Böses Mädchen!
10. Juni 2010 von Jaspis
Der Fall “Emmely”, der Fall der Kassiererin, der wegen Unterschlagung von Pfandbons im Wert von 1,30 € gekündigt wurde. Und weil das Vertrauensverhältnis zwischen ihrem Arbeitgeber und ihr zerstört gewesen sei. Weil sie sich nicht nur als Kassiererin vertrauensunwürdig erwiesen habe, sondern auch weil sie im Nachhinein gelogen hat und nur das eingeräumt hat, was ihr nachgewiesen wurde. Und weil sie keine Skrupel hatte, auch noch ihre Kolleginnen anzuschwärzen - falsch anzuschwärzen, um sich aus der Patsche zu ziehen. Nun ging der Fall in die nächste Runde, das Bundesarbeitsgericht sollte darüber entscheiden.
Bereits vor über einem Jahr schwadronierte Heribert Prantl über eines der Lieblingsinstitute der selbst gut betuchten Fürsprecher der “kleinen Leute”, dass nämlich die Kleinen gehenkt werden, während man die Großen laufen lässt. Bereits vor über einem Jahr hielt sich Prantl gar nicht lange mit Tatsachen oder womöglich den Details des konkreten Falles auf, sondern beschränkte sich auf populistische Phrasendrescherei. [1]
Die Ankündigung der heutigen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hat ihn offensichtlich dazu veranlasst, dem gleich eine neue Auflage nachzuschicken. In “Gnade für die Großen, Härte für die Kleinen” [2] verliert er sich erneut in Allgemeinplätzen linker Argumentationsphilosophie.
Die Regeln des Alten Testaments waren streng, manchmal grausam. Aber das deutsche Arbeitsrecht ist, in diesem einen Punkt jedenfalls, sehr viel strenger.
Von dieser alten Weisheit, von dieser kleinen Großzügigkeit ist im Arbeitsrecht nichts mehr übrig geblieben: Die Gerichte strafen die Arbeitnehmer für kleinste Vermögensdelikte mit der außerordentlichen Kündigung; das bedeutet meist: mit Existenzvernichtung.
Die Justiz muss damit aufhören, mit zweierlei Maß zu messen: bei großen Leuten umsichtig und maßvoll, bei kleinen Leuten hastig und verständnislos. Sie muss damit aufhören, Klassenjustiz zu spielen und ganz unten am strengsten zu sein und schon auf der mittleren Führungsebene andere Werte gelten zu lassen.
Mit konkreten Fällen und tatsächlich vergleichbaren Sachverhalten hält er sich dieses Mal wiederum ebensowenig auf wie mit den entscheidungsrelevanten Details des “Emmely”-Falles. Dafür hat er aber auch schon einen Marschbefehl für das Gericht:
Wenn sich das Bundesarbeitsgericht nicht lächerlich machen will, kommt es nicht umhin, seine Rechtsprechung zu ändern
Wie wohltuend konkret und sachlich ist dagegen Daniela Kuhrs Artikel von heute, 6:32 Uhr [3]
Eine Kassiererin wurde zum Symbol für soziales Unrecht. Doch die Rollen von Gut und Böse sind nicht so klar verteilt, wie es scheint.
traut sich Daniela Kuhr doch da tatsächlich zu schreiben! So ein böses Mädchen aber auch! Heribert Prantl wird es aus der Seidenbettwäsche geworfen haben, als er das erfahren hat. Gut und Böse nicht so klar verteilt, wie es scheint?! Wo er doch wieder und wieder klarzumachen versucht hat, dass es genau so ist und nicht anders?
Und dann schildert Daniela Kuhr auch noch den Sachverhalt! Wie das genau gelaufen ist, mit den Pfandbons. Die Lügengeschichten. Ihr Verhalten und das des Arbeitgebers.
Der Arbeitgeber kündigte der Kassiererin nicht etwa von einem Tag auf den anderen, sondern führte in den kommenden Wochen mehrere Gespräche mit Emmely, auch im Beisein von zwei Betriebsräten. Er ging allen ihren Erklärungen nach. Mal behauptete Emmely, die Bons stammten von ihrer Tochter, mal brachte sie die Möglichkeit ins Gespräch, eine Kollegin habe sie ihr heimlich ins Portemonnaie gesteckt.
Durch dieses Verhalten habe Emmely das Vertrauen ihrer Vorgesetzten nachhaltig verspielt, weil sie “im Rahmen der Befragungen durch den Arbeitgeber immer wieder falsche Angaben gemacht habe, die sie dann, als sie vom Arbeitgeber widerlegt waren, einfach fallengelassen hat”, schrieb das Landesarbeitsgericht in seiner Pressemitteilung. Vor allem habe sie “ohne Grund und Rechtfertigung eine Kollegin belastet, die nichts mit der Sache zu tun gehabt hatte”. Es waren weniger die 1,30 Euro als vielmehr dieses Verhalten, das die Richter dazu brachte, die Kündigung als gerechtfertigt anzusehen.
Daniela Kuhr bringt auch, im Gegensatz zu ihren Kollegen, auf den Punkt, worum es wirklich geht:
Das Problem daran ist nur: Diese Aussagen hat Emmely erst nach der Kündigung gemacht. Kann so ein späteres Verhalten die Kündigung rückwirkend rechtfertigen? Das will das Bundesarbeitsgericht nun erstmals entscheiden.
Mit diesem sorgfältigen Artikel rettet Daniela Kuhr nicht nur ihr Blatt, das so wenigstens einen sachlichen und informativen Artikel zum Fall Emmely vorweisen kann - sie blamiert Heribert Prantl auch bis auf die Knochen:
Die Empörung über das Emmely-Urteil fällt also umso leichter, je weniger man sich mit dem Fall beschäftigt hat.
So geht es natürlich nicht. Flugs musste eine Gegendarstellung her, erst um 9:20 Uhr von Detlef Esslinger [4]
Immer auf die Kleinen
Die Kündigungen wegen Cent-Beträgen häufen sich. Das zeigt: In der Arbeitswelt gilt das Recht des Stärkeren.
Sie alle scheinen Beleg dafür zu sein, dass in der Wirtschaft zunehmend das Recht des Stärkeren gilt, dass es für das uralte Sprichwort “Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen” noch nie so viel Bestätigung gab wie heute.
nebst einer Auflistung anderer Kündigungsfälle und der Forderung von Gewerkschaften und SPD, die Verdachtskündigung abzuschaffen.
Etwas mehr Gehalt, der diese Auflistungen vielleicht doch noch zu einem Artikel gemacht hätte, etwa dazu, was eine Verdachtskündigung ist, dass im Fall “Emmely” ein dringender (nicht nur ein einfacher) Tatverdacht vorlag -Fehlanzeige.
Und auch Heribert Prantl ließ nicht lange auf sich warten und schob um 9:29 Uhr hinterher [5] :
Natürlich, was sonst. Und wieder der gleiche Schmäh
Ungerechtes Arbeitsrecht
Die Justiz und die kleinen Leute
Vor dem Gesetz sind nicht alle Menschen gleich. Es gibt welche, die sind gleicher und andere, die nicht nur gleicher, sondern viel besser dran sind.
Der Ton am Amtsgericht ist, gelinde gesagt, robust - jedenfalls dann, wenn gegen Angehörige der unteren sozialen Schichten verhandelt wird.
Erstaunlich hier ist der Ausflug in die Gerichtssäle, die Prantl vermutlich seit Jahren nicht mehr von innen gesehen hat (wobei sich die Frage aufdrängt, wie er das als Richter wohl gehandhabt haben mag), mit nichtssagenden Allgemeinplätzen. Ein Vortrag, den man in eben diesen Räumen mit einem einzigen Wort gewürdigt hätte:
Unsubstantiiert.
Aber zumindest ist vom substantiierten - und gehaltvollen Artikel der Daniela Kuhr wirksam abgelenkt worden. Nicht dass den noch jemand liest.
