“Recherche ist als Handwerk zu verstehen”
30. Juli 2010 von Jaspis
Recherche ist als Handwerk zu verstehen
und
Recherche hat mit ‘Googlen’ in den meisten Fällen wenig gemeinsam
sagte Hans Leyendecker in einm Telefoninterview mit der Uni Trier.[1]
Man müsse sich auch darüber bewusst sein, dass gute Recherche Zeit koste und man einfach länger als andere arbeiten müsse.
Vielleicht lag es ja am Zeitmangel, dass sein heutiger Artikel zur Entlassung Jörg Kachelmanns aus der Untersuchungshaft eher … weniger gut recherchiert erscheint. Zugegeben, er bietet, im Gegensatz zu Heribert Prantls “Kommentar” zum gleichen Thema [2] (der unter noch viel größerem Zeitdruck entstanden sein muss) wenigstens einige Informationen anstelle von einer Aneinanderreihung von Gemeinplätzen, die sich etwa zusammen fassen ließen mit: Jetzt ist Kachelmann frei, aber wenn er verurteilt wird, ist er es nicht mehr, wenn er freigesprochen wird, aber schon.
Wäre Hans Leyendeckers Artikel allerdings das Produkt sorgfältiger Recherche, dann wären die vielen anderen Gutachten, die bereits erstellt worden sind, nicht nur eher beiläufig erwähnt worden.
Belastet wird Jörg Kachelmann vor allem durch den Heidelberger Traumatologen Professor Günter Seidler, der von der Staatsanwaltschaft Mannheim beauftragt wurde. Ihm lagen keine anderen Akten oder Vorgutachten vor, und er kam in seiner 42 Seiten dicken Expertise zu dem Schluss, dass die Hauptbelastungszeugin glaubwürdig sei. Es lägen jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die “behauptete Vergewaltigung nicht stattgefunden hat”, schrieb er.
führt Leyendecker aus [3] und nicht einmal die im Kontext fast untergehende Information
Seit 24. April dieses Jahres therapiert Seidler das angebliche Opfer. In der Regel kommt die 37 Jahre alte Frau zweimal pro Woche in Seidlers Trauma-Ambulanz.
- Die Belastungszeugin ist also Patientin des Therapeuten Seidler. Seine Neutralität ist damit dahin. - gibt Leyendecker Anlass für weitergehende Recherchen.
Auch die widersprüchlichen Auslegungen des Gutachtens der Psychologin Luise Greuel, die von
Nach Information des Nachrichtenmagazins [des Spiegel, Anm. Jaspis] kommt Greuel darin zu dem Schluss, “dass die Schilderung der Vergewaltigung nicht die Mindestanforderungen an die logische Konsistenz, Detailierung und Konstanz erfülle.” [4]
bis
Die Gutachterin Luise Greuel hat herausgearbeitet, dass Kachelmann seine langjährige Partnerin stets als willig erlebt habe. Dass sie ihn in der angeblichen Tatnacht zurückgewiesen habe, habe bei ihm womöglich eine “narzisstische Wut” hervorgerufen. Mit der Tat hätte er möglicherweise versucht, Kontrolle und Dominanz wiederherzustellen. [3]
reichen, werden unter den Tisch fallen gelassen. Und das Gutachten des renommierten Gerichtsmediziners Bernd Brinkmann erwähnt Leyendecker noch nicht einmal. Dabei wäre das gar nicht so uninteressant:
Im Fall Kachelmann wurde Brinkmann von der Verteidigung um die sachverständige Beurteilung jener – durch eine Vielzahl von Fotografien dokumentierten – Verletzungen gebeten, die von Simone [Name, den die Autorin in ihrem Artikel der Belastungszeugin gab; Anm. Jaspis] als Vergewaltigungsfolgen präsentiert worden waren.
Der zuständige Rechtsmediziner in Heidelberg hatte am 9. Februar über dem Kehlkopf der Moderatorin eine horizontale, bandförmige Hautrötung festgestellt, die laut Simone durch den starken Druck des – während der Vergewaltigung an den Hals gepressten – Messers entstanden sein soll. Außerdem begutachtete er enorme blaurote Blutunterlaufungen an den Innenseiten der Oberschenkel, deren Herkunft die Opferzeugin allerdings nicht erklären konnte. Das Rechtsmedizinische Institut Heidelberg, dem damals nur das Protokoll der ersten der vier Geschädigtenvernehmungen vorlag, mochte sich nicht festlegen bei der Frage, ob die Verletzungen durch Fremdeinwirkung entstanden oder von Simone sich selbst zugefügt worden waren.
