Sauer(landgruppe) macht lustig
24. August 2009 von Jaspis
Das Innenministerium schlägt Alarm, indem es von der Gefahr von Anschlägen spricht und warnt gleichzeitig vor der Alarmstimmung - die es mit seinen Äußerungen selbst erzeugt.
meinte Heribert Prantl noch Anfang Juli [1] und bezeichnete die Warnungen des Bundesinnenministeriums vor dem Terrorismus als
raunende Rätsel
gefährliche Orakelei
Es gibt niemanden, der den Terror nicht ernst nimmt. Aber es gibt Politiker, die wichtigtuerisch daherreden. Das eskalierende Dauergeraune darüber, dass es nicht die Frage sei, ob, sondern nur noch, wann und wo in Deutschland ein Anschlag geschehe, ist verantwortungslos.
behauptete Prantl seinerzeit und führte den “Beweis”, indem er sich in eine für einen - promovierten - Juristen mehr als peinliche Abhandlung über den Begriff der “abstrakten Gefahr” verlor. Das Gerede von der “abstrakten Gefahr”, die sich ständig erhöhe, sei töricht, meinte er.
Abstrakte Gefahr - das ist ein Begriff aus dem Strafrecht, mit dem der Laie wenig anfangen kann. Im Strafrecht gibt es “abstrakte Gefährdungsdelikte”: Der Gesetzgeber bestraft Verhaltensweisen, die generell als gefährlich erscheinen, auch wenn konkret gar nichts passiert.
Daher wird bestraft, wer besoffen fährt; selbst wenn nichts passiert - es hätte ja jederzeit etwas passieren können. Diese “abstrakte Gefährlichkeit” kann man nicht auf eine angespannte Sicherheitslage übertragen, in der es keine Handlungen und Personen gibt, auf die man zugreifen könnte. Mit der abstrakten Gefahr verhält es sich hier wie mit der abstrakten Malerei: Man sieht, dass etwas da ist, weiß aber nicht genau, was es ist.
Dabei biegt es aktiven Juristen (also solchen, die die Juristerei noch aktiv betreiben und nicht sich ihren Dr. jur. eingerahmt übers Büffet hängen, aber schon völlig vergessen haben wofür sie den einmal bekommen haben, geschweige denn, was der Inhalt der juristischen Ausbildung dereinst einmal war), man möge mir die Ausdrucksweise verzeihen, geradezu die Zehennägel auf.
Gut, man kann auch mal etwas vergessen, das kommt schon vor. Ein guter Jurist weist sich bekanntlich auch nicht dadurch aus, dass er alles weiß, sondern dadurch, dass er weiß, wo er nachschauen muss. Geht es um juristische Fachbegriffe, ist www.rechtswoerterbuch.de eine gute Adresse. Dort könnte man finden, dass “abstrakte Gefährungsdelikte”, über die Prantl schrieb, zwar schon Delikte sind
bei denen ein Rechtsgut abstrakt gefährdet ist. Abstrakte Gefährdungsdelikte erkennt man daran, dass sie weder die Verletzung noch die konkrete Gefährdung eines Rechtsguts voraussetzen. [2]
Eine “abstrakte Gefahr” hingegen, ein Begriff aus dem Verwaltungsrecht
ist eine nach allgemeiner Lebenserfahrung oder den Erkenntnissen fachkundiger Stellen mögliche Sachlage, die im Falle ihres Eintritts eine konkrete Gefahr darstellt. [3]
Wie groß ist sie aber nun wirklich, diese Gefahr, vor der das nach Prantls Meinung ach so “törichte”, “wichtigtuerisch daherredende” Bundesinnenministerium so “schizophren orakelnd” warnt?
Einen ersten Vorgeschmack lieferte bereits der “Kofferbombenprozess”. Da traute sich Annette Ramelsberger zu bemerken:
die meisten Menschen in Deutschland haben diesen Prozess nicht verfolgt, und deswegen staunen sie: darüber, dass der Ernst der Gefahr nun gerichtlich festgestellt wurde. Dass es also stimmt, was die Bundesanwaltschaft seit zwei Jahren erklärt hat: dass Deutschland einem großen Anschlag wie in London oder Madrid nie näher war als vor zwei Jahren in Köln. Dieses Erstaunen zeigt, wie sehr sich viele in Deutschland noch immer täuschen über das reale Ausmaß der Terrorgefahr. Die Erkenntnis, dass auch Berlin, München oder Frankfurt Ziel islamistischer Attentäter sein können, ist hier noch nicht angekommen - so sehr es der Innenminister oder die Generalbundesanwältin immer wieder betonen. [4]
- was von weiteren Beschwichtigungen nicht abgehalten hat, siehe oben.
