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“Man stößt gegen viele Mauern der politischen Korrektheit”

10. Oktober 2009 von Jaspis

Thilo Sarrazin hat dieser Tage für viel Unruhe und darüber hinaus für reichlich Diskussionsstoff gesorgt. Nach einer ersten Welle der Empörung gab es zahlreiche Stimmen, die erstaunt feststellten, Sarrazin habe ja recht, genau so sei das in Berlin - und wiederum andere, die seine Äußerungen, also zumindest, nachdem sie einige Sätze davon gelesen hatten, rundherum als fremdenfeindlich ablehnten. Bei der ganzen Debatte fällt auf, dass nur Textfetzen des Interviews präsentiert und diese zur Grundlage heftigster Empörung gemacht wurden. Um es vorauszuschicken: Die Wortwahl ging zum Teil gründlich daneben. Sarrazin daraus aber Fremdenfeindlichkeit unterstellen zu wollen, zeugt von einer gewissen Oberflächlichkeit, die selbst nicht minder Stammtischniveau aufweist. Dass sich Leser über das echauffieren, was ihnen ihre Presse vorkaut, ist noch insoweit nachvollziehbar, als ihnen ja vollständige Informationen bewusst vorenthalten werden. Bewusst, weil Artikelschreiber selbst eine Vorauswahl der Zitate vornehmen und ihren Lesern kaum Möglichkeit geben, sich selbst ihre Meinung zu BILDen. Leider macht auch die SZ da wiederum keine Ausnahme. Gleich zu Beginn der Debatte tituliert sie:

sarrazin-tuerkische-waermestuben

Er hat wieder zugeschlagen, Deutschlands eifrigster Lästerer: Bundesbanker Thilo Sarrazin, vorher Finanzsenator in Berlin. Seit Mai 2009 sitzt er in Frankfurt, nun redet er die Hauptstadt herunter.

Berlin werde, so der 64-Jährige, “niemals von den Berlinern gerettet werden können”. Der Intellekt, den die Stadt brauche, müsse noch importiert werden, “und er wird auch importiert werden wie im New York der fünfziger Jahre”, so der Volkswirt in einem Gespräch mit der Zeitschrift Lettre International. Die Stadt werde dann wieder ein intellektuelles Zentrum, aber nicht mehr mit dem Gewicht der zwanziger Jahre.

Seine Erlebnisse im Roten Rathaus müssen verstörend gewesen sein. Jedenfalls lässt Sozialdemokrat Sarrazin, der durch abträgliche Bermerkungen über Hartz-IV-Empfänger bundesweit bekannt geworden ist, kein gutes Haar an seiner alten Heimat.

Zudem gebe es in Berlin stärker als anderswo das Problem “einer am normalen Wirtschaftskreislauf nicht teilnehmenden Unterschicht”, so Sarrazin. “Wir müssen in der Familienpolitik völlig umstellen: Weg von Geldleistungen, vor allem bei der Unterschicht.” [1]

heißt es da.

Die Interview-Passage lautet im Kontext:

Wenn Sie sagen „auswachsen“, meinen Sie damit, dass die Leute sterben und sich diese Schicht nicht wieder neu generiert durch Kinder, Enkel usw.?

Niels Bohr hat gesagt, er hat noch nie jemanden kennen gelernt, der seine wissenschaftliche Meinung geändert hat. Wissenschaftliche Meinungen sind immer nur ausgestorben. Und das ist auch sonst so. An das eine erinnern sich die Leute nicht mehr, und das andere muss sich auswachsen. Berlin wird niemals von den Berlinern gerettet werden können. Wir haben ein schlechtes Schulsystem, das nicht besser werden wird. Berlin ist belastet von zwei komponenten: der Achtundsechzigertradition und dem Westberliner Schlampfaktor. Es gibt auch das Problem, dass vierzig Prozent aller Geburten in der Unterschicht stattfinden. Hier werden Trends verstärkt sichtbar, die ganz Deutschland belasten. So dass das Niveau an den Schulen kontinuierlich sinkt, anstatt zu steigen. In Berlin gibt es stärker als anderswo das Problem einer am normalen Wirtschaftskreislauf nicht teilnehmenden Unterschicht.

Haben Sie die Idee, dass Berlin eine dynamische, aus eigener Kraft wachsende Stadt werden könnte, aufgegeben?

Wie sieht die Wirtschaft der Zukunft aus? In den westlichen Industriegesellschaften werden die einfachen und mittleren Arbeitsplätze in der Warenproduktion, aber auch in Dienstleistungen, die man elektronisch übermitteln kann, ob das Callcenter sind oder einfache Ingenieurs- und Konstrukteurstätigkeiten, zunehmend ins Ausland verlagert. Wir bewegen uns auf einen Weltarbeitseinheitslohn zu. Der Arbeitsplatz eines Wissenschaftlers in der Chemie kostet bei uns und in Schanghai etwa dasselbe. Die Kosten für das Labor und die Stoffe sind nicht sehr verschieden. Man macht das dort, wo es am besten geht. Es kommt nicht so genau darauf an. Unten wird der Arbeitslohn im Prinzip gesetzt von den vielen fleißigen asiatischen Arbeitern, von Thailand bis China.

Ein großer Flachbildfernseher kostet zehn Dollar Transportkosten von Schanghai nach Hamburg. Das ist das Problem. Betroffen werden von dieser Entwicklung in ganz Europa einfache und mittlere Tätigkeiten, besonders solche für Ungelernte. Deshalb steigen Arbeitslöhne hier nicht mehr, deshalb gibt es dort die höchste Arbeitslosigkeit. Benachteiligte aus bildungsfernen Schichten, davon hat Berlin besonders viele. Es gibt auch keine Methode, diese Leute vernünftig einzubeziehen. Es findet eine fortwährende negative Auslese statt. Das ist für die Stadtpolitik von Bedeutung. Ich habe gesagt: Unsere Bildungspopulation wird von Generation zu Generation dümmer. Der Intellekt, den Berlin braucht, muss also importiert werden, und er wird auch importiert werden, wie im New York der fünfziger Jahre, als es Harlem mit seiner zunehmenden Hoffnungslosigkeit auf der einen Seite gab und das Leben in Midtown und um den Central Park auf der anderen Seite.< [2]

Sarrazin beklagt den Verfall des Bildungsniveaus. Er beklagt, dass es immer mehr Ungebildete gibt, in Berlin. Aber er hält die Berliner Bevölkerung - egal welchen Ursprungs - nicht für zu dumm dazu, sondern er fordert sie auf, sich auf den Hosenboden zu setzen und diese Endlosspirale aus ungebildeten Eltern mit ungebildeten Kindern, die wiederum ihrerseits dereinst ungebildete Kinder haben werden, zu durchbrechen. Das Problem der Ungebildeten ist, dass es für sie kaum mehr Arbeitsplätze gibt, sie damit auch nahezu chancenlos sind. Macht man sich die Mühe, das, was Sarrazin eigentlich gesagt hat zu lesen, dann erkennt man das auch. An der Mentalität müsse sich etwas ändern:

Die Schulen müssen von unten nach oben anders gestaltet werden. Dazu gehört, den Nichtleistungsträgern zu vermitteln, dass sie ebenso gerne woanders nichts leisten sollten. Ich würde einen völlig anderen Ton anschlagen und sagen: Jeder, der bei uns etwas kann und anstrebt, ist willkommen; der Rest sollte woanders hingehen. Wenn der Bürgermeister in zehn öffentlichen Reden über die Zukunft der Stadt philosophiert und in diesem Zusammenhang die akademischen Leistungen der Vietnamesen, Araber und Türken einmal öffentlich vergleicht, dann würde etwas geschehen. Dann würde klar, dass man eine Stadt der Elite möchte und nicht eine „Hauptstadt der Transferleistungen“. Die Medien sind orientiert auf die soziale Problematik, aber türkische Wärmestuben können die Stadt nicht vorantreiben. An der Mentalität in der Stadt muss sich etwas ändern.

So sah im übrigen das “Lästern über türkische Wärmestuben” aus, das es in die Schlagzeile der SZ gebracht hat.

Vier Tage später, das Rascheln im Blätterwald nahm allmählich zu, entdeckte man bei der SZ, dass die Bemerkungen Sarrazins nicht nur abfällig, sondern ja womöglich auch fremdenfeindlich sein könnten und erklärte:

Sorgte mit seinen jüngsten umstrittenen Äußerungen für den Impuls zur Gründung der Vereinigten Migrantenpartei: Berlins Ex-Senator und heutiger Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin (SPD) [3]

was selbstredend nur eines zur Folge haben kann:

sarrazin-gehoert-gefeuert

Von Beleidigungen gegen Deutsche ausländischer Herkunft ist da die Rede, im Speziellen der Rumänen, die sich von Rüttgers beleidigt fühlen. Eine Entlassung Sarrazins hat damit nicht zwingend etwas zu tun, aber das schlagzeilte sich vermutlich gerade so gut.

