Honduras: Je kleiner und harmloser das Land, um so größer schwellen die Cojones in den Hosen seiner Kritiker.
30. Juni 2009 von moritatensaenger
Für das, was wir in unseren Gefilden als Rückgrat bezeichnen, hat man(n) in noch nicht ganz vom Gender Mainstreaming neutralisierten Gegenden das schöne Wort von den Cojones, den Eiern. Dort wird der Kerl im Manne noch immer gern ins Verhältnis zur Größe seiner Testosteron produzierenden Drüsen gesetzt. Große Cojones, echter Kerl, kleine Cojones, Pfeife.
Nachdem viele davor zurückschrecken, durch das auf den Tisch Legen der Tatsachen einen Beleg über die Größe ihrer Testikel abzuliefern, hat es sich eingebürgert, wenigstens durch einen möglichst “breitbeinigen Gang” Glauben zu machen, was man hofft nie offenlegen zu müssen.
Drohen brenzlige Situationen, die den tatsächlichen Beweis erfordern würden, wird bei vielen “echten Kerlen” aus dem maskulin breitbeinigen Staken in Windeseile ein geishahaftes Tribbeln. Sehr häufig kann man solche Verwandlungen in der Politik (und im Journalismus) beobachten. Dabei steht die breite des Ganges und damit die vom jeweiligen Träger behauptete Größe seiner Cojones im direkten Verhältnis zur Wehrlosigkeit seines Gegenübers.
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück etwa entwickelte -zusammen mit vielen anderen Politikern und Journalisten- im Umgang mit den sogenannten Steueroasen Schweiz und Liechtenstein einen Gang, der vermuten ließ, dass die Protagonisten mit Drüsen in der Dimension der Eier eines afrikanischen Straußes ausgestattet seien. Was nicht lange vor hielt. Ein schlagartiges Schrumpfen des Gemächtes auf Wachtelei-Größe, einhergehend mit dem unverzüglichen Übergang vom breitbeinigen Staksen zum verkniffenen Tribbeln (letzteres gerne umschrieben als “Dialog führen”), ließ sich bei derselben Klientel nämlich feststellen, als der aggressive, von religiösen Faschisten dominierte Iran seine Wahlen schönte und seine Bürger metzelte. In diesem Fall einigte man sich eilfertig darauf, sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines Staates einmischen zu wollen [2]. Im Übrigen ging und geht es dort ja auch nur um Menschenrechte, nicht um verlustige Steuergelder, was das Mut-Defizit im Engagement zusätzlich begründet.
Selbstverständlich ist derartiger Wandel unserer Leitbilder in Politik und Medien nicht zu verheimlichen und wird deshalb von nicht wenigen Seiten zunehmend kritisiert, was für die Kritisierten in etwa die Wirkung der Erkenntnis hat, stundenlang mit vergessen offenem Hosenlatz umherstolziert zu sein. Dummerweise genau in diese peinliche Situation platzt nun ein winziger südamerikanischer Staat mit der Einwohnerzahl Niedersachsens, der seinen zum Größenwahn tendierenden Staatschef vor die Tür gesetzt hat. “Dummerweise” deshalb, weil nun alle die, die eben noch unfreiwillig durch den offenen Reißverschluss einen Blick auf die mageren Tatsachen zugelassen hatten, sich um so mehr gezwungen sehen, mit jetzt besonders maskulinem Gang und forschem Ton den erlittenen Imageverlust auszugleichen.
Der südamerikanische Staat, den ich nannte, ist Honduras, und die auferstandenen Helden sind ungezählt und beginnen ganz oben, bei US-Präsident Obama, dem angesichts der nicht vorhandenen Atombomben, der nicht vorhandenen Terrorgefahr und nicht zuletzt der “gewaltigen” honduranischen Luftwaffe aus 5 altersschwachen Cessna A-37 Dragonfly [3] und 9 nicht wesentlich jüngeren Northrop F-5E/F Tiger II [4], dem also angesichts dieses Gegners plötzlich wieder einfällt, dass sich eine souverän-mutige Einmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates durchaus auch positiv verkaufen lässt:
“Präsident Barack Obama sprach von einem ‘illegalen’ Putsch, einem ’schrecklichen Präzedenzfall’, wenn er nicht rückgängig gemacht werde. Washington werde mit der Organisation Amerikanischer Staaten OAS und anderen zusammenarbeiten, um Zelaya wieder einzusetzen” [5]
Aber nicht nur ganz oben hat man seine Cojones wieder gefunden, auch die Süddeutsche hat ihren allverständnisvollen Ersatz-Scholl-Latour Chimelli in den einstweiligen Ruhestand versetzt und stattdessen den Wahl-Spanier Peter Burghardt als Ersten Meinungsinstallateur inthronisiert:
Und der beginnt sein Werk aus Verdrehungen und Halbwahrheiten auch gleich mit einem etwas seichten Witz:
Das Militär in Honduras entmachtet einen linken Präsidenten - aber nicht mal Amerika findet das gut.”
