Die SZ und Wikileaks: Ein Hauch von Schwabinger Bach und eine Prise “Landser”
27. Juli 2010 von moritatensaenger
Berichte der Süddeutschen über Militäreinsatze und Kriegsschauplätze erinnern den Moritatensaenger immer ein bissl an die berüchtigten “Spaziergänger” im Englischen Garten. Seit Jahrzehnten wird sich in diesem großartigen Park, diesem grünen Symbol der sprichwörtlichen Liberalitas Bavariae [1], nackt gebadet und gesonnt. Die Sonnenanbeter versammeln sich dazu überwiegend auf der Schönfeldwiese, gelegen zwischen dem Schwabinger Bach (der fälschlicherweise oft mit dem Eisbach verwechselt wird) und dem der Wiese gleichnamigen Schönfeldviertel [2]. Und seit die Nackerten dort liegen, sind die an der Wiese und dem Bach vorbeiführenden Wege Ziel einer besonderen Spezies kritischer Zeitgenossen: Der Entrüster. Die nämlich suchen mit seltsamer Leidenschaft die Nähe der Entblößten, nehmen begierig jeden dem Verborgenen entrissenen Flecken Haut mit ihren Blicken auf, um sich dann aber unverzüglich (und noch lange zu Hause, am sonntäglichen Kaffeetisch) aus tiefster Seele über die gezeigte Unmoral zu entrüsten.
Ähnlich ist es bei der SZ, wo die bezahlten Entrüster tief in Blut und militäri- schem Vokabular waten, um den dafür empfänglichen und als Zielgruppe für Wert befundenen Lesern wohlige Schauer über den Rücken zu jagen, die ähnlich auch der Gaffer angesichts des nackten Fleisches auf der Schönfeldwiese genießt. Natürlich nur, wer würde daran zweifeln, um sich danach unverzüglich und aus tiefster Seele über Militär und Politik zu entrüsten.
Dass dabei verantwortliche, seriöse und an Fakten orientierte Berichterstattung eher hinderlich ist, sich Stahlgewitter und Landser-Heftchen Romantik aber um so besser verkaufen, das weiß man natürlich im Hause Süddeutsche. Weshalb man den Artikel [3] …
…zu den von Wikileaks ins Netz gestellten 91.731 Dokumenten der Afghanistan-Streitkräfte der USA überwiegend auf die sagenumwobene Task-Force 373 reduziert und dazu, wie es bekanntermaßen auch das große VorBILD gerne handhabt, ein x-beliebiges Foto präsentiert…
(Der abgebildete Soldat mit seinem leichten Maschinengewehr vom Typ M-249 Para [für Interessierte: mit der neuen, stabileren Schulterstütze, wie es sich am Sturmgewehr M4 bewährt hat] ist regulärer Angehöriger der 10th Mountain Division der US-Army und keinesfalls, soweit das Bild überhaupt in Afghanistan aufgenommen wurde, Mitglied der Task Force 373, die aus Mitgliedern der U.S. Navy’s Sea, Air and Land Teams [Navy SEALs], der 1st Special Forces Operational Detachment-Delta Teams ["Delta Force"] und der heute Grey Fox genannten ehemaligen United States Army Intelligence Support Activity Teams bestehen.)
…, dessen Aufgabe nicht die Information, sondern die zielgerichtete Emotiona- lisierung ist. Natürlich - wir wissen - kostet sauberes, journalistisch korrektes Bildmaterial sowohl Geld als auch (Recherche-)Mühe und ist oft nur halb so reißerisch. Aber die Süddeutsche spart ja gern, weshalb man auch im Text die Wahrheit…hm….”auffrischt” wie alten Wein, den man mit etwas Diethylenglycol aufgepeppt, in neuen Schläuchen an den Konsumenten zu bringen versucht.
So schreibt man bei Sueddeutsche.de im Groschenromanjargon…
“Besonders brisant sind die Schriftstücke, die sich mit der bislang unbekannten Task Force 373 beschäftigen. Es handelt sich dabei um ein geheimes Kommando, das eine ebenso geheime Liste mit Zielpersonen abarbeitet, die sie töten oder gefangen nehmen sollen.”
…und befördert damit die Bundestagsfraktion der Grünen, ja den ganzen Bundestag und die Bundesregierung zu Trägern höchstgradiger US-ameri- kanischer Militärgeheimnisse. Die deutsche Regierung wusste nämlich mindestens schon im Oktober vor einem Jahr eine - natürlich öffentliche (!) - kleine Anfrage der Grünen wie folgt zu beantworten [5]:
“Bei der Task Force 373 handelt es sich um nationale US-Kräfte im Aufgabenbereich Terrorismusbekämpfung. Der Kernauftrag besteht in der Aufklärung und Festsetzung von Personen, die Al Qaida oder ggf. auch der Führungsriege der Taliban angehören.”
