Die Süddeutsche und ihr Frauen-BILD
27. April 2010 von Jaspis
Der moderne, aufgeschlossene Mann des 21. Jahrhunderts - also der in unseren Breiten - sieht die Frauen in der Gesellschaft als gleichberechtigte Wesen, er sieht in ihnen vor allem mündige und ebenbürtige Partner derselben Gesellschaft, die er niemals auf körperliche Attribute reduzieren sondern stets mit demselben Respekt und Interesse für ihre beruflichen oder auch politischen Positionen behandeln würde wie seine männlichen Zeitgenossen.
Zumindest bemüht er sich gelegentlich darum.
Dass das jedenfalls den Herren der Süddeutschen Zeitung nicht immer so recht gelingen will, zeigen sie dieses Mal an Agnes Krumwiede.
Agnes Krumwiede ist die kulturpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag. Nach ihrer ersten Rede verpasste ihr eine Zeitung den Titel “Miss Bundestag”. Und den wird sie nun nicht mehr so recht los.
Nein, diese Boulevard-Presse aber auch immer. Wie gut, dass es die Süddeutsche gibt. Da kann man sicher etwas mehr erfahren über die 33jährige Politikerin, um sich eine Vorstellung ihrer Positionen zu machen. Ein Interview ist heute auf jetzt.de zu lesen. [1] Es behandelt die Frage
Was hat Erotik mit Macht zu tun?
Ein brennendes Thema offensichtlich, gerade wenn es um eine gutaussehende Politikerin geht. Dazu passend die Fragen, z.B.:
Agnes, findest du Macht erotisch?
Findest du zu Guttenberg erotisch?
Dabei ist er doch so eine Art männlicher Gegenpart zu deiner Person: Die Bild-Zeitung hat dich schließlich zur „Miss Bundestag“ ernannt.
Was ist schlimm daran, gleichzeitig jung, klug und hübsch zu sein?
Auch auf die Antwort darauf
Gar nichts. Ich hatte auch kein Problem damit, dass die Bild-Zeitung mich zur „Miss Bundestag“ ernannt hat. Mein Problem war eher, was danach passiert ist: Ich habe einige Interviews geführt, in denen ich stundenlang über Afghanistan und Biokraftstoffe gesprochen habe und am Ende stand davon gar nichts in der Zeitung.
fiel dem interviewenden Andreas Glas nicht mehr ein als
Du warst wieder nur „Miss Bundestag“?
Mit einer Antwort auf die Frage, was sie denn von sich gegeben hätte, wenn man sie nach ihren politischen Standpunkten gefragt hätte, wollte sich Andreas Glas aber offenbar nicht überfordern.
Nun gut, das jetzt.de-Publikum ist eher jugendlich und anscheinend auch eher an Erotik interessiert als an politischen Inhalten oder womöglich gar auch noch mit einer Auseinandersetzung mit denselben, deshalb verschont man es wohl besser damit. Suchen wir also auf sueddeutsche.de. Dort gibt es sicher mehr über sie zu lesen. Die Suche ergibt … ganze zwei Ergebnisse.
Das eine: Eine Abstimmungs-Bilderserie “Wer ist Ihr Polit-Star 2009?” [2]
Das kann man gerade einmal unter “ganz nett” durchgehen lassen - bei der Anzahl der Fundstücke ist das allerdings schon ein bisschen peinlich. Solche Bildchen bieten sich eher dann an, wenn über eine Person schon so viel geschrieben wurde, dass ein kleiner Scherz das Bild noch abrunden kann. Aber als eines von zwei Such-Resultaten, nach vorher nicht vorhandener Information ist das arg dürftig.