Nun stellten allerdings immer mehr fest, dass Sarrazin mit seiner Schilderung Berlins womöglich gar nicht so daneben lag. Etliche Berliner bestätigten sogar: So ist es.

Constanze von Bullion stellt fest:

Gemeint ist die Stadt Berlin, der seit dem Zweiten Weltkrieg jede Menge Intelligenz abhandengekommen ist: erst durch die Ermordung ihrer jüdischen Bürger, dann durch den Mauerbau, der erfolgreiche Unternehmer und gebildete Bürgersleute aus dem Westteil vertrieben hat, während sich im Ostteil eine sozialistische Gesellschaft sammelte, die auf die Anforderungen der modernen Leistungsgesellschaft nicht vorbereitet war. Über Jahrzehnte hinweg hat sich in beiden Teilen der Stadt eine Versorgungsmentalität festgesetzt wie Schlacke, das hat Sarrazin zu Recht moniert.

Keine Frage: Berlin ist vermüllt, verschlampt, oft ungehobelt, und wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, sieht Folgendes: Einwanderersöhne, die in der U-Bahn dealen; dreijährige Mädchen, die schon Kopftuch tragen; Straßenzüge, die von libanesischen Großfamilien als ihr Revier betrachtet werden.

Es gibt keinen Grund, aus Rücksicht auf die Völkerfreundschaft zu ignorieren, dass muslimische Frauen oft geschurigelt und ihre Kinder öfter verdroschen werden als Mitschüler aus anderen Elternhäusern. [4]

Fatina Keilani und Annette Kögel stellten im Tagesspiegel einige der stark umstrittenen Behauptungen Sarrazins auf den Prüfstand und fanden sie bestätigt. [5] Allerdings sei “der Ton Sarrazins (…) fatal, weil er „die Angst vor Überfremdung schüre“.”

Gerade daraus wurde nun vielfach eine fremdenfeindliche Gesinnung Sarrazins konstruiert, bis hin zu abwegigen Nazi-Vergleichen.

Ich sage es ganz ehrlich: Hätte Sarrazin seine wahren Aussagen in tatsächlich rassistische Ressentiments gepackt, dann würde mich der Wahrheitsgehalt des restlichen Interviews überhaupt nicht weiter interessieren. Zu oft werden wahre Aussagen von Extremisten nur dazu benutzt, um abwegige Grundhaltungen zu vermitteln. Um das aber herauszufinden, ist es aber erforderlich, sich das ganze Interview - oder zumindest die entscheidende Passage einmal im Zusammenhang durchzulesen. Schnell würde sich dann der “Verdacht” gegen Sarrazin zerstreuen. Die Darstellung der meisten Medien beschränkt sich jedoch darauf, ihren Lesern den teils unsäglichen Stammtischjargon und die entsetzten Reaktionen darauf zu präsentieren. Die SZ macht da keine Ausnahme.

Eines der Zitate etwa lautet:

Integration ist eine Leistung dessen, der sich integriert. Jemanden, der nichts tut, muss ich auch nicht anerkennen. Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.

“Kopftuchmädchen”, was für ein Begriff! “Kopftuchmädchen” geht gar nicht. Eigentlich. Es klingt nach einem Ressentiment-geprägten Verallgemeinerungsbegriff, einem abwertenden noch dazu. Nach einem wie “Spaghetti-Fresser” für Italiener oder “Kanacke” für Migranten aus Südeuropa. Solche Bezeichnungen wollen wir nicht. Sie sind noch im günstigsten Fall unfreundlich und abwertend, oft zeugen sie aber von einer rassistischen, fremdenfeindlichen Grundhaltung. Warum schreibe ich dennoch “eigentlich”? Weil “Kopftuchmädchen” nicht der abwertende Gruppenbegriff für junge Türkinnen oder Araberinnen sein soll, sondern er soll einen Erziehungsstil bezeichnen, den Sarrazin völlig zu Recht anprangert: Er sieht nicht “die” Türkinnen und Araberinnen als zwingend bekopftucht, so dass schon diese Bezeichnung eine ganze Gruppe bezeichnen würde. Sondern er sieht die Chance, die so leichtfertig vertan wird. Ein Teil seines Interviews, einer der wichtigsten überhaupt, wird nämlich bedauerlicherweise fast nirgends zitiert:

Jeder, der integriert werden soll, muss aber durch unser System hindurch. Er muss zunächst Deutsch lernen. Die Kinder müssen Abitur machen. Dann findet die Integration von alleine statt.

