“Der wahre Grund”
21. August 2010 von Jaspis
Vielleicht wundert sich der eine oder andere zusammen mit dem Moritatensaenger, warum die Informationen, die er in “Die Spendenbereitschaft der Deutschen bleibt jedoch gering” [1] zusammengetragen hat, nicht auch in der Süddeutschen gefunden hat. Interessant wären sie jedenfalls gewesen. Allerdings hätten sie wirklich ganz und gar nicht zu den Gründen gepasst, die von dort für die Spendenunlust der Deutschen präsentiert werden. Schließlich hat sich dort ein “Experte” schon zu diesem Thema geäußert: [2]
Der wahre Grund dafür, dass die Hilfe für Pakistan so zögernd anläuft, ist vielmehr der: Seit dem 11. September 2001 sind Europa und Teile Nordamerikas von flagranter Islamophobie erfasst. In einer neuen Umfrage wurde die Frage gestellt, was der erste Gedanke sei, der den Leuten in den Sinn komme, wenn sie das Wort “Islam” hören: Mehr als die Hälfte der Angesprochenen antwortete “Terrorismus”. Die Umfrage ist zwar in Großbritannien angestellt worden, doch ist bekannt, dass Briten, Franzosen, Deutsche, Holländer und Dänen ähnlich denken. Der Blick auf den Islam als das absolut “Andere” hat natürlich mit den Kriegen in Afghanistan und dem Irak zu tun. Die Haltung ist aber so falsch, wie der Antisemitismus es war, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts weithin florierte.
Die Islamophobie ist es also. Naja, gut, auch ein bisschen Kritik am pakistanischen Präsidenten, der nach Europa gereist und “in Birmingham eine unmögliche Ansprache” gehalten habe und, ja, wohl auch ein bisschen die Befürchtung, das Geld könnte eventuell gar nicht da ankommen, wo es hin soll, sondern über verschlungene Wege in ganz falsche Hände geraten.
Viele Pakistaner, mit denen ich in den vergangenen zwei Wochen gesprochen habe, wollen kein Geld geben, weil sie fürchten, dass ihre Spende doch nur in den Taschen der korrupten Herrscher landet.
Dennoch sei “der wahre Grund” die Islamophobie, ergo darf sich nun jeder, der noch nicht gespendet hat, zu den Islamophoben der Westlichen Welt zählen. - Eine Argumentation, die beinahe noch zynischer ist als das Zögern der pakistanischen Regierung, die einen Teil der dringend benötigte Hilfe, fünf Millionen Dollar, bis gestern abgelehnt hat - weil sie vom Erzfeind Indien angeboten wurde. [3]
Hauptmotive für die geringe Spendenbereitschaft sind vor allem persönliche finanzielle Gründe sowie Zweifel, dass die Spenden an der richtigen Stelle ankommen. Die aus Sicht der Befragten politische und kulturelle Distanz zu Pakistan sowie die grundsätzliche Ablehnung von Spenden sind weitere Gründe.
ist das Resultat der Umfrage, die Infratest dimap für das ARD Morgenmagazin durchgeführt hat und nach der 58 % der Deutschen überhaupt nicht für die Opfer der Überschwemmung spenden wollen.[4]
Einer jedoch weiß es besser: Ein
Grenzgänger zwischen islamischer und westlicher Welt
- Tariq Ali.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist allerdings noch eine weitere Begründung, die Tariq Ali liefert, in diesem Fall für die Anschläge vom 11. September 2001. In einem Interview mit der “Sozialistischen Zeitung”, einer Zeitung mit linkssozialistischer Ausrichtung und, wie Tariq Ali, trotzkistischer Tradition, das in Heft 20 vom 27.09.2001 (Seite 12) [von Verlinkung wurde abgesehen] veröffentlicht wurde. Darin Antwortete Tariq Ali auf die Frage
• Glauben Sie, dass dieser Angriff eine direkte Folge der internationalen Politik der USA gegen die moslemische Welt war?
Tariq Ali: Darüber gibt es keinen Zweifel. Viele Jahrzehnte lang haben die arabischen Völker die Folgen des US-amerikanischen und israelischen Staatsterrorismus am eigenen Leib erfahren. Die anhaltende Besetzung Palästinas, die Sanktionen und Bomben gegen den Irak, die Bombardierung einer Aspirinfabrik im Sudan — was war das alles, wenn nicht Staatsterrorismus?
Das hat Franziska Augstein, die Tariq Alis Beitrag übersetzt hat, sicher nur aus purem Versehen nicht miterwähnt. Und dennoch lassen derlei Ansichten doch leise Zweifel an der Unvoreingenommenheit dieses Kenners aufkommen, dessen “Gastbeitrag” noch nicht einmal als pure Meinungsäußerung gekennzeichnet war.
Ich meine schon, dass auch dieses Detail relevant gewesen wäre, wenn man schon mehr oder weniger direkt seinen Lesern vorwirft, dass sie die Menschen in Pakistan allein aus dem Grund verrecken lassen, weil diese dem Islam angehören.
Rufen Sie gerne zu Spenden auf, liebe SZ. Machen Sie die Katastrophe deutlich, unter der zwanzig Millionen Pakistaner leiden. Stellen Sie für Ihre Leser sicher, dass die Spenden dort ankommen, wo sie hinsollen. Machen Sie geeignete Organisationen ausfindig und geben diese bekannt.
Aber verschonen Sie uns mit solch schäbigem Zynismus und derart billigen Versuchen, Ihren Lesern über die Hintertür menschlichen Mitgefühls Ihre Ideologie unterzujubeln.
Jaspis
[1] http://www.suedwatch.de/blog/?p=4017
[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/flut-in-pakistan-das-land-ertrinkt-der-praesident-verreist-1.989441
[3] http://www.tagesschau.de/ausland/pakistanhilfe112.html
[4] http://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/umfragen/aktuell/mehrheit-der-buerger-will-nicht-fuer-pakistan-spenden/
1 Reaktion zu ““Der wahre Grund””
Guter Beitrag.
Ich werde in einer Kurznotiz hier (http://castollux.blogspot.com/2010/08/verstand-ausschalten-und-spenden-120.html) darauf Bezug nehmen und ihn empfehlen.
Frage: Hhast du das Layout gewechselt (sieht gut aus) oder täusche ich mich? Wirkt etwas anders als bei meinem letzten Besuch vor meinem Urlaub.
Grüße
Bernd