Nun wurden die Geständnisse der Sauerlandgruppe veröffentlicht:
der Angeklagte Fritz Gelowicz (…) sagte aus, er habe Vorbereitungen für Sprengstoffattentate mit möglichst vielen Toten und Verletzten getroffen. (…) Die Umstände der Tatvorbereitungen gab der zum Islam konvertierte Gelowicz am Montag unumwunden zu: Ursprünglich habe er im Irak in den Heiligen Krieg ziehen wollen. Das sei jedoch nicht gelungen. Bei Ausbildungen in Terror-Camps in Pakistan habe er sich überzeugen lassen, dass es besser sei, Anschläge in Europa zu begehen. Der Chefausbilder der Gruppe, ein gewisser „Achmed“, habe argumentiert, dass ein Anschlag auf die Amerikaner im Ausland „mit viel weniger Aufwand viel größere Wirkung erzielt“. Das habe ihn überzeugt, sagte Gelowicz.
war auf FAZ.net zu lesen, [5]
Die Mitglieder der sogenannten Sauerland-Gruppe haben nach Angaben der Bundesanwaltschaft bestätigt, dass ihre geplanten Anschläge auf US-Soldaten gezielt hätten. Die Angeklagten hätten zugegeben, “dass es ihr Ziel war, möglichst viele amerikanische Soldaten zu töten”, sagte Bundesanwalt Volker Brinkmann vor Beginn des Prozesses gegen die vier Angeklagten vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf.
auf tagesschau.de [6]
und
Man sollte sich durch die ordentlichen Frisuren der Angeklagten und ihre Redseligkeit nicht täuschen lassen. Wären die »Sauerländer« nicht aufgehalten worden, durch die Festnahme oder durch ihre eigene Unfähigkeit, die Bomben »scharf« zu bekommen, sie hätten Anschläge verübt. Neben US-amerikanischen Einrichtungen in Deutschland standen die Parkdecks von »zwei oder drei Flughäfen« auf ihrer Liste potenzieller Ziele.
auf ZEIT.de [7]
Es zeigte sich, dass eine Warnung vor einer Terrorgefahr alles andere als lächerlich ist und Maßnahmen gegen sie unerlässlich sind. Zu einer Katastrophe ist es nur deshalb nicht gekommen, weil die angehenden Terroristen rechtzeitig gefasst werden konnten. Weil aber nicht sein kann was nicht sein darf im Prantl-Haus, muss auch das heruntergespielt werden. Nette Jungs sind das auf einmal. Alles nicht so schlimm. Die Berichterstattung des “Chefberichters” für die SZ, Hans Leyendecker, liest sich dementsprechend weniger sachlich als vielmehr wie ein spannender Agentenkrimi. Seinen sechsseitigen “Bericht” [8] nennt er deshalb wohl nicht ohne Grund in Anlehnung an ein Märchen
Viel und blumig wird da drumherum erzählt, z.B.
Die sorgfältig frisierten Brauen des Richters liegen wie graue Wolken über den Augen, immer bereit, im Aufwind von Ungeduld oder Ärger zu quellen und zu steigen.
was da hinter den drei Meter hohen Wänden aus Sicherheitsglas stattfindet, ist sehr ungewöhnlich: Es wird ausgepackt, gebeichtet und gestanden. “Pater peccavi” hießen solche Schuldbekenntnisse früher: “Vater, ich habe gesündigt”.
Normalerweise ist der Vorsitzende Richter so etwas wie die Super-Nanny der Strafsenate, die sich mit Staatsschutzdelikten beschäftigen.
521 Stehordner hatten die Ermittler vor Prozessbeginn zusammengetragen, jetzt sind 15Ordner dazugekommen. Breidling hat die Seiten am Ende gar nicht mehr gezählt.
