Notwendige Lektion - für Heribert Prantl
23. September 2010 von Jaspis
Heute fällte der Europäische Gerichtshof zwei hoch interessante Entscheidungen zur Frage, ob ein kirchlicher Träger einem Arbeitnehmer kündigen darf, weil dieser Ehebruch begangen hat.
Entschieden wurde zum einen der Fall des Michael Obst, Mormone. Michael Obst wurde von der mormonischen Kirche als Gebietsdirektor Öffentlichkeitsarbeit für Europa gekündigt, nachdem er sein außereheliches Verhältnis offenbart hatte. Zum anderen wurde der Fall des Bernhard Schüth entschieden. Bernhard Schüth, Katholik, wurde von der katholischen Kirche als Organist entlassen, nachdem sein außereheliches Verhältnis bekannt wurde.
Zwei sehr ähnlich gelagerte Fälle. Sowohl Herr Obst als auch Herr Schüth erhoben Kündigungsschutzklage, Herr Obst vor dem Arbeitsgericht Frankfurt, Herr Schüth vor dem Arbeitsgericht Essen. Beide klagten erfolglos durch die Instanzen und riefen zuletzt den Europäischen Gerichtshof an, wo Herr Schüth erfolgreich war: Die von seiner, der Katholischen Kirche ausgesprochene Kündigung ist unrechtmäßig. Sie verstößt gegen Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Der SZ-Redaktion muss es ein derart großes Fest gewesen sein, dass die Katholische Kirche eine Klatsche bekommen hat, dass sich die Redakteure während der mehrstündigen Sendepause wegen eines technischen Defekts anscheinend lieber ein paar Mass auf der Wiesn genehmigt haben als sich vielleicht einmal die Presseerklärung des EuGH zu Gemüte zu führen. Jedenfalls bei Heribert Prantl muss das der Fall gewesen sein, denn anders - außer vielleicht noch mit ideologischer Verblendung - lässt sich sein unsinniger und tendenziöser Kommentar [1] nicht erklären.
Oberlehrerhaft ist er der Ansicht, das Urteil sei eine
Notwendige Lektion für die Kirche
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erteilt der katholischen Kirche eine Nachhilfestunde in Arbeitsrecht.
Es wurde höchste Zeit.
Solche Bigotterie darf der Staat nicht akzeptieren.
Die Kirche täte gut daran, wenn sie sich Nachsicht, Barmherzigkeit und Solidarität nicht von einem Gericht beibringen lassen müsste.
Nur: Wenn jemand wirklich gut an etwas täte, dann wäre es der Herr Doktor jur. Heribert Prantl. Er täte gut daran, mit dem Lesen zu beginnen, anstatt mit dem ausschweifenden Herumlamentieren. Denn schon sein erster Satz
Ehebruch ist kein Kündigungsgrund
den er wohl von seinem ungenannt gebliebenen Kollegen[2] abgeschrieben hat
ist falsch. Denn ungeachtet dessen, was man von der Haltung der Kirche zum Ehebruch halten will: Selbstverständlich ist Ehebruch ein Kündigungsgrund und er wird es in den meisten Fällen auch bleiben. Prantls Kollege war immerhin wenigstens imstande, die zweite Entscheidung zu demselben Thema, die zum Fall Obst, wenigstens zu erwähnen - auch wenn er offenbar den Gehalt dieser Entscheidung nicht verstanden hat und ihm auch der Widerspruch zu seinem eigenen Titel nicht aufgefallen ist.
Die Kündigung des Herrn Obst ist nämlich rechtmäßig. Sie verstößt nicht gegen die Menschenrechte. Und zwar obwohl auch sie eine Kündigung wegen Ehebruchs ist.
Diese zweite Entscheidung kann man nun unterschlagen, wie das Heribert Prantl macht. Oder man kann sie sich ansehen. Und dann kann man sich beide Fälle ansehen, so wie es die praktizierenden Juristen tun - und in Straßburg auch getan haben. Und dann kann man herangehen festzustellen, wo denn nun die Unterschiede in den beiden Fällen liegen und was der EuGH genau moniert hat: [3]
Der Gerichtshof stellte fest, dass die deutschen Arbeitsgerichte im Fall Obst alle wesentlichen Gesichtspunkte des Falls berücksichtigt und eine sorgfältige Abwägung der Interessen vorgenommen hatten. (…) Nach Auffassung der deutschen Gerichte kam seine Kündigung einer notwendigen Maßnahme gleich, um die Glaubwürdigkeit der Kirche zu wahren, insbesondere angesichts seiner hervorgehobenen Position. Weiterhin waren die Gerichte darauf eingegangen, warum die Kirche nicht verpflichtet war, eine vorherige Abmahnung auszusprechen, und sie hatten darauf hingewiesen, dass der Schaden für Herrn Obst durch die Kündigung, unter anderem in Anbetracht seines noch relativ jungen Alters, begrenzt war.