Ja, so geheim ist das Spezialkommando 373, dass dessen Kommandeur, Brigadier General Raymond P. Palumbo [6], sogar im fernen Korea und dort im August vor 2 Jahren bekannt war [7] …
(Hier auf dem Platz des “Wizzo”, des Weapon Systems Officer [WSO], in einer McDonnell Douglas F-15E Strike Eagle während eines Informationsbesuches bei der 494th Expeditionary Fighter Squadron, anlässlich dessen sich der General über deren strategische Einsatzmöglichkeiten umfassender informieren wollte. Abgebildet in einem koreanischen Blog)
…und ihm einige Tage vorher, im Juli 2008, einige Zeilen in The Veterans Hour, nach eigenen Angaben “Americas’ Leading Online Veterans Newspaper”, gewidmet waren. Unter Bekanntgabe seiner Beziehung zur - selbstverständlich - “streng geheimen” Task Force 373 [8]:
(Markierungen: Moritatensaenger)
Was, so stellt sich die Frage, ist denn nun wirklich neu an den Informationen, die Sueddeutsche.de hier präsentiert, was ist wirklich niet und nagelfest? Ist es neu, dass Special Operation Teams, wie auch immer sie sich nennen, zu “kill-or-capture”-Einsätzen ausrücken? Ist es neu, dass eine “kill-or-capture”- Liste existiert?
Neu davon ist garnichts. Seit Jahren schon, begründet in der Authorization for Use of Military Force des US-Kongresses [9], ist das Aufspüren und Festsetzen oder Töten von Terroristen oder bedeutenden, mit dem Terrorismus in Verbindung stehenden Gegnern, praktizierte Vorgehensweise bestimmter Einheiten des US-Militärs. Nicht nur Terroristen selbst, sondern auch deren Handlanger und Finanziers sind Ziel der Einsätze. Im Sommer letzten Jahres berichtete z.B. die New York Times ausführlich darüber [10], dass auch 50 afghanische Drogenhändler auf die “Pentagon target list to be captured or killed” gesetzt wurden.
Und ist - wenn keine Gefangennahme möglich oder gewünscht ist - das dann eingesetzte “targeted killing” tatsächlich völkerrechtswidrig? Die SZ schreibt zwar in o.g. Artikel vorsichtshalber selbst…
“Ein solcher Einsatz ist kaum von Isaf-Mandat und Völkerrecht gedeckt. [...] Illegal sind höchstwahrscheinlich auch die Einsätze des Kommandos 373, wenn nicht sogar dessen Existenz [...] Ob das völkerrechtlich einwandfrei ist, ist fraglich”
…lässt sich aber angesichts dieser eigenen Zweifel nicht davon abbringen, dem Ganzen trotzdem den Mantel der Illegalität überzuziehen. Letztlich geht es dem Blatt aus München offensichtlich, das belegt das unseriöse Lavieren mit der schwer beurteil- wie zusammenfassbaren Informationsflut von über 90.000 Dokumenten, das belegt der Umgang mit der Thematik des targeted killing, mit deren Betrachtung vor dem Völkerrecht sich ganze Bücher füllen [11], nicht um sauberen Journalismus, sondern um die politisch motivierte, populistische Interpretation von Informationen, angsichts deren schierer Masse der Leser aber dringend auf die Objektivität und Seriosität der berichtenden Medien angewiesen wäre. Und es geht manchem Schreiber und mancher Redaktion schlicht um die Befriedigung des eigenen Voyeurismus. Es geht um Schwabinger Bach und Landser-Gechichtchen für Linksliberale.
Mit tönendem Gruß
Ihr Moritatensaenger
[2] http://www.stadtgui.de/muenchen_schoenfeldwiese.htm
[4] http://en.wikipedia.org/wiki/10th_Mountain_Division_%28United_States%29
[5] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/141/1614125.pdf
[6] http://www.elmendorf.af.mil/library/biographies/bio.asp?id=13734
[7] http://kr.blog.yahoo.com/shinecommerce/19763
[8] http://www.veteranshour.com/enduringfreedom.htm
[9] http://news.findlaw.com/hdocs/docs/terrorism/sjres23.enr.html
[10] http://www.nytimes.com/2009/08/10/world/asia/10afghan.html?_r=2&hp