dieses “Werks” nämlich:
Nein, dümmer geht’s wirklich nimmer.
Jaspis
[1] http://www.lexisnexis.de/rechtsnews/egmr-entscheidung-der-deutschen-gerichte-leiblichem-vater-umgangmit-seinen-kindern-zu-verwehren-beruecksichtigte-nicht-daskindeswohlinteress-193195
[2] http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp?action=open&documentId=879138&portal=hbkm&source=externalbydocnumber&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649
[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/urteil-zu-sorgerecht-eine-juristische-kinderhymne-aus-karlsruhe-1.983339
[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/urteil-des-menschenrechts-gerichtshofs-das-recht-der-spermien-1.1039042