WatchShot#35: “Gezielte Eskalation”
27. Februar 2013 von Jaspis
26. Februar 2013, 10:39. Süddeutsche.de berichtet[1] über eine Rakete aus Gaza, die in Israel, südlich der Stadt Ashkelon eingeschlagen ist, glücklicherweise ohne menschliche Opfer. Abgefeuert natürlich nicht von Terroristen, die gibt es ja da nicht, sondern von “militanten Palästinensern”. Dennoch fast erstaunlich, dieser Bericht. Sind wir doch sonst gewohnt, dass derlei Terroranschläge ganz ignoriert werden. Und tatsächlich: Die Rechtfertigung darf natürlich nicht fehlen:
Der neue Angriff auf Israel sei mit dem Tod eines Palästinensers in israelischer Haft begründet worden
Es handelt sich um den 30jährigen Arafat Dscharadat, der am 19. Februar verhaftet wurde, weil er mutmaßlich Steine geworfen hatte. Fünf Tage später starb Arafat Dscharadat in israelischer Haft. Doch so tragisch kann ein Todesfall gar nicht sein, dass er nicht dennoch weidlich ausgeschlachtet wird für Propagandazwecke.
[2]
Die Palästinensische Autonomiebehörde war zwar nicht dabei, sie weiß aber ganz genau: Arafat Dscharadat wurde zu Tode gefoltert. Dass das nicht zu den Erkenntnissen passt, die die Autopsie ergeben hat - einerlei. Die Stellungnahme des israelischen Gesundheitsministeriums wird schlicht ignoriert. Doch die lautet:[3]
An diesem Nachmittag (Sonntag, 24. Februar 2013) wurde am Nationalen Zentrum für Forensische Medizin von Prof. Yehuda Hiss in Anwesenheit von Prof. Arnon Afek, dem Direktor der Gesundheitsverwaltung am Gesundheitsministerium, und des palästinensischen Pathologen Dr. Saber Aloul eine Autopsie am Leichnam Arafat Dscharadats vorgenommen.
Bei der Autopsie wurden keine Anzeichen externer Traumata gefunden, außer solchen, die von der Wiederbelebung [den Versuchen zