Two of a kind
18. August 2009 von Jaspis
Nicht erst seit dem durchaus lesenswerten Interview mit Thorsten Schmitz vom Juni 2007[1] dürfte auch den SZ-Lesern bekannt sein, dass die Hamas im Gaza-Streifen vielleicht “gewählt” sein mag. Mit Demokratie hat das aber nicht allzuviel zu tun. Ihre Macht erlangte sie mit Gewalt und sie erhält sie mit ihr.
Thorsten Schmitz: Mit ein Grund für die blutigen Kämpfe sind die völlig unterschiedlichen Gesellschaftskonzepte, die Hamas und Fatah verfolgen. Die 1987 gegründete Hamas kennt nichts anderes als den Kampf und die Opposition. Die Gruppe verfolgt die Zerstörung Israels und die Bildung eines islamistischen Gottestaates auch auf dem Gebiet des heutigen Israel.
Ihr Hauptquartier, der Gazastreifen, trägt bereits Züge dieses Gottestaates. Kinos wurden geschlossen, Internet-Cafés werden zerstört, Fernsehmoderatorinnen bedroht, die kein Kopftuch tragen. Die Fatah wiederum ist eine säkulare, das heißt weltlich orientierte Gruppe, die keine Berührungsängste gegenüber dem Westen hegt.
Aus dem blutigen Machtkampf mit der Fatah ging die Hamas bislang als Sieger hervor. Doch mit der von der Hamas geförderten Radikalisierung entstand nun eine andere Konkurrenz, eine, die nicht wie die Fatah, säkular oder weltlich orientiert wäre, sondern eine, die noch extremer ist als die Hamas selbst und damit eine noch größere Konkurrenz darstellte: Die radikalislamische Gruppe Dschund Ansar Allah. Am Freitagabend rief deren Führer Abdel Latif Mussa beim Freitagsgebet, umringt von schwerbewaffneten Mitgläubigen ein “islamisches Emirat” im Gaza-Streifen aus. Die Hamas schritt ein und lieferte sich mit Dschund Ansar Allah ein blutiges Gefecht, bei dem 28 Menschen getötet und über 150 verletzt wurden, darunter zahlreiche Zivilisten, auch Frauen und Kinder.
Aber während im Jahr 2007 auf sueddeutsche.de offenbar noch Klartext gesprochen werde durfte, sieht das im August 2009 schon ganz anders aus. Damals stellte Thorsten Schmitz noch fest:
In Israel ist man in der Regierung hin- und hergerissen, ob Vergeltungsschläge aus der Luft reichen oder ob die israelische Armee nicht doch wieder in den Gazastreifen einmarschieren soll. Israel hat kein Interesse an einer Wiederbesetzung des Gazastreifens, muss aber andererseits seine Bürger schützen.
Gefährlich sind die Kämpfe momentan nur für Israel, denn mit den innerpalästinensischen Kämpfen nehmen auch die Raketenangriffe auf Israel zu. Warum? Weil Hamas damit Israel zu Vergeltungsschlägen provozieren will, um sich dann als Opfer Israels zu präsentieren.
Als am 15.08. die Nachricht über das blutige Gefecht in Rafah über die Nachrichtenagenturen verbreitet wurde und z.B. spiegel-online schon relativ bald einen recht ausführlichen Bericht veröffentlichen konnte [2], übte man sich bei sueddeutsche.de in Zurückhaltung. Eine kleine Meldung tauchte in “Politik kompakt” auf [3]. Natürlich wie üblich nicht ohne Hinweise auf weitere Artikel zum Thema:
Diese erstaunen dann doch. Offensichtlich geht es gar nicht um Hamas und radikale Islamisten, nein, es geht um Israel und “Neue Vorwürfe gegen Israel” in Bezug auf den Gaza-Krieg. Bei dessen Berichterstattung im übrigen auch keine Schlagzeile fehlen durfte, wenn, was schlimm genug ist, ein Kind zum Opfer fiel. Das elfjährige Mädchen, das sich unter den Toten vom Freitagabend befindet, wird auf sueddeutsche.de nicht einmal erwähnt.
Einen Tag später, am 16.08. schickte sich dann Thorsten Schmitz an, um über den Vorfall zu berichten.[4] Eine Sekte ist es bei ihm, die da bekämpft wurde. Da ist, wenn auch nicht von dem getöteten Kind, so aber doch die Rede davon, dass die Organisation der Al Qaida nahestand. Die Aktion der Hamas wird durchaus nachvollziehbar.
Die Gruppe habe palästinensische Jugendliche im Gaza-Streifen mit “seltsamen Ideen” indoktriniert
Scheich Mussa hatte bei seinem Freitagsgebet in der Ibn-Tahmed-Moschee in Rafah die Herrschaft der Hamas kritisiert und überraschend ein “islamisches Emirat” im Gaza-Streifen ausgerufen. Der Scheich, der bis vor zwei Jahren eine Klinik für Allgemeinmedizin geführt und seit 2007 nur noch gegen Hamas agitiert hatte, hatte in seiner Rede die Einführung der islamischen Scharia-Rechtsprechung gefordert, die zum Teil drakonische Strafen wie das Abhacken der Hand bei Dieben und die Tötung von Ehebrechern vorsieht.