Zum besseren Verständnis: Der Witz ist, dass das Medien- und Polit-Amerika der Gegenwart selbst in allen denkbaren Schattierungen links ist, weshalb es mehr als logisch sein dürfte, dass es die Entmachtung eines Genossen “nicht gut” findet. Netter Versuch, Herr Burghardt, Sie gestatten aber hoffentlich, dass sich meine Heiterkeit bei diesem Scherz in Grenzen hält. Gleiches gilt angesichts des Oberwitzbolds und Berufsrevolutionärs Castro, der seinen seit März amtierenden Marionetten- außenminister Bruno Rodriguez tönen lässt
“I denounce the criminal, brutal character of this coup,” [6]
Die Kubaner, selbst an die Macht gekommen durch eine blutige Revolution, sich an der Macht haltend durch die nicht weniger blutige Unterdrückung des eigenen Volkes, beklagen den kriminellen, brutalen Charakter der Absetzung Zelayas (der vom Militär unversehrt in ein Flugzeug gesetzt und ins Exil geflogen wurde)!! Und der venezoelanische Volkssänger Hugo Chavez hat gar sein mit über 5 Milliarden Dollar aus russischen Waffen-Krediten/Lieferungen hochgerüstetes Militär in Alarmbereitschaft versetzt, um “notfalls” in den Konflikt einzugreifen. Wohlgemerkt durch Kolumbien, Panama, Costa Rica und Nicaragua von Honduras getrennt, aber irgendwie muss ja die günstige Gelegenheit genützt werden.
Zurück zu Peter Burghardt und der SZ. In seinem Kommentar schreibt Burghardt:
Die Entmachtung des gewählten Präsidenten Manuel Zelaya erinnert an finstere Zeiten und hat mit rechtsstaatlichen Prinzipien nichts zu tun. [...] Zum Nachfolger ernannte das Parlament kurzerhand seinen Vorsitzenden Roberto Micheletti. Der Vorwurf an Zelaya: Die für Sonntag geplante Volksbefragung über die Möglichkeit einer Verfassungsänderung und Wiederwahl wäre illegal gewesen. Also wurde er mit Gewalt ausgewechselt. Kann das wahr sein im Jahr 2009? Offenbar schon, aber solche Wildwestmethoden werden heutzutage zu Recht von keiner zivilisierten Regierung und Organisation mehr akzeptiert.”
Und schon stellt sich die Frage: Glaubt der Mann selbst an den Quatsch, den er hier zum Besten gibt?
Die “Entmachtung” hat selbstverständlich demokratischen wie rechtsstaatlichen Charakter, schließlich wurde sie von ausnahmslos allen Parteien des Kongresses getragen, einschließlich der, die den abgesetzten Präsidenten stellte. Letztere sind die Liberalen (Partido Liberal de Honduras: PLH), während sich das restliche zustimmende Parteienspektrum aufgliedert in die Nationalen (Partido Nacional de Honduras: PNH); die Sozialdemokraten (Partido Innovación y Unidad-Social Demócrata: PINU-SD); die Christsozialen (Partido Demócrata-Cristiano de Honduras: PDCH) und die Vereinigten Demokraten (Partido Unificación Democrática: PUD).
Der neue Interims-Präsident, Roberto Micheletti, ist darüber hinaus Mitglied der PLH, also der Partei, der Zelaya angehört. Geschickt lässt Peter Burghardt solche Fakten in seinem Drama -
Soldaten rissen Zelaya mit vorgehaltenen Maschinengewehren aus dem Schlaf, zerrten ihn aus seiner Residenz und entführten ihn im Pyjama nach Costa Rica.”
- untergehen, handelt den Umstand, dass es u.a. das Parlament Honduras’ war, das agierte, und nicht irgendein wildgewordener Putschist, in einem Satzfragment ab:
Zum Nachfolger ernannte das Parlament kurzerhand seinen Vorsitzenden Roberto Micheletti.”