Die Integration hat Stufen. Die erste Vorstufe ist, dass man Deutsch lernt, die zweite, dass man vernünftig durch die Grundschule kommt, die dritte, dass man aufs Gymnasium geht, dort Examen macht und studiert. Wenn man durch ist, dann braucht man gleiche Chancen im öffentlichen Dienst. So ist die Reihenfolge. Es ist ein Skandal, dass die Mütter der zweiten, dritten Generation immer noch kein Deutsch können, es allenfalls die Kinder können, und die lernen es nicht wirklich.

Der vietnamesische Kioskbesitzer wird immer gebrochen Deutsch sprechen, weil er erst mit dreißig eingewandert ist und ungebildet war. Wenn seine Kinder Abitur machen oder Handwerker werden, hat sich die Sache erledigt. Türkische Anwälte, türkische Ärzte, türkische Ingenieure werden auch Deutsch sprechen, und dann wird sich der Rest relativieren. So aber geschieht nichts.

Hätte Sarrazin die ihm unterstellten rassistischen Ressentiments, dann wären bei ihm Migranten auf die Rolle der Ungebildeten, Gewalttätigen, Nichtintegrierbaren abonniert, ohne Chance, das jemals ändern zu können. Gerade das unterstellt er ihnen aber nicht. Er traut ihnen absolut zu, dass sie aufs Gymnasium gehen, Abitur machen und studieren können. Jeder von ihnen. Dorthin will Sarrazin. Er will auch die stetig wachsende Masse von Migranten da haben, wo nicht wenige bereits sind: Ärzte, Anwälte, Kranken- und Altenpfleger, Trockenbauer, Bauingenieur, Bäcker, Kfz-Mechaniker, Diplomkaufleute. Es ist falsch zu behaupten, unsere Gesellschaft wolle das nicht. Überall sind unsere ausländischen Kollegen oder solche mit “Migrationshintergrund” bereits bestens integriert. Es funktioniert da, wo auch die Migranten Integrationswillen und -engagement zeigen. Und es funktioniert nicht, wenn sie nicht mitmachen.

Nur der Vollständigkeit halber: Selbstverständlich ist das kein einseitiger Vorwurf. Selbstverständlich muss auch an anderer Seite angesetzt werden: Es müssen ausreichend Lern-Angebote zur Verfügung stehen. Klassen mit einem hohen Anteil an Kindern, die nicht oder nicht richtig Deutsch sprechen können, dürfen nicht zu groß sein. Es muss Sprachangebote schon für Kindergartenkinder geben. Die aber auch angenommen werden müssen.

“Wir alle haben Fehler gemacht. Vor allem haben wir Toleranz mit Gleichgültigkeit verwechselt.”



Neu ist diese Erkenntnis nicht. Schon vor fünf Jahren war in der WELT zu lesen

Brennpunkt Berlin: Keine Stadt in Deutschland ist finanziell so marode wie die Bundeshauptstadt. Und Berlin hat den höchsten Integrationsbedarf, weil der Ausländeranteil bundesweit der größte ist. Rund 25 Prozent aller Schüler sind hier ausländischer Herkunft. Teilweise gibt es Schulen mit 90 Prozent Kindern nichtdeutscher Herkunft, 29 Prozent der Ausländerkinder erreichen keinen Schulabschluß. “Wir alle haben Fehler gemacht. Vor allem haben wir Toleranz mit Gleichgültigkeit verwechselt”, sagte Bildungssenator Klaus Böger (SPD) der WELT. Heute habe sich allerdings schon vieles verändert: “Alle akzeptieren inzwischen, daß Deutsch zu erlernen keine Zumutung, sondern ein selbstverständlicher Anspruch ist. Das wurde lange Zeit als ,Zwangsgermanisierung’ abgetan.” Die Notwendigkeit der Sprachkenntnis zu vermitteln, sei ungeheuer schwierig. “Wir haben in den Kindergärten mit Sprachförderung begonnen, stellen aber fest, daß wir es mit einer Elternschaft zu tun haben, die sich zum Teil verweigert und nicht begriffen hat, daß sie die Zukunftschancen ihrer Kindern zerstört, wenn sie sich daran nicht beteiligt”, sagt der Bildungssenator, der den “Kern der Integration” in dem “Prozeß der Vermittlung unserer Zivilisation und Kulturtechnik” sieht. “Das ist eine der herausforderndsten Aufgaben unserer Zeit. Entweder wir stellen uns dieser Aufgabe oder wir sehen uns bald kaum zu bewältigenden Problemen gegenüber.” Daß die beste Abiturientin des vergangenen Schuljahrs eine Türkin war, stimmt Böger zuversichtlich. [6]