Man bekommt fast den Eindruck, als handle es sich bei diesen “seltsamen Ideen” von der Einführung der Scharia im Gaza-Streifen um etwas Neues, etwas, das die Hamas bekämpfen wolle. Hat Thorsten Schmitz denn schon völlig vergessen, was er selbst vor zwei Jahren festgestellt hat?
Die Gruppe verfolgt die Zerstörung Israels und die Bildung eines islamistischen Gottestaates auch auf dem Gebiet des heutigen Israel. Ihr Hauptquartier, der Gazastreifen, trägt bereits Züge dieses Gottestaates. Kinos wurden geschlossen, Internet-Cafés werden zerstört, Fernsehmoderatorinnen bedroht, die kein Kopftuch tragen.[1]
Worum es hier eigentlich geht, wird in zwei Nebensätzen deutlich:
Die Gruppe habe (…) gegen Hamas aufgehetzt.
Scheich Mussa hatte bei seinem Freitagsgebet in der Ibn-Tahmed-Moschee in Rafah die Herrschaft der Hamas kritisiert
Nicht um die Verhinderung eines Gottesstaates mit der Scharia geht es und auch nicht darum, Al Qaida zu bekämpfen. Es geht um nichts anderes als den Machterhalt der Hamas, die ihren Führungsanspruch nicht zum ersten Mal blutig und auf Kosten auch unbeteiligter Zivilisten, Frauen und Kinder, blutig durchgesetzt hat. Natürlich fehlt es auch hier nicht an Rechtfertigungsversuchen, die Thorsten Schmitz bei seiner Auswahl erwähnenswerter Details unkommentiert präsentiert:
Ein Hamas-Sprecher erklärte am Sonntag, die Sekte Mussas stehe in engem Kontakt mit den ehemaligen Sicherheitskräften der Fatah im Gaza-Streifen und sei auch von ihnen mit Waffen und Munition ausgestattet worden. Fatah unterstütze gemeinsam mit dem israelischen Geheimdienst die Sekte, um die Regierung der Hamas im Gaza-Streifen zu stürzen.
Die Fatah ist also Schuld. Und der Mossad. Na Gott sei Dank, dann ist die Welt ja wieder in Ordnung. Sollte jemand Zweifel an der Wirkung dieses Artikels haben, empfehle ich einen Blick auf die Kommentare, z.B.
Die Redaktion wird zufrieden sein.
Wir sind es nicht.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/596/354426/text/
[2] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,642988,00.html
[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/862/484300/text/
[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/906/484343/text/
2 Reaktionen zu “Two of a kind”
hm. schon mal was von automatisch generierten verweisen gehört? nein? mal nachlesen.
das ist eines der probleme, wenn jemand sich anschickt, an dingen kritik zu üben, von denen er nichts versteht. wenn einer von euch auch nur eine halbe stunde in irgendeiner online-redaktion in diesem land verbracht hätte und sich mal in ein online-redaktionssystem eingeloggt hätte, würde sich viel von dem, was ihr hier predigt, ohnehin erübrigen.
diese verweise, nur fürs protokoll, werden mit den automatischen algorhytmen nicht etwa so erstellt, dass jeder artikel DEN GLEICHEN INHALT hat, nein nein, es geht darum, dass es einfach zusätzliche geschichichten zum GLEICHEN THEMENKOMPLEX anbietet. es liegt sogar im sinn des systems, dass einzelthemen variiert werden. heißt die geschichte: russland ist gemein zu georgien, kann unten drunter durchaus “georgen ist gemein zu russland stehen”, ohne dass man gleich “MANIPULATION! GEORGIENFEINDLICHKEIT!” schreien muss.
gut, ihr seid keine journalisten, habt nie in einer redaktion gearbeitet, könnt das also gar nicht wissen. geschenkt. ihr könntet euch aber, ganz leicht, mit google und so, einfach mal einlesen, benutzerhandbücher von den gängigsten content-management-systemen (CMS) gibt es nämlich online.
ich wünsche euch frohes recherchieren.
und mir wieder mal ein paar nicht völlig an den haaren herbeigezogene themen. bzw könnt ihr das nächste mal dem amerikanischen hersteller der cms antisemitismus und antiamerikanismus unterstellen. das wäre mal innovativ - und, äh, berechtigt.
Sehr geehrter hpz,
danke für Ihren freundlich formulierten Hinweis. Dass die Verweise automatisch generiert sind, ist durchaus bekannt. Allerdings führen Computer kein Eigenleben. Sie suchen nach dem, was ihnen Menschen programmiert haben. Ebenso automatisch hätten auch folgende “Artikel zum Thema” gefunden werden können:
“Tote bei Kämpfen zwischen Hamas und Fatah”
“Hamas-Kämpfer stürmen Fatah-Hauptquartier”
“ARD: Kameramann wurde von Hamas gefoltert”
“Hamas gibt Fatah die Schuld am Bürgerkrieg”
Sie wurden es aber nicht.
Mit freundlichem Gruß
Jaspis