Und er lässt, in für einen ernsthaften Journalisten unverständlicher Weise, unerwähnt, dass das Militär, das Zelaya aus seiner Residenz beförderte, vom Supreme Court, dem Obersten Gericht Honduras’, mit der praktischen Durchführung der Absetzung beauftragt wurde.
“Today’s events originate from a court order by a competent judge. The armed forces, in charge of supporting the constitution, acted to defend the state of law and have been forced to apply legal dispositions against those who have expressed themselves publicly and acted against the dispositions of the basic law” [8]
Seine gekünstelte Empörung -
Allerdings hat niemand das Recht, wie nun in Honduras mit einem Militärkommando den legitimen Präsidenten aus dem Land zu werfen und im Handstreich Ersatz zu bestimmen.”
- geht also völlig an den Fakten vorbei. Das gilt auch für seine, von tendenziösen Andeutungen durchsetzte Verharmlosung -
Nicht nur rechten Kreisen aus Armee, Parlament, Unternehmen und Medien eines traditionell konservativen Landes missfiel Zelayas Versuch, die Regeln zu ändern.”
Denn es waren nicht einfach nur “Regeln”, die Zelaya ändern wollte, es war die Verfassung Honduras’, die er für seine persönlichen Machtansprüche brechen wollte.
“Hintergrund ist die Weigerung der Armee, die Regierung bei der Organisation einer landesweiten Befragung zu unterstützen, die an diesem Sonntag stattfinden sollte. Das von der Regierung als Befragung bezeichnete und in Honduras durchaus umstrittene Referendum zielte darauf ab, den Weg für eine verfassungsgebende Versammlung im Rahmen der Präsidentschaftswahlen im kommenden November in Form einer vierten Wahlurne samt Wiederwahl des Präsidenten freizumachen und Honduras somit näher an das Projekt des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez zu binden. Endgültiger Auslöser für das Eingreifen der Streitkräfte sorgte laut Aussagen hochrangiger Beamter in der Hauptstadt Tegucigalpa ein in der Nacht auf den Sonntag erlassenes Präsidialdekret mithilfe dessen die Essenz der Befragung verändert und das Ergebnis bereits als Zustimmung oder Ablehnung für eine einzuberufenden verfassungsgebenden Versammlung gewertet werden würde. Damit wären die für November angesetzten Präsidentschaftswahlen eindeutig in Gefahr gewesen.” [9]
Ein Referendum durchzuführen, wie es in der Verfassung nicht vorgesehen ist; das Militär dazu zu benutzen, wie es in der Verfassung nicht vorgesehen ist; mit dem Ziel, seine Regierungszeit über die festgeschrieben Amtszeit hinaus nach persönlichem Belieben zu verlängern, wie es von den Vätern und Müttern der Verfassung nie vorgesehen war: darin lag die Ursache des Konflikts.
Burghardt sollte sich also entscheiden, wofür er steht: Entweder er bejaht die verfassungsmäßige Ordnung in dem lateinamerikanischen Staat, dann muss er seine Kritik in Richtung Zelaya um-adressieren, oder er stellt sich an die Seite Zelayas, dann sollte er aber sein Moralisieren über Recht und Ordnung und Verfassung einstellen und bekennen, dass seine lückenhaften, pseudojournalistischen Bemühungen nicht Ausdruck von Sorge um Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie in Honduras -geschweige den Lateinamerika- sind, sondern Sorge um die Fortsetzung des allgemeinen antidemokratischen Linksschwenks dort.
Zum Schluss sei ihm und den anderen aufrechten Empörten in Politik und Medien in Erinnerung gerufen, dass die Cojones lediglich gefühlt aber nie real größer werden, nur weil man einen schwächeren Gegner gefunden hat, an dem man sich delektieren kann.
Update:
Es geht auch anders, wie zwei Artikel in der ZEIT zeigen
“Der spektakuläre Militärputsch in Honduras weckte in Mittel- und Südamerika Erinnerungen an dunkelste Epochen in der Region. Brutale Militärdiktaturen kontrollierten im 20. Jahrhundert fast ganz Lateinamerika. Gleichzeitig ist der Putsch in Honduras aber auch eine Warnung an die links geführten Regierungen des Kontinents, dass sich der Wille zum Machterhalt auf Ewigkeit nicht überall so rücksichtslos durchsetzen lässt.
