Aus gegebenem Anlass
16. August 2010 von Jaspis
Im Grunde ist der Artikel [1]
so albern, seine Aussage so trivial wie verkehrt, dass man ihn gar nicht erwähnen sollte.
Von wegen Befreiung: Warum Highheels noch lange kein Zeichen für Emanzipation sind und das Kopftuch nicht unbedingt die Unterdrückung der Frau bedeutet.
führt Ingrid Thurner darin aus und
Alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen sind angetreten, in paternalistischer Manier muslimische Frauen aus ihrer Unterdrückung und ihrer Verhüllung freizukämpfen: Rechtspopulistische Politiker, Boulevardblätter, Feministinnen, Sozialdemokratinnen, erzkonservative Katholiken, Ex-Muslime. Es eint sie der Glaube, Musliminnen seien unterjocht von ihrer Religion und von ihren Männern. Sie sind sich auch darin einig, die Kopfbedeckung nicht deswegen abzulehnen, weil sie ein religiöses Symbol sei. Die weibliche Verhüllung wird vorgeblich verdammt, weil sie ein Instrument der Unterdrückung der Frau sei.
Fast wäre man versucht, den Umkehrschluss zu ziehen und weibliche Nacktheit als Symbol weiblicher Freiheit zu deuten. Aber welchen Zwängen unterwerfen sich nicht konform-westlich denkende Frauen für den Auftritt in der Öffentlichkeit? Hohe Absätze, hautenge Jeans, frieren in der Kälte, ein Leben lang hungern, alles um den Körper vorzeigbar zu machen, dazu ständige Kontrolle, ob die Haarsträhnen richtig liegen, ob der Busen richtig steht, ob die Träger sitzen.
Und überhaupt zeige “dieser ganze Islam- und Verhüllungsdiskurs”
Die Muslimin wird dringend benötigt, nämlich zur Verhüllung des Dilemmas, dass in dieser aufgeklärten Zeit Frauen zwar beinahe nackt herumlaufen dürfen, aber sonst wie eh und je wenig zu entscheiden haben. Keine Verschleierung, keine Unterdrückung, nein, so ist das offensichtlich nicht.
denn schließlich:
So sehr verschieden von islamischen Gegebenheiten ist das nicht. Führungspositionen, Vorstandsetagen und Lehrstühle besetzen vornehmlich Männer, und für die gleiche Arbeit erhalten Frauen weniger Lohn.
Dieses aus hanebüchenem Unfug zusammengebastelte Kartenhaus bricht bereits mit der simplen Frage zusammen, was - wenn denn schon kein Unterschied bestehe - einer Frau wohl passiert, wenn sie in der einen “Kultur” ihr Kopftuch nicht aufsetzt und in der anderen flache Schuhe anzieht und ihren Schlabberpulli um die vielleicht schon etwas expandierten Hüften zieht.
Der Grund, warum ich diesen Artikel heute, beinahe zwei Monate nach seinem Erscheinen, doch noch erwähne, ist die Frage unseres Lesers “Roderick” zu des Moritatensaengers jüngsten Artikel “Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.” [2]
Welchen Zweck hat die Erwähnung der Herkunft
fragte er da und vermutlich nicht nur er. Warum ist es wichtig zu wissen, ob die Täter einer Massenvergewaltigung eventuell Migrationshintergrund haben und womöglich aus türkischen / afghanischen Familien mit islamischer Tradition stammen? Das “riecht” doch nach unverhohlenem Ausländerhass. Nach der Suche nach einem Anlass, um gegen Ausländer zu poltern, um gegen sie Stimmung zu machen, um Rechtsextremisten dazu zu veranlassen, ihnen Gewalt anzutun oder Behörden, um möglichst keine Migranten mehr in Deutschland zu tolerieren. Es klingt nach ewig Vorgestrigen, die den Wandel unserer Bevölkerungsstruktur nicht begreifen wollen.
Abgesehen von der Frage, was, bei konsequenter Fortsetzung dieses Gedankens, dann beispielsweise die Angabe “katholischer Geistlicher” bei einem Fall von Kindsmissbrauch verloren hat, wenn derlei Hinweise doch nicht erwähnt werden sollen, geht es bei der Berichterstattung - bei wohlgemerkt sachlicher Berichterstattung - nicht darum, Stimmung zu machen. Es geht um den Informationsauftrag, der Moritatensaenger hat sich dazu bereits ausführlich geäußert. Und es geht darum, weitere Straftaten dieser Art zu vermeiden. Wenn sich der geneigte Leser Gedanken darüber macht, wie aus einem Jugendlichen ein so Wütender werden kann, dass er in seiner Rage dem bereits am Boden liegenden Dominik Brunner mit beschuhtem Fuß gegen den Kopf tritt, dann macht er das schließlich auch nicht, um in einem nächsten Schritt sämtliche Jugendlichen prophylaktisch zu inhaftieren oder des Landes zu verweisen. Sondern er macht das (günstigstenfalls), um möglicherweise eigene Erziehungsfehler zu vermeiden.
Der Fall der Massenvergewaltigung der 18-jährigen Frau in Gersthofen lässt keinen auch nur halbwegs mitfühlenden Menschen kalt. Sofern das Interesse aber nicht nur auf reiner Sensationsgier mit einem Schuss pornographischem Geifer beruht, sollte man schon auch diese Tat ein wenig hinterfragen. Ob das Verhalten der Täter möglicherweise mit ihren häuslichen Traditionen zu tun haben könnte. - Und zwar nicht, um den Tätern eine perfekte Entschuldigung an die Hand zu geben, etwa in der Art, sie seien eben selbst “Opfer der Umstände” - sondern um zum Beispiel das zu tun, was Seyran Ates mit ihrem Buch [3] macht, das ihr bereits kurz nach dessen Erscheinen Morddrohungen eingehandelt hat, nämlich zu fordern:
“Der Islam braucht eine sexuelle Revolution”
Das Kopftuch, dieses niedliche modische Accessoire, das schon unsere oberbayerische, urkatholische Großmutter mit Selbstverständlichkeit getragen hat, ist mittlerweile Symbol eines gestörten Verhältnisses zur Sexualität. Frauen sollen ihre Haare bedecken - nicht, damit sie dadurch ihre Persönlichkeit frei entfalten können (eine Logik, die wirklich nicht recht einleuchten will) - sondern, um den Männern kein zu großer sexueller Reiz zu sein.
Das Kopftuch, ein Symbol der Freiheit? Das erscheint mir dann doch ein wenig weit hergeholt. Für mich ist das Kopftuch eindeutig ein Symbol der Unterordnung der Frau unter den Mann, also das Gegenteil von Freiheit. Denn erst durch die Verhüllung wird die Frau zum Sexualobjekt degradiert: Sie muss sich verstecken, um vor den Blicken lüsterner Männer sicher zu sein. Dass genau dies der Hauptgrund für das Kopftuchgebot ist, kann man auch aus offiziellen muslimischen Publikationen ableiten. Der Frankfurter Imam Hadyatullah Hübsch beantwortet die Frage “Warum tragen muslimische Frauen ein Kopftuch oder einen Schleier?” folgendermaßen: “[Die muslimische Frau] möchte durch die Bedeckung ihrer Schönheit, die vor allem auch in ihren Haaren liegt, also kund tun, dass sie kein Interesse an Flirts hat und keine Beziehungen zu fremden Männern haben möchte, in denen Sexualität eine Rolle spielt. Die Muslimin, die ein Kopftuch oder einen Schleier trägt, wendet sich somit bewusst ab von allem, was ihre Reinheit beeinträchtigen könnte. (…) Ihr Anblick hat somit meistens für Männer die Funktion einer Bremse, so dass sie ihre Augen nicht mehr wild umherschweifen lassen, auf der Suche nach einem sexuellen Kick.”
Kein Wunder, dass die negative Schlussfolgerung daraus für manch hormongesteuerten jungen Mann mit entsprechender traditioneller Prägung bedeutet, dass eine Frau, die kein Kopftuch trägt, eben durchaus zeigt, dass sie Interesse an Flirts und mehr hat, was nicht selten die Bezeichnung “Hure” für unverschleierte, unbekopftuchte und womöglich - gerade beim nächtlichen Discobesuch - eher sehr freizügig gekleideten Frauen einträgt. Mitsamt der dazugehörigen Verachtung und der Ansicht, es handle sich bei ihnen um “Freiwild”, bei dem man sich nur bedienen muss.