Nun, inzwischen ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ergangen: Die Kündigung ist unwirksam. Das Gericht führte aus [6]
Die Kündigung ist unwirksam. Die mit einer sogenannten „Verdachtskündigung“ verbundenen Fragen stellten sich dabei in der Revisionsinstanz nicht, weil das Landesarbeitsgericht - für den Senat bindend - festgestellt hat, dass die Klägerin die ihr vorgeworfenen Handlungen tatsächlich begangen hat. Der Vertragsverstoß ist schwerwiegend. Er berührte den Kernbereich der Arbeitsaufgaben einer Kassiererin und hat damit trotz des geringen Werts der Pfandbons das Vertrauensverhältnis der Parteien objektiv erheblich belastet. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Dagegen konnte das Prozessverhalten der Klägerin nicht zu ihren Lasten gehen. Es lässt keine Rückschlüsse auf eine vertragsrelevante Unzuverlässigkeit zu. Es erschöpfte sich in einer möglicherweise ungeschickten und widersprüchlichen Verteidigung. Letztlich überwiegen angesichts der mit einer Kündigung verbundenen schwerwiegenden Einbußen die zu Gunsten der Klägerin in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte. Dazu gehört insbesondere die über drei Jahrzehnte ohne rechtlich relevante Störungen verlaufene Beschäftigung, durch die sich die Klägerin ein hohes Maß an Vertrauen erwarb. Dieses Vertrauen konnte durch den in vieler Hinsicht atypischen und einmaligen Kündigungssachverhalt nicht vollständig zerstört werden. Im Rahmen der Abwägung war auch auf die vergleichsweise geringfügige wirtschaftliche Schädigung der Beklagten Bedacht zu nehmen, so dass eine Abmahnung als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung angemessen und ausreichend gewesen wäre, um einen künftig wieder störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu bewirken.
Die Abwägung der relevanten Punkte
- festgestellte Unterschlagung
- schwerwiegender Verstoß
- objektive Belastung des Vertrauensverhältnisses
- vergleichsweise geringfügige wirtschaftliche Schädigung
- jahrzehntelanges störungsfreies Arbeitsverhältnis
fiel beim Bundesarbeitsgericht in diesem Fall zu Gunsten der Klägerin aus. Es sah das erworbene Vertrauen größer an als das verlorene. Gleichwohl stellte das Gericht fest:
Ein vorsätzlicher Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Vertragspflichten kann eine fristlose Kündigung auch dann rechtfertigen, wenn der damit einhergehende wirtschaftliche Schaden gering ist.
und erteilte damit eben -nicht- den von vielen herbeigesehnten Freibrief für “Bagatellfälle”.
Die Richter werden dennoch beruhigt zur Kenntnis nehmen, dass sie dieses Mal nun doch nicht von jemandem, der sich anschickt, selbst zum Hofnarren seines Blattes zu werden, als “lächerlich” bezeichnet zu werden.
Jaspis
[1] http://www.suedwatch.de/blog/?p=59
[2] http://www.sueddeutsche.de/karriere/bagatellkuendigungen-gnade-fuer-die-grossen-haerte-fuer-die-kleinen-1.954439
[3] http://www.sueddeutsche.de/karriere/der-fall-emmely-die-frau-die-sich-traut-1.956440
[4] http://www.sueddeutsche.de/karriere/bagatell-kuendigung-immer-auf-die-kleinen-1.956441
[5] http://www.sueddeutsche.de/karriere/ungerechtes-arbeitsrecht-die-justiz-und-die-kleinen-leute-1.956442
[6] http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2010&nr=14385&pos=0&anz=42
2 Reaktionen zu “Böses Mädchen!”
Das Urteil ist gut für Deutschland: Es stärkt das Vertrauen, dass es in Deutschland eben doch keine Zwei-Klassen-Justiz gibt, die beide Augen zurdrückt, wenn der Schaden nur groß genug ist, und ganz genau hinschaut, wenn unbedeutende und austauschbare Mitarbeiter minimale Verfehleungen begehen. Den Kommentaren von Herrn Prantl kann man daher nur zustimmen!
Bei Prantl springt mir der Antisemitismus ins Auge, den er selbst in einem voellig themenfremden Artikel noch unterbringt:
“Die Regeln des Alten Testaments waren streng, manchmal grausam.”
Er haette mit etwas mehr Berechtigung auch schreiben koennen, dass die Regeln der Sha’ria streng und manchmal grausam sind, wie z.B. wenn Diebstahl mit dem Verlust einer Hand bestraft wird. Diese Gesetze werden in Laendern wie Iran, Sudan und Saudi-Arabien immer noch angewandt!
Das Alte Testament sieht dagegen mehrfache Rueckerstattung oder Wiedergutmachung als Strafe vor.
Aber das darf man im Zeitalter der PC natuerlich nicht erwaehnen. Das Alte Testament dagegen als grausam zu bezeichnen, passt gut zur Anti-Israel Berichterstattung der SZ.