Sehen wir uns das andere Fundstück an. Aha, ein Artikel vom neuen Investigativ-Journalisten der SZ, Stefan Mayr [3] , der sein “Können” erst jüngst in der Causa Mixa so … eindrucksvoll zur Schau gestellt hat. Sicher hat Mayr das Unterste zu oberst gekehrt und nach der Lektüre seines Artikels wissen wir auch sicher alles über Agnes Krumwiede, über ihr Leben, ihre Karriere und vor allem ihre politischen Standpunkte. Diese hat er sicher aufgegriffen, kritisch beleuchtet und hinterfragt, um dann ein objektives Bild der Politikerin zu verschaffen. Oder zumindest das, was Stefan Mayr darunter versteht:
Sie will Hip-Hop-Projekte an Schulen etablieren, sie will “Subkultur in gleichem Maße fördern wie den hochsubventionierten Opernbetrieb”.
Sie kritisiert die “Bildungsbulimie”: “Da wird Wissen reingestopft und wieder ausgespuckt, aber nachhaltig ist das nicht.” Sie prangert die “Ausbeutung in der Kulturbranche” an und fordert Mindestlöhne für Musiker und Tänzer. Sie wünscht sich - analog zum Bankenrettungsfonds - einen Nothilfefonds für die Kultur.
ist das, was Stefan Mayr bietet, um sich und sein Blatt von der Boulevardpresse abzuheben.
Dabei vermeidet er es allerdings tunlichst, in die Tiefe zu gehen, wie das etwa Marcus Stäbler vom Hamburger Abendblatt oder die Kollegen vom Donaukurier getan haben. Dort konnte man zu diesem Thema z.B. erfahren
Abendblatt:
Glauben Sie, dass klassische Musik wichtig ist für die Gesellschaft? Kann sie Menschen verändern?
Krumwiede:
Auf jeden Fall. Dafür gibt es viele Beispiele. Neurologen haben wissenschaftlich belegt, dass klassische Musik das Einfühlungsvermögen fördert. Eine sehr wichtige Eigenschaft für das menschliche Miteinander! Außerdem kann man Musik als integratives Element einsetzen. Das zeigt Daniel Barenboim mit seinem West-Eastern Divan Orchestra, in dem er junge israelische und palästinensische Menschen zusammen musizieren lässt. Ein wichtiges politisches Signal von großer Tragweite.[4]
Donaukurier:
Krumwiede: Ich stehe mit “Rhapsody in School” in engem Kontakt, einer bundesweiten Initiative prominenter klassischer Musiker. (…) An vielen Schultypen bleibt neben dem enormen Leistungsdruck keine Zeit. Wir brauchen eine Entschleunigung auf allen Ebenen unserer Gesellschaft. (…)Wir haben aus unserem Bekanntenkreis viele Kontakte zu Schauspieler, Hip-Hop-Künstlern und klassischen Musikern. Das Angebot von “Künstler an die Schulen” wird zweigeteilt sein. Auf der einen Seite Workshops, die mehrere Wochen dauern, auf der anderen Seite einmalige Veranstaltungen. [5]
Stefan Mayr hingegen beschränkt sich im weiteren auf:
Bekannt wurde die Konzertpianistin Agnes Krumwiede nicht wegen ihres Klavierspiels. Auch nicht wegen ihres Engagements als Kulturpolitikerin der Grünen-Bundestagsfraktion. Wirklich bekannt wurde sie wegen ihrer Beine
Eine Boulevardzeitung veröffentlichte ein Dekolleté-Foto und schrieb von “tiefen Einblicken” bei “sexy Frau Krumwiede”.
sie geht nach wie vor mit High Heels, Glitzer-Lidschatten und Minirock durch den Bundestag.
und natürlich
Daran ist die 32-Jährige die erstmals in den Bundestag gewählt wurde, nicht ganz unschuldig
Na Gott sei Dank nicht die Boulevardpresse, mit der die Süddeutsche auch dank Stefan Mayr ja so gar nichts gemein hat.
Jaspis
[1] http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/502211
[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/1/498296/bilder/?img=4.0
[3] http://www.sueddeutsche.de/bayern/230/497534/text/
[4] http://www.abendblatt.de/kultur-live/article1302064/Vom-Konzertfluegel-ans-Rednerpult.html
[5] http://www.donaukurier.de/nachrichten/kultur/Kulturelle-Bildung-aufwerten;art598,2267012