“Verräterisch” bis “anstößig”
26. März 2009 von Jaspis
23.03.2009, die SZ geht in Kampfposition: Bundespräsident Horst Köhler wird am 24. März die alljährliche Berliner Rede halten. Diesmal darf er nicht ungeschoren davon kommen.
Thorsten Denkler versetzt die Leser schon mal in die entsprechende Stimmung, mit dem uncharmanten Titel “Roboter am Rednerpult”, Zweittitel auf der Folgeseite “Lauwarmes Gesprudel” (SZ, von SZ zitiert) [1] und bereitet darauf vor, was für eine nichtssagende, schlecht vorgetragene und sinnlose Rede man erwarten müsse.
Doch, zu früh gelästert. Die Rede, die dann kam, war alles andere als nichtssagend und sinnbefreit.
Sie zeigt offene Selbstkritik, sie zeigt, dass Köhler die Sorgen der Bürger verstanden hat und sie ernst nimmt, die Sorgen hinsichtlich der ungleichen Verteilung der Einkommen innerhalb unserer Gesellschaft, aber auch über den ganzen Globus verteilt, bis hin zu den Zweifeln der Brüger an der Globalisierung und dem bestehenden System. [2]
Die Rede kam sehr gut an:
“Es war eine von Köhlers besten Reden.”
jubelt Welt Online, [3]
Köhler vermied es, ein Sammelsurium an Nebenschauplätzen zu beschreiben. Er konzentrierte sich auf das Wesentliche.
FAZ.net erkennt zumindest den “authentischen und ernsten Appell” an,
nun aus Schaden klug zu werden: Nicht in Protektionismus zu verfallen, die Regulierung zu verbessern und Freiheit wieder mit Verantwortung zusammenzubringen. [4]
Die ZEIT spricht von “Köhlers Donnergrollen” und freut sich über dessen deutliche Worte “gegenüber den Bankmanagern” [5]
und spiegel.de freut sich:
Schlicht im Ton, klar in der Botschaft - der Bundespräsident stimmt die Deutschen auf harte Zeiten ein und warnt die Koalition, das Regieren dem Wahlkampf zu opfern. Was Merkel nicht schafft, gelingt Köhler: Er gibt dem Kampf gegen die Krise einen tieferen Sinn. [6]
Nun ist auch der am Vortag noch murrende Thorsten Denkler umgestimmt und stimmt ein:
Köhler klingt wie Kant an diesem Tag. Jedenfalls schafft der Präsident, das hinzubekommen, was Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht gelingt: Dem ganzen Krisenmanagement einen tieferen Sinn zu geben, ein Ziel.
(Nanu, das schreibt doch auch der Spiegel? Wer hat denn dieses Mal von wem abgeschrieben?)
Aufgebaut auf die grundbürgerlichen Werte Anstand und Ordnung. Ein wenig mehr davon auf den Finanzmärkten hätte die Krise wohl verhindern können. Köhler zumindest ist davon überzeugt.
Er hat an diesem Tag geglänzt, auch wenn es nach wie vor an rhetorischem Geschick fehlt. Aber Köhler war ehrlich - und damit beginnt der Weg aus der Krise. [7]
Aber halt. So war das nicht gedacht. Jetzt steht Köhler ja richtig gut da. Bejubelt aus allen Richtungen.
Nur einer hat das Spiel durchschaut: Heribert Prantl. Er zeigt in “Der Domprediger”, was wirklich von der Rede Köhlers zu halten ist, er stellt heraus, was dieser zu verbergen versucht.
- Zumindest versucht er das, ebenso verbissen wie vergeblich:
Verräterisch war da sein Satz: “Solidarität ist Selbsthilfe”. Das ist schlicht falsch. Solidarität heißt, dass der wirtschaftlich Stärkere dem Schwächeren hilft. [8]
Nein, Herr Prantl.
Selbsthilfe ist, man denke nur an die Selbsthilfe-Gruppen: Menschen, die ein gemeinsames Problem haben, finden sich zusammen, um aus der Isolation heraus zu kommen und gemeinsam das jeweilige Problem zu lösen. Nichts anderes ist auch Solidarität. Jeder hilft dem anderen. Weil alle im selben Boot sitzen. Hätte Prantl wenigstens noch den vorigen Satz zitiert, dann wäre das auch deutlich geworden:
Die Soziale Marktwirtschaft hat uns gezeigt: Solidarität ist nicht Mitleid. Solidarität ist Selbsthilfe.
… oder weiter vorne im Text:
Die Menschheit sitzt in einem Boot. Und die in einem Boot sitzen, sollen sich helfen. Eigennutz im 21. Jahrhundert heißt: sich umeinander kümmern.
… das hätte aber nicht so gut ins Konzept gepasst. Das des Herrn Heribert Prantl, der gleich fortsetzt, “verräterisch” sei auch
der Satz, dass “wir alle über unsere Verhältnisse gelebt” hätten und uns daher nun einschränken müssten. Alle? Auch die Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, die seit Jahren verzweifelt und vergeblich Arbeit suchen? Darf man die mit den Investmentbankern in einen Topf werfen? Der Präsident hat unzulässig pauschalisiert. Das ist anstößig.
Der Kontext, den Prantl aus gutem Grund nicht mitzitiert, macht deutlich, was gemeint ist:
Obwohl der Wohlstand in der westlichen Welt, in Europa und auch in Deutschland seit den 70er Jahren beständig zunahm, ist auch die Staatsverschuldung kontinuierlich angestiegen. Man stellte Wechsel auf die Zukunft aus und versprach, sie einzulösen.
Das ist bis heute nicht geschehen. Denn wir scheuten uns vor den Anstrengungen, die mit jedem Schuldenabbau verbunden sind. Wir haben die Wechsel an unsere Kinder und Enkel weitergereicht und uns damit beruhigt, das Wirtschaftswachstum werde ihnen die Einlösung dieser Wechsel erleichtern. Jetzt führt uns die Krise vor Augen: Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt.
Was nichts anderes heißt als dass die “Hummer für alle”-Mentalität nur auf Kosten einer wachsenden Staatsverschuldung möglich ist, die nicht endlos fortgesetzt werden kann. Irgend jemand wird die Zeche zu zahlen haben.
Das nun aber so zu interpretieren wie Prantl das macht, ist noch nicht einmal mehr anstößig. Es ist nur noch billig.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/108/462722/text/
[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/160/462773/text/
[3] http://www.welt.de/politik/article3436615/Horst-Koehler-findet-in-der-Krise-sein-Thema.html
[4] http://www.faz.net/s/Rub0E9EEF84AC1E4A389A8DC6C23161FE44/Doc~EB59F190293484A34B742A442E2B8012A~ATpl~Ecommon~Scontent.html
[5] http://www.zeit.de/online/2009/13/horst-koehler-berliner-rede
[6] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,615190,00.html
[7] http://www.sueddeutsche.de/,tt2m1/politik/171/462784/text/
[8] http://www.sueddeutsche.de/politik/197/462810/text/