Ob das im vorliegenden Fall so war - wir wissen es nicht und werden es wohl auch aus der SZ nicht erfahren. Sie verschont ihre Leser mit Details und Hintergrundinformationen - und nimmt ihnen damit auch die Möglichkeit, wirklich aktiv an der Integration der Zuwanderer mitzuwirken, indem sie ihnen aufzeigen, dass die Menschen herzlich willkommen sind, derartige “Traditionen” aber keinen Platz in unserer Kultur haben, zumal sie schließlich auch nicht zwingender Bestandteil ihrer Religionsausübung sind.
Es gibt Probleme, die lösen sich ganz einfach nicht von selbst, indem man sie entweder verharmlost oder auch einfach nur so tut, als gebe es sie nicht.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/kultur/feminismus-kopftuchdebatte-der-nackte-zwang-1.963023
[2] http://www.suedwatch.de/blog/?p=3958
[3] Seyran Ates: Der Islam braucht eine sexuelle Revolution, Verlag Ullstein
3 Reaktionen zu “Aus gegebenem Anlass”
Nach dem alten Testament muß eine Frau, welche von einem Mann vergewaltigt worden ist, diesen heiraten, sofern beide ledig sind, sonst wird sie gesteinigt.
Ich erwähne das nicht aus dem Wunsch zu relativieren, sondern um den kulturellen Hintergrund der islamischen Vorschriften zu diesem Thema, nämlich die Praxis des Brautraubes, welche auch heute noch in Dagestan, bspw., üblich ist, zu erläutern.
Es ist, denke ich, nicht sehr feinfühlig dort auf weiblicher Seite mit der Integration anzufangen. Fragen Sie sich doch einmal, wie Sie sich fühlen würden, wenn Sie aus einer solchen Kultur nach Deutschland kämen und hier als erstes das Kopftuch ablegen sollten.
Sehr geehrter Olaf Ramcke,
es geht mir nicht darum, “auf weiblicher Seite mit der Integration anzufangen” und von Frauen zu verlangen, dass sie “hier als erstes das Kopftuch ablegen sollten”. Ich denke auch nicht, dass das aus meinem Text herauszulesen ist. Im Gegenteil: Würde man die Frauen angehen, dann würde man ja gerade sie von der zweiten Seite her drangsalieren. Ich fange auf männlicher Seite an. Ich fange damit an, dass auf Frauen der Zwang ausgeübt wird, ein Kopftuch zu tragen.
Das Zitieren des Alten Testamentes ist nicht besonders hilfreich. So manch archaisch anmutende Regel des Alten Testaments (oder auch des finstersten Mittelalters) waren für sich jeweils ein Fortschritt zu dem, was davor lag und ein Zwischenschritt zu dem, was wir heute kennen und schätzen. Die Gesellschaft und die Rechtssysteme haben sich in den letzten Jahrtausenden stets entwickelt. Vorwärts entwickelt. Nichts anderes sollte m.E. mit dem Islam geschehen: Eine Vorwärts-Entwicklung.
Das, was eine Vielzahl der nach Deutschland eingewanderten Muslime, überwiegend aus der Türkei, im übrigen auch getan haben.
Zu guter Letzt: Wenn Sie jemanden fragen wollen, wie er sich fühlt, respektive “sie”, dann fangen Sie am besten bei der 18-jährigen an, die in Gersthofen von sechs Männern alles andere als “feinfühlig” vergewaltigt wurde, möglicherweise wegen derer extrem rückwärts gerichteter Traditionen, die hier wirklich überhaupt nichts verloren haben.
Mit freundlichem Gruß
Jaspis
Nun gut, Herr Jaspis,
ich hatte es in der Tat so gelesen, freue mich jetzt aber, daß Sie die Dinge so sehen, wie Sie sie sehen.
Freilich wäre es eine interessante Diskussion zu erörtern, auf welche Weise die Richtung “vorwärts” zu bestimmen sei, aber ich lese zur Zeit gerade die “Nomoi” und habe da schon genug Stoff zu diesem Thema, sozusagen.
Ich bin mir bei Platon aber nie sicher, ob er nicht die Athener verspottet, wenn er einen Athener mit großer Wortgewalt die Vorzüge von angeleiteten Besäufnissen preisen läßt und die Übungen zur körperlichen Ertüchtigung daneben als moralisch minderwertig darstellt.