Arme Künstler - brave Süddeutsche - böse Münchener Rück
21. April 2010 von moritatensaenger
Kennen Sie, lieber Leser, Rudolf Bellings “Dreiklang” (1919)…
…, Reinhold Max Eichlers “Kampf der Elemente” (1912/13)…
…, Imi Knoebels “Sweet Baby Jane” (1991)…
…, Beate Gütschows “LS#4″ (1999)…
…, Hiroyuki Masuyamas “Tokyo - London” (2002)…
…und Brian McCees “Kabul, Afghanistan #37″ (2002)…:
Nein, nicht? Oder doch, ja? Nun, wie auch immer, allen sechs Werken jedenfalls ist gemeinsam, dass sie Teil der Kunstsammlung der altehrwürdigen Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft sind (oder zeitweise waren). Die 1880 von Carl von Thieme [1] mit Wilhelm von Finck [2] und Theodor von Cramer-Klett [3] gegründete Versicherungsgesellschaft hat in Künstler- und Kunstliebhaber- kreisen wegen ihres bereits seit den Gründungstagen konsequent betriebenen Mäzenatentums und der ebenso riesigen wie lebendigen Sammlung einen Ruf von Donnerhall. Dabei ist es nicht unbedingt die bloße Außenwirkung der Kunstsammlung, auf die man in der Schwabinger Zentrale spekuliert (auch wenn Jonathan Borofskys 17 Meter hoher “Walking Man”…
…vor dem Gebäude an der Leopoldstraße eine andere Sprache zu sprechen scheint), sondern es ist schlicht die Unternehmenskultur, die man mit der Kunst zu prägen versucht. Das geht so weit, dass sich rund 2.800 Mitarbeiter der Münchener Rück jeweils zwei bis drei Kunstwerke für ihr eigenes Büro im Hause auswählen dürfen [4].
Und so mag es in der Generosität dieser besonderen Unternehmenskultur gegenüber Künstlern begründet gewesen sein, dass man irgendwann vor etwa 27 Jahren dem Bitteln und Betteln einer jungen Kunststudentin nachgab und ihr ein renovierungsbedürftiges, ehemaliges Kutscherhaus in einem Hinterhof des stillen Quartiers St.-Vinzenz (Stadtteil Neuhausen, heute Neuhausen-Nymphen- burg), in unmittelbarer Nachbarschaft zur prächtigen Nymphenburger Straße, als Atelier zur Miete überließ.
“Am Königsweg wohnen. Zog es die Könige raus [aus der Residenz in der Innenstadt, Anm.Moritatensaenger], kutschierten sie durch Neuhausen entlang der Nymphenburger Straße und des Schlosskanals zu ihrem könglichen Landsitz.”….
….so hat die SZ noch im Februar die Gegend treffend beschrieben, in der sich vor mehr als einem Vierteljahrhundert also Patricia London, jene Studentin und spätere Künstlerin nämlich, eingenistet hat. Ein idyllisch grüner Hinterhof, beste Münchner Stadtlage, 400 qm Nutzfläche und eine Miete von -angesichts dieser Parameter- lächerlichen 2.000 DM, da bot es sich für die frischgebackene Mieterin natürlich an, das Objekt entgegen dem Vertrag mit der großzügigen Versicherungsgesellschaft nicht nur als Gewerbe- sondern gleich ganz als Wohnobjekt in Beschlag zu nehmen. Und weil so viel Platz war, bot es sich ferner an, den Mietpreis gleich noch auf drei Untermieter umzulegen, die sich selbstverständlich ebenfalls vertragswidrig hier ihren Wohnsitz nahmen. Und so lebten also die Vier durch gemütliche und fette Jahre hindurch, glücklich für einen Spottpreis im Speck und zeigten jeder vielköpfigen, in kleine Sozialwohnungen gepferchten Familie aus den sozialen Brennpunkten Hasenbergl oder Neuperlach eine lange Nase. Allesamt „Künstler”, wie die SZ zu schreiben weiß, ist eine davon heute gefragte Kostümbildnerin beim Film; einer hat sich mit einem Café ein gutes Auskommen gesichert und die beiden anderen künsteln nach wie vor durch die Welt. Frau London hat -auch wieder nach Angaben der SZ- mittlerweile wohl an die 2.000 eigene “Werke” angesammelt, die offensichtlich so schwer an den Kunstkenner und -sammler zu bringen sind, dass die mittlerweile Fünfzigjährige jetzt -nach eigenen Angaben- vor einem handfesten finanziellen Problem steht.
