Expertenwissen
17. Februar 2010 von Jaspis
Es ist ja nicht so, dass die Süddeutsche nicht auch seriös berichten könnte. Manchmal passiert ihr das schon. Auch wenn es bei den anschließenden Korrekturversuchen eher danach aussieht, als wäre die seriöse Berichterstattung eher ein Versehen gewesen, das umgehend durch Boulevard und Propaganda ersetzt werden müsse.
Ein Beispiel?
In
berichtete sueddeutsche.de gestern nüchtern über die bislang bekannten Fakten des Mordfalls Mabhuh: [1]
Die Polizei in Dubai sucht elf Personen, die einen hochrangigen Anführer der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas ermordet haben sollen.
Die Verdächtigen seien mit europäischen Pässen in das Land eingereist, sagte der Polizeichef von Dubai, Generalleutnant Dhahi Chalfan Tamim, am Montagabend auf einer Pressekonferenz.
Unter Berufung auf Ermittlungsergebnisse teilte Tamim mit, der Hamas-Funktionär Mahmud Abd al-Rauf al-Mabhuh sei von einem elfköpfigen Killerkommando umgebracht worden. (…)
So erwartet man sich das von einer seriösen Zeitung. Keine reißerische Story wie aus der Boulevard-Presse, keine Mutmaßungen oder Unterstellungen wie bei einem Propaganda-Organ. Nüchterne Information eben.
Aber so geht es schließlich nicht. Um die SZ (und hier auch die Printausgabe) nicht womöglich dem Ruf einer seriösen Berichterstattung auszusetzen, bessern Nicolas Richter und Katja Riedel umgehend nach: [2] In
wird das Ganze ein Agenten-Thriller. Nüchterne Fakten waren gestern. Hier muss eine Story her.
(…) Als das spätere Opfer al-Mabhuh am Nachmittag des 19. Januar um 15.25 Uhr unter falschem Namen in einem Luxushotel eincheckt, sind ihm die Täter schon auf den Fersen. Al-Mabhuh betritt einen Lift, um in sein Zimmer zu fahren, da drängen sich noch schnell zwei Tennisspieler zu ihm in die Kabine. Die Sportler mit ihren weißen Socken, Schirmmützen und Rucksäcken beobachten anschließend auf dem Flur, in welchem Zimmer der Mann absteigt. (…)
Und so wird aus dem Bericht ein Kriminalroman über einen fast harmlosen kleinen Palästinenser in den Fängen des israelischen Geheimdienstes, ein Roman der mehr durch Effekthascherei als durch Tatsachen glänzt und dabei auch nicht vergisst, Details, die den Autoren bei aller Detailverliebtheit eher unbedeutend erscheinen, auch eher nebenbei zu erwähnen.
“Der Palästinenser al-Mabhuh, der ein Waffenschmuggler sein soll, ist jedenfalls verloren, als seine Verfolger sein Zimmer ausfindig gemacht haben.”
heißt es da zum Beispiel. In einem Gespräch würde sich das vermutlich in etwa so anhören:
“Der Palästinenser al-Mabhuh, der ein Hmmrmm sein soll, ist jedenfalls verloren, als seine Verfolger sein Zimmer ausfindig gemacht haben.”
“Ein - bitte was?”
“Ein Hmmrmm”
“Wie bitte??”
“naja, ein Waffenschmuggler”
Ach so, ein Waffenschmuggler: Nun, um wenigstens etwas genauer zu sein
Israelische Medien berichteten heute, der 50-jährige Mahmud al-Mabhuh habe internationale Waffenlieferungen aus dem Iran, Nordkorea und China über den Jemen, den Sudan und Ägypten in das blockierte Palästinensergebiet am Mittelmeer organisiert. Ähnliche Informationen veröffentlichte auch die Hamas-nahe Website Palestine-Info in Damaskus. [3]
Die weiteren, entsprechenden Informationen aus dem anderen SZ-Bericht
Er soll in die Entführung und Tötung zweier israelischer Soldaten im Jahr 1989 verwickelt gewesen sein. Zudem gehörte er zu den Gründern der Qassam-Brigaden
waren Nicolas Richter und Katja Riedel offenbar zu überflüssig.
Und, natürlich nicht zu vergessen: “Experten” wissen schon: Hinter diesem gemeinen Anschlag kann nur einer stecken: Der Mossad. Wer diese “Experten” sein sollen, sagen Nicolas Richter und Katja Riedel leider nicht. Auch nicht, worauf dieses Expertenwissen beruht, welche konkreten Anhaltspunkte es dafür gibt. Die Beschuldigung alleine genügt schließlich schon, denn die Quelle ist den SZ-Autoren offenbar sicher genug. Anderenorts ist es nachzulesen: Die Hamas ist es, die im Gegensatz zu den Ermittlungsbehörden jetzt schon weiß, dass Israel und Mossad gemordet haben. Und der Bruder des Ermordeten. Der zwar auch nicht dabei war, aber er weiß es. Vermutlich hat er dieselbe sichere Quelle wie die Süddeutsche.
Ob diese Anschuldigung nun bewiesen wird oder nicht. Für eines ist sie in jedem Fall “gut”. Und das ist die Konsequenz, die die SZ-”Experten” daraus ziehen wollen:
Hamas-Führer Mahmud al-Sahar sagte gestern in Gaza: “Israel zwingt Hamas dazu, den bewaffneten Kampf außerhalb der Palästinensergebiete zu verlegen. Wir sind dazu bereit.” [3]
Dann sind wir doch gespannt, wie Nicolas Richter und Katja Riedel darüber berichten werden. Üben könnten sie schon. Das wäre schließlich nicht das erste Mal.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/133/503357/text/
[2] http://www.sueddeutsche.de/,tt2m1/politik/166/503389/text
[3] http://orf.at/?href=http%3A%2F%2Forf.at%2Fticker%2F356473.html
1 Reaktion zu “Expertenwissen”
Inzwischen gehen auch die Experten des Europäischen Parlaments davon aus, dass der israelische Geheimdienst den Mordanschlag verübt hat und bewertet dies laut Spiegel-Online als “Methoden, die nicht in unser Jahrhundert gehören.”
Sollte sich herausstellen, dass der israelische Geheimdienst mit Hilfe von gefälschten Pässen den Mord verübt hätte, so wäre dies in Indiz für eine sehr merkwürdige Auffassung von Rechtsstaatlichkeit der isrealischen Führung. Es gibt keine Rechtfertigung, Menschen ohne Verfahren gezielt und heimtückisch zu ermorden.