Honduras ging den mittlerweile typischen lateinamerikanischen Weg: Wie in Venezuela, Ecuador oder Bolivien wollte auch Präsident Manuel Zelaya nicht akzeptieren, dass seine Macht endlich ist. Auch er wählte den mittlerweile klassischen Weg des “Sozialismus des 21. Jahrhunderts”, den Vordenker Chavez in Caracas so gerne propagiert. Darin ist kein Platz für ein Abdanken vom Altar der Macht. In Honduras hätte sich Zelaya ohne Verfassungsänderung beim nächsten Urnengang im November nicht mehr zur Wiederwahl stellen dürfen. Doch was in anderen sozialistischen Ländern bislang trotz erbitternden Widerstands der Opposition funktionierte, sollte in Honduras am Gegenwind der verfassungsgebenden Organe scheitern.
Die Eskalation des Streits zwischen Manuel Zelaya und den Militärs sowie der Justiz hatte sich bereits vor Tagen angedeutet. Zelaya entließ die Militärführung und den Verteidigungsminister, weil diese sich weigerten das umstrittene Referendum über eine Verfassungsänderung mitzutragen. Als sich auch noch der oberste Gerichtshof gegen Zelaya stellte, wurde offensichtlich, dass der Präsident nicht mehr die Kontrolle über den staatlichen Machtapparat hatte.”
http://www.zeit.de/online/2009/27/honduras-putsch
“Im Ringen um die Macht in Honduras hatte das Militär den Präsidenten am frühen Sonntagmorgen verhaftet und nach Costa Rica ausgeflogen. Das oberste Gericht des Landes erklärte, die Richter hätten die Armee zum Sturz Zelayas angewiesen, da dieser rechtswidrig eine zweite Amtszeit angestrebt habe. Unterdessen legte eine in der vergangenen Woche eingesetzte Kommission des Kongresses einen Bericht über die Tätigkeit von Präsident Zelaya vor. Das berichtete die Zeitung El Heraldo.
Demnach habe dieser seinerseits vorgehabt, unmittelbar nach dem von ihm am Sonntag geplanten Referendum das Parlament aufzulösen. Das Referendum war ihm vom Kongress und dem Obersten Gericht untersagt worden. Aus diesem Grund seien die demokratischen Institutionen dem Präsidenten zuvorgekommen und hätten ihn entmachtet. Er habe sich in zahlreichen Fällen über die Gesetze und Bestimmungen der Verfassung hinweggesetzt.”
http://www.zeit.de/online/2009/27/honduras-putsch-proteste
Mit tönendem Gruß
Ihr Moritatensaenger
[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,613682,00.html
[2] http://www.ksta.de/html/artikel/1244612075885.shtml
[3] http://en.wikipedia.org/wiki/Cessna_A-37_Dragonfly
[4] http://en.wikipedia.org/wiki/Northrop_F-5
[5] http://www.dw-world.de/dw/function/0,,12356_cid_4442949,00.html?maca=de-de_na-2225-xml-atom
[6] http://www.reuters.com/article/latestCrisis/idUSN28348369
[9] http://www.kas.de/proj/home/pub/55/1/-/dokument_id-16948/
2 Reaktionen zu “Honduras: Je kleiner und harmloser das Land, um so größer schwellen die Cojones in den Hosen seiner Kritiker.”
Kann es sein, dass wir es hier mit einem anonymen SZ-Watchblog zu tun haben, dessen Macher die SZ nicht einmal lesen? Es gibt hier keinen Beitrag, der sich auf einen Artikel bezieht, der nur in der SZ stand. Hier geht es nur um Texte, die auf sz-online erschienen sind. Viele davon natürlich auch in der Zeitung, aber dennoch: Irgendwie ist das doch ziemlich schwach, hier ständig von der SZ zu reden und sie nicht einmal zu lesen.
endlich mal ein Artikel, der sich nicht wie unsere Massenmedien effekthascherisch, oberflächlich und klischeebehaftet über einen solchen Fall äussert.
Die Arroganz und Falschheit der heutigen Medien wird heutzutage aus einer sehr bequemen Position herausgepoltert.
Schliesslich wissen die wenigsten, wo sich solch ein Konflikt austrägt, sondern nur, daß er uns nicht im wenigsten tangiert. Demzufolge ist das lokale Interesse so niedrig, sich ernsthaft mit dem Fall auseinanderzusetzen. Ihr Titel passt deswegen wie die Faust auf’s Auge!
Ein hollywoodreifer, angeblicher Militärputsch in einer Bananenrepublik lässt sich natürlich viel besser verkaufen und passt viel besser in unser Weltbild, ausserdem tut es ja ganz gut, sich mal Lehrerhaft aufzuspielen…
Grüsse