Wie’s der Teufel will, hat nämlich irgendwann vor zwei Jahren die Eigentümerin des Gewerbeobjekts, also die Münchener Rück, den Mietvertrag gekündigt. Was täglich in Deutschland vollkommen unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit in tausenden Fällen geschieht, ob gerecht oder ungerecht, ob ohne große Folgen für den gekündigten Mieter oder mit drastischen Veränderungen verbunden, gerät hier zum Ausnahmezustand: das Quartett aus München denkt nämlich gar nicht daran, nach mehr als 25 Jahren Partizipation am guten Willen des Hauseigentümers, nach zehn- bis hunderttausenden von ersparten Mark und Euro, das Kapitel mit Anstand zu schließen, in Frieden und -Achtung Fremdwort- Dankbarkeit zu scheiden und sich eine neue Bleibe zu suchen. Nein, die Kündigung des Mietvertrages wurde ignoriert, man zog auch vor Gericht…und unterlag, und unternahm seit 2008 alles, nur eben nicht sich eine neue Wohnung zu suchen und auszuziehen.
Und aktuell, der Räumungsbefehl liegt endgültig vor, wird deshalb jetzt die Lobby der verhinderten Bohemiens aktiviert, “eine illustre Schar aus dem Münchner Kulturleben…, Schauspieler, Regisseure, Künstler” (SZ), die sich willig vor den Karren handfester Eigeninteressen der Betroffenen spannen lassen. Fehlte bisher nur noch eine mediale Plattform zur öffentlichkeitswirksamen Verbreitung des Protestes, so hat man in der Elvirastraße 4 dieses Problem nun endlich auch gelöst: Sueddeutsche.de, die Online-Repräsentanz der Süddeutschen Zeitung, hat sich rächend der Enterbten angenommen [5] und schlägt auch gleich die -dort vermutet- richtigen Töne an:
Räumungsklage gegen Künstler…Vertreibung aus dem Paradies…Die Münchener Rück hilft im Katastrophenfall, bei Erdbeben oder Vulkanausbrüchen. [...] Das gilt aber nicht unbedingt für Privatpersonen, die vor einer persönlichen Katastrophe stehen, zum Beispiel dem Rauswurf aus der eigenen Wohnung. [...] Und so kommt es, dass der Dax-Konzern eine vierköpfige Hausgemeinschaft nach 27 Jahren räumen lassen will. Des Profits wegen. [...]Kommende Woche werden sich die Aktionäre von Munich Re zur Hauptversammlung treffen. Sie dürften zufrieden sein. Vor kurzem vermeldete der Konzern für das Geschäftsjahr 2009 eine Gewinnsteigerung um fast zwei Drittel auf knapp zweieinhalb Milliarden Euro. In der Elvirastraße 4 ließe sich der Gewinn für Munich Re prozentual bestimmt um noch mehr steigern, wenn das Haus erst mal saniert ist und die neuen Nutzer eine marktgemäße Miete zahlen. Munich Re ist aber auch ein Konzern, der gerne mit seinem sozialen Engagement wirbt und mit seiner Kulturförderung, mit Sätzen wie diesen: ‘Im Mittelpunkt unseres nachhaltigen Denkens und Handelns steht immer der Mensch.’ Oder: ‘Die Förderung von Kunst hat eine lange Tradition in der Munich Re.’” [5]
Dass die Leser der SZ, bei weitem keine blinden Gefolgsleute von Grund- besitzern und internationalen Konzernen, eventuell einen anderen, durchaus bodenständigen Blick auf das Spektakel um die „Künstler”clique zu erkennen geben, das war den Verantwortlichen in der Redaktion wohl nicht klar und so reiht sich ein kritischer Kommentar um den anderen unter dem Artikel:
Tja, blöd gelaufen liebe SZ, lieber Schreiberling B. Kastner, liebe “Künstler” Monika Hinz, Bernd Bayerl (vom Café Creme am Gärtnerplatz), Stephan Nadler und Patricia, das Volk scheint wenig Verständnis für die konstruierten Nöte im Leben verwöhnter Bonvivants aufzubringen. Aber überlassen wir das letzte Wort um diese Farce der betroffenen Künstlerin Patricia London Ante Paris, die es fertig brachte, im äußeren Rahmen der wunderbar erhaltenen städtebaulichen Weitläufigkeit und Pracht vergangener Adels- und Industriellendynastien; in einem Quartier, entstanden aus dem in der industriellen Revolution erwirtschafteten Reichtum der Jahrhundertwende; in einem romantischen Ambiente, für wenig Geld überlassen von dem weltweit größten Rückversicherungskonzern, der einen Jahresumsatz von 41 Milliarden € (2009) erzielt, überlassen wir es also Frau London Ante Paris, abschließend zu erläutern, wie man so tickt, wenn man sich mehr als ein Vierteljahrhundert bereitwilligst an den Früchten des bösen Großkapitals bereichert hat:
Da fällt dem Moritatensaenger nun nur noch ein altes Sprichwort ein:
“Dummheit und Dünkel sind Geschwister aus einem Winkel.”