Brinkmann dagegen legte sich fest: Seiner Einschätzung nach hat sich Simone selbst verletzt. Für den von der Opferzeugin behaupteten Hautkontakt mit der scharfgezackten Schneide des Küchenmessers sei ihre Halshaut viel zu oberflächlich beschädigt. Ein an die Kehle gehaltener Messerrücken wiederum könne die vertikalen Kratzer und parallelen Linien innerhalb des entzündeten Hautfeldes nicht erklären. Überdies sei schwer vorstellbar, dass Kachelmann bei dem beschriebenen Gerangel, dem doppelten Entkleiden und dem – mit entsprechenden Bewegungen einhergehenden – Geschlechtsakt das Messer akkurat auf immer dieselbe kleine Fläche über dem Kehlkopfs habe drücken können. Umso weniger, als er nach Aussage der Zeugin ihr zeitweise auch noch den Mund zugehalten haben soll, sie also mit gekreuzten Armen hätte vergewaltigen müssen.
Abgesehen davon, dass keinerlei Kachelmann zuordenbare DNA-Spur auf dem Messer gefunden werden konnte, hält der Rechtsmediziner Brinkmann es für unmöglich, dass überhaupt irgendein Messer die Hautbeschädigung am Hals verursacht hat. Seiner Einschätzung nach war das ursächliche Werkzeug weit ungefährlicher: ein spitzer Fingernagel.
Auch die Erklärung Brinkmanns für die Hämatome an den Oberschenkeln entlasten Kachelmann. Die beiden Unterblutungen sind fast genau gleich groß und liegen einander spiegelbildlich gegenüber. Ihr Umriss schließe ein (möglicherweise die Beine spreizendes) Knie als Ursache aus. Ihre Gestalt lege eher den Einsatz einer geballten Faust nahe, denn die Abdrücke der vier Handknöchel seien ziemlich gut erkennbar. Hätte Kachelmann aber mit seinen Fäusten auf die Beine der Frau eingeboxt, hätte er dazu das Messer aus der Hand legen müssen, was – laut Aussage – nicht der Fall war. Außerdem wären massive Schläge auf die Beininnenseiten, weil äußerst schmerzhaft, der Frau sicher nicht entgangen. In der Vernehmung hätte Simone die Hämatome dann auch leicht erklären können und nicht – wie geschehen – behauptet, sie habe deren Entstehung nicht mitbekommen, sondern die Blutunterlaufungen erst in der Klinik bemerkt.
In einem Selbstversuch mit eingefärbten Fäusten ist es einer Mitarbeiterin des Sachverständigen Brinkmann ohne Weiteres gelungen, ähnliche Abdrücke auf ihren eigenen Schenkeln hervorzurufen. [5]
Wie konnte Leyendecker dieses Gutachten bei seinen Recherchen nur entgehen?
Ich unterstelle “im Zweifel für den Schreiber” Zeitmangel als den Grund dieser spärlichen Auswahl von Informationen, die uns Leyendecker präsentiert hat. Anderenfalls müsste ich annehmen, er wolle seine Leser manipulieren und sie glauben machen, die Vorverurteilung Kachelmanns, die seit März “landauf, landab” Pressekodex-widrig auch mithilfe der Süddeutschen zelebriert wurde, sei nicht nur gerechtfertigt, sondern müsse auch auf Biegen und Brechen weiterverfolgt werden. Und sei es auch nur durch Zuhilfenahme von Tatsachenunterschlagung.
Jaspis
[1] http://medienleben.uni-trier.de/leben/medienmenschen/nachgefragt-recherche/hans-leyendecker/
[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/joerg-kachelmann-die-freiheit-die-kein-freispruch-ist-1.981504
[3] http://www.sueddeutsche.de/panorama/kachelmann-das-trauma-der-gutachter-1.981640
[4] http://www.sueddeutsche.de/panorama/vergewaltigungsvorwurf-gegen-tv-moderator-verwirrspiel-um-kachelmann-1.954263
[5] http://www.zeit.de/2010/26/DOS-Justiz-Kachelmann?