Wer so eloquent erzählt, muss sich offensichtlich ja beim Kernthema nicht unbedingt so arg konkret fassen. Da genügt es, im Fließtext zu erwähnen
Eigentlich wollten also Gelowicz und ein paar Kumpel in den Irak, um gegen Amerikaner zu kämpfen.
irgendwo zwischen wichtigen Details wie
Während Gelowicz eifrig erzählt, schaut Bundesanwalt Volker Brinkmann, der Veteran der drei Ankläger, mit Genugtuung drein, und Richter Breidling befeuchtet den Finger, um eine Seite umzublättern.
oder
Immer war Breidling Herr des Verfahrens, aber manchmal war es schon sehr nervig.
erfährt man dann doch
Also, die Teilnahme am Dschihad in Tschetschenien wäre für ihn auch in Ordnung gewesen. Aber irgendwie hat das nicht geklappt. Dann ist er mit Yilmaz mit einem Billigflug nach Teheran geflogen, um sich von Schleusern weiterbringen zu lassen.
und
Die jungen Männer wollten in Afghanistan gegen Amerikaner kämpfen, und sie sind dann so ausgebildet worden, wie früher die Terroristen der RAF im Jemen. Waffenkunde: Wie hält man eine Kalaschnikow. Wie baut man Bomben, wie geht man mit Minen um.
Wenn die Erzählungen von Gelowicz richtig sind, haben sie eigentlich zunächst gar nicht an Ziele in Deutschland gedacht. Ein Ausbilder habe gesagt, es wäre doch sinnvoll, in Europa Anschläge auf Amerikaner zu verüben.
Alles in allem liest sich das, als hätte es sich um die Umsetzung eines Comic-Heftchens auf einem Abenteuerspielplatz handeln sollen. Im Grunde genommen alles recht ungefährlich und eher lächerlich.
Schlussfolgerungen wie auf ZEIT.de finden sich da nicht. Und für alle, die es immer noch nicht verstanden haben, schiebt Leyendecker noch einen Kommentar hinterher [9], in dem er betont
Im Rückblick wird klar, dass das Meiste was passierte, eher Zufall war. Kein roter Faden führt durch das Labyrinth dieser Verschwörung. Die potentiellen Attentäter hätten auch an irgendeiner Front in Tschetschenien oder Afghanistan landen können.
also ob es das harmloser machen würde. Sie seien
also tumb, spießig und hassten Amerikaner und alles, was amerikanisch ist.
So ist das. Nicht ganz so tragisch also. Na gut, ein bisschen schon, aber im Grunde kein Aufreger:
Diese Haltung ist zu verurteilen, aber wahr ist auch, dass die Bush-Regierung wenig ausgelassen hat, um den Wirrköpfen den entsprechenden Vorwand zu liefern.
Das potenzielle Opfer, wenn es überhaupt eines gegeben hätte, ist also - wieder einmal - selbst schuld. Wem diese Art der “Argumentation” bekannt vorkommt, der darf sich melden. Aber bitte bei Herrn Leyendecker.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/654/479148/text/
[2] http://www.rechtswoerterbuch.de/recht/a/abstrakte-gefaehrdungsdelikte/
[3] http://www.rechtswoerterbuch.de/recht/g/gefahr-abstrakte
[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/204/450920/text/
[5] http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~ECBEE1E2932634BD7B78DA2BDF41BF021~ATpl~Ecommon~Scontent.html
[6] http://www.tagesschau.de/inland/sauerlandprozess128.html
[7] http://www.zeit.de/2009/34/Sauerland-Prozess?page=2
[8] http://www.sueddeutsche.de/politik/243/483686/text/
[9] http://www.sueddeutsche.de/politik/380/483822/text/
1 Reaktion zu “Sauer(landgruppe) macht lustig”
In Deutschland gab es seit 2001 ca. 800 Tote, die an Fischgräten gestorben sind. Ca. 150.000 Menschen starben im Straßenverkehr. Aber kein einziger durch einen Terroranschlag. Selbst wenn die Kofferbomber erfolgreich gewesen wären, dürften sich die Relationen nur unwesentlich ändern.
Aber wird etwas gegen die konkreten Gefahren “Fischessen” und “Strassenverkehr” unternommen? Nein, denn es handelt sich um Risiken, mit denen die Bevölkerung gelernt hat zu leben.
Der Terrorismus wird dagegen benutzt, um die weitreichende Einschränkung von Freiheitsrechten zu rechtfertigen. Da kommen die Jungs aus dem Sauerland gerade recht. Es muss jedoch ernsthaft bezweifelt werden, ob diese Burschen in der Lage gewesen wären, tatsächlich Bomben zu bauen. Vor allem ohne Anleitung von interessierter Seite, z.b. dem BND.
Es gilt, wachsam zu sein. Aber nicht nur bezüglich der Terroristen, sondern auch und vor allen bezüglich den Personen, die uns vor Terroristen schützen wollen.