Mit tönendem Gruß
Ihr Moritatensaenger
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_von_Thieme
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_von_Finck
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_von_Cramer-Klett
[4] http://www.welt.de/print-wams/article122047/In_Schwabings_Katakomben_der_Kunst.html
1 Reaktion zu “Arme Künstler - brave Süddeutsche - böse Münchener Rück”
Künstlernische?
Ich erlebe hier im Hinterhof spiessige Rituale einer angeblichen “Künstlergemeinschaft” (und ihrer Freunde), wie sie drangsalierender, unterschwellig mobbender und offen feindseliger nicht sein könnten und darüberhinaus eine erstickende Atmosphäre von vorgeblich zugetaner Nachbarschaftlichkeit, die unter einer extrem dünnen Decke mißgünstig, kontrollierend und alles von der Norm Abweichende sanktionierend auftritt: eher der Schrecken der Hinterhöfe als ein schützendes Biotop - von Künstlern ganz zu schweigen.
Kein Künstler hätte hier in der Elvirastrasse 4 eine echte Überlebenschance: jeder Schrebergartenverein hat eine menschlichere Hausordnung als sie hier von einigen wenigen Altmietern durchgesetzt wird. Bringt man den Müll weg, wird kurz darauf im Container gestochert, ob man auch korrekt weggeworfen hat. Renoviert man seine Wohnung, werden die Handwerker unter den durchsichtigsten Vorwänden angepöbelt. Kreisen Kinder auf Fahrrädern im Innenhof, wird ihrem Betreuer mitgeteilt, daß er bitte die Kinder aus dem Hof nehmen sollte, weil man sich sonst nicht “in Ruhe” unterhalten könne. Setzt man sich auf Gartenmöbel, fällt sofort jemand über einen her, daß man das nicht dürfe, weil “der Gartenstuhl Ihnen nicht gehört!”.
Selbst wenn alles ruhig und friedlich aussieht, ist das eine Illusion: dann sitzen sie alle gemeinsam hinter den mannshohen Gräsern an ihrem Coffe-Table und beobachten aus sicherer Position wer kommt, wer geht und wer was nicht macht oder doch macht und mit wem. Das Getuschel ist stundenlang noch im obersten Stock zu hören und erweckt nie den Anschein einer fröhlichen Künstlerrunde (Bohème!): viel eher kommt der Verdacht auf, es werden wüste Komplotte geschmiedet und schlimme Gerüchte machen die Runde.
Dann machen sich auch schonmal Gegenstände selbstständig und tauchen an anderer Stelle wieder auf oder sie werden den Hauseingang blockierend einem vor die Nase gesetzt, wobei auch angekettete Fahrräder ganz verschwinden und nach zwei Jahren plötzlich wieder am alten Platz stehen: merkwürdige Dinge geschehen ausschliesslich, wenn man verreist ist - was schon deshalb unangenehm ist, weil es stetiges Beobachten voraussetzt.
Kann sein, daß die 4 Künstlernaturen am OLG gewinnen werden: wenn nicht, ist es eine Chance - für sie und für uns, die wir in diesem Hinterhof gerne unbehelligt und unbeobachtet leben würden.