Die Tatsache, dass die deutschen Gerichte den Interessen der Mormonenkirche nach sorgfältiger Abwägung ein größeres Gewicht eingeräumt hatten als denen Herrn Obsts, stand nicht an sich in Konflikt mit der Konvention. Der Gerichtshof fand die Schlussfolgerung der deutschen Gerichte nachvollziehbar, dass die Mormonenkirche Herrn Obst keine unannehmbaren Verpflichtungen auferlegt hatte. Da er als Mormone aufgewachsen war, war er sich darüber im Klaren gewesen, oder hätte es sein sollen, welche Bedeutung die eheliche Treue für seinen Arbeitgeber hatte und dass sein außereheliches Verhältnis mit den erhöhten Loyalitätspflichten als Direktor Öffentlichkeitsarbeit für Europa unvereinbar war.
Im Gegensatz dazu merkte der Gerichtshof im Fall Schüth an, dass sich das Landesarbeitsgericht darauf beschränkt hatte festzustellen, dass er als Organist und Chorleiter zwar nicht in die Gruppe derjenigen Mitarbeiter fiel, deren Kündigung im Falle schweren Fehlverhaltens zwangsläufig war, etwa derjenigen in seelsorgerischen und klerikalen Berufen sowie in leitenden Positionen, aber dass seine Tätigkeit dennoch so eng mit der Mission der Katholischen Kirche verbunden war, dass sie ihn nicht weiter beschäftigen konnte, ohne jegliche Glaubwürdigkeit zu verlieren. Das Landesarbeitsgericht hatte dieses Argument nicht weiter ausgeführt, sondern schien lediglich die Meinung des kirchlichen Arbeitgebers in dieser Frage wiedergegeben zu haben.
Zudem hatten die Arbeitsgerichte das de facto-Familienleben Herrn Schüths oder dessen Schutz nicht einmal erwähnt. Die Interessen des kirchlichen Arbeitgebers waren folglich nicht gegen Herrn Schüths Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens abgewogen worden, sondern lediglich gegen sein Interesse, seinen Arbeitsplatz zu behalten. Eine gründlichere Prüfung wäre bei der Abwägung der konkurrierenden Rechte und Interessen angemessen gewesen. (…) Die Tatsache, dass ein von einem kirchlichen Arbeitgeber gekündigter Mitarbeiter nur begrenzte Möglichkeiten hatte, eine neue Stelle zu finden, war nach Auffassung des Gerichtshofs von besonderer Bedeutung. Dies galt besonders, wenn der gekündigte Arbeitnehmer eine spezifische Qualifikation hatte, die es ihm schwierig oder gar unmöglich machte, eine neue Arbeit außerhalb der Kirche zu finden (…).
Zusammengefasst: Im Fall von Herrn Obst haben die deutschen Arbeitsgerichte eine konkrete Einzelfallbetrachtung vorgenommen und alles Argumente gegeneinander abgewägt. Die dabei vorgenommene Abwägung zu Gunsten der Kirche war nicht zu beanstanden, zumal Herr Obst auch eine hervorgehobene Position hatte.
Anders bei Herrn Schüth: Hier haben die deutschen Arbeitsgerichte eben keine sorgfältige Abwägung vorgenommen, sondern offenbar einfach die Argumentation der Kirche übernommen. Darüber hinaus fand die Abwägung mit falschen Kriterien statt. Hinzu kommt bei Herrn Schüth, dass er als Organist weder eine hervorgehobene Position innehat, noch eine seelsorgerische oder lehrende und weiter, dass er als Organist kaum andere Arbeitsstellen als Kirchen zur Verfügung hat, auf die er ausweichen könnte.
Gerade letzteres Argument sollte klarmachen, dass Seelsorger, Lehrer und Kirchenangestellte in leitenden Positionen auch künftig besser keinen Ehebruch begehen, wenn sie nicht gekündigt werden wollen - sofern nicht auch bei ihnen die Arbeitsgerichte pfuschen. Sie haben nicht nur Positionen, in denen sie auch die Glaubwürdigkeit ihrer Kirche vertreten, sondern auch die Möglichkeit, zu einem weltlichen Arbeitgeber zu wechseln. Schließlich ist niemand gezwungen, in einer kirchlichen Einrichtung zu arbeiten.
Das alles hätte man also erfahren können, wenn man sich tatsächlich mit dem Urteil des EuGH befasst hätte, statt nur die Gunst der Stunde zu nutzen um seinen ideologischen Unfug an den Leser zu bringen.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/karriere/urteil-am-europaeischen-gerichtshof-notwendige-lektion-fuer-die-kirche-1.1003950
[2] http://www.sueddeutsche.de/karriere/europaeisches-urteil-ehebruch-ist-kein-kuendigungsgrund-1.1003858
[3] http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp?item=3&portal=hbkm&action=html&highlight=&sessionid=59577926&skin=hudoc-pr-en