deutschpflicht-entschaerft-konflikte

Dass Sarrazin mit seiner Forderung Recht hat, zeigt das Beispiel der Herbert-Hoover-Schule im Berliner Bezirk Wedding. In der Realschule wurde vor gut drei Jahren die Deutschpflicht eingeführt.

„Das hat früher zu vielen Konflikten geführt, weil jede Gruppe auf dem Schulhof die eigene Sprache gesprochen hat und es so zu Missverständnissen kam“, erzählt der serbischstämmige Schulsprecher Nezir Asanovic. Die Schulleitung beschloss daher, eine Deutschpflicht einzuführen. Diese Idee stieß allerdings auf viel Kritik. Anfang vergangenen Jahres war eine bundesweite Debatte über den Umgang mit ausländischen Schülern entbrannt. Dabei fiel auch der Begriff der „Zwangsgermanisierung“.

Aber:

Der Erfolg gibt der Regelung recht. „Wir sind sehr zufrieden“, sagte die Leiterin der Herbert-Hoover-Schule, Jutta Steinkamp. „Die Zahl der Gewalttaten ist deutlich gesunken, und die mündliche Kompetenz fast aller Schüler hat sich sehr verbessert.“ [7]

Das ist der Punkt, an dem angesetzt werden muss. Doch derartige Forderungen und auch derartiges Engagement stoßen nicht nur auf Akzeptanz. Die Schulleitung der Herbert-Hoover-Schule spricht von einer Ablehnung wegen der „Zwangsgermanisierung“ und auch Böger machte die Erfahrung “daß wir es mit einer Elternschaft zu tun haben, die sich zum Teil verweigert und nicht begriffen hat, daß sie die Zukunftschancen ihrer Kindern zerstört, wenn sie sich daran nicht beteiligt”.

Da sind Eltern, die nicht mitmachen und ihren Kindern - und auch der Gesellschaft die Chance einer integrierten Zukunft verbauen, und dort sind diejenigen, vor allem linken Kreise, die sich das Wort “Toleranz” in großen Lettern auf die Fahnen schreiben und jeden, der das anspricht, als Rassisten bezeichnen. Das will sich natürlich keiner antun und so wird das Thema totgeschwiegen und der Kreislauf setzt sich fort: Die Kinder lernen weiter kein Deutsch, sie haben weiter keinen Schulabschluss und nachher keine Arbeit, sie bleiben unter sich und lehnen solch unerhörte Forderungen wie die nach dem Spracherwerb als persönliche Diffamierung ab. Das ist das, was Sarrazin wirklich gesagt hat.

Nun kann man ihm - zu Recht - den Tonfall vorwerfen, den er verwendet hat. Dieses unsägliche Stammtischniveau, das seiner und vor allem seiner Position mehr als unwürdig ist. Aber Tatsache ist auch, dass ihn niemand gehört hätte, hätte er sich politisch korrekt ausgedrückt. Es gibt Wahrheiten, die dürfen nicht offen ausgesprochen werden. Vielleicht deshalb versteckt sich Constanze von Bullion hinter Sarrazin oder peinlichen Gleichsetzungen wie

am Chiemsee und in den feineren Regionen Deutschlands, wo viele Frauen sich noch einem Mutterbild verpflichtet fühlen, das dem der “Araberfrauen” nicht unähnlich ist: zu Hause am Kochtopf zu stehen, wenn die lieben Kleinen heimkommen.

wenn sie feststellt

Ein Vater schlägt seinen Sohn nicht, weil er Kurde ist, sondern weil er keine besseren Erziehungsmethoden kennt. Ein Schüler bricht die Schule nicht ab, weil seine Eltern Palästinenser sind, sondern weil es ihnen an Bildung und Wertschätzung dafür fehlt.

Etwas anderes hat auch Sarrazin nicht gesagt. Nur dass von Bullion der Ansicht ist, der Staat müsse hier die Elternrolle übernehmen, auch durch “buchstäbliche Entziehung” (ein Gedanke bei dem manch einer einen schaurigen Flash-Back verspürt), während Sarrazin die Verantwortung bei den Migranten sieht. - Eine Frage, die durchaus diskussionswürdig ist, verabschiedet man sich nur endlich vom Tabu, über dieses Thema zu sprechen.

Dass das Konzept der Integration über Spracherwerb, Bildung und Ausbildung funktioniert, zeigen die abertausend Beispiele der mittlerweile bestens integrierten Kinder früherer Gastarbeiter, die sich dem nicht verschlossen haben. Sie haben sich in unsere Gesellschaft eingefügt und sie bereichert.

Dass es die Integrationsbemühungen um Jahre zurückwerfen soll, wenn gefordert wird, dass Migranten und Migrationsstämmige ihr “Unterschichts-Schicksal” durchbrechen und in die Mittelschicht und damit in die Mitte der Gesellschaft gelangen sollen - was doch gerade der Sinn der Integration sein sollte - entbehrt jeder Logik.



Der eigentliche Skandal an der “Affäre Sarrazin-Interview” ist nicht sein bisweilen unsäglicher Stammtisch-Jargon. Der Skandal ist, dass dieser Jargon offensichtlich nötig ist, um gehört zu werden. Denn das, was Sarrazin fordert, nämlich dass sich Deutschland endlich verhält wie andere Einwanderungsländer auch, das darf man hierzulande nicht offen aussprechen. Es wird totgeschwiegen von einer politischen Korrektheit, die zwar schick und bequem ist, aber zu keiner Lösung beiträgt, im Gegenteil. Es wäre auch an einer Süddeutschen, das Kind beim Namen zu nennen und sich nicht in falsch verstandener Toleranz und deplatzierter Empörung davonzustehlen.





Jaspis





[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/72/489459/text/
[2] http://jove.prohosting.com/bonnmm/div/LETTRE-INTERNATIONAL-Thilo-Sarrazin/
[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/403/489787/text/
[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/768/490148/text
[5] http://www.tagesspiegel.de/berlin/Thilo-Sarrazin;art270,2918315
[6] http://www.welt.de/print-welt/article354100/Zwangsgermanisierung.html
[7] http://www.focus.de/schule/schule/unterricht/integration/modellschule_aid_62508.html

Geschrieben in Meinungsvorgabe, SZ-Kritik Allgemein, VorBILD | Kommentar

1 Reaktion zu ““Man stößt gegen viele Mauern der politischen Korrektheit””

  1. am 12 Okt 2009 um 10:151Zaphod

    Wie schön, dass man selbst im abfälligen Begriff “Kopftuchmädchen” etwas positives sehen kann. Dadurch wird deutlich, dass das viel schlimmere und unsäglich Wort “produziert” nicht schön geredet werden kann.

    Der Blog-Beitrag arbeitet Sarrazins menschenverachtende Ideologie gut heraus: Menschen werden produziert, sie sind Humankapital auf dem weltweiten Arbeitsmarkt und müssen Leistung erbringen, also funktionieren. Wer nicht funktionieren kann oder will, gehört entsorgt.

    Keine Spur von Solidarität und Mitmenschlichkeit ist in dem Interview zu entdecken. Sondern reine Verachtung der dumpfen Masse gegenüber, die nicht die Leistung erbringt, die sie erbringen soll (wer definiert eigentlich die Soll-Leistung?).

    Tatsächlich brauchen wir eine Gesellschaft, die sich zunächst wohlwollend um die Leistungsschwachen kümmert und die nicht die Leistungsschwachen verachtet und bestraft. Der eigentliche Skandal des Interviews ist, dass ein SPD-Mitglied so etwas sagt. Da diese Partei jedoch nur noch ein Schatten ihrer selbst ist, muss auch dieser Umstand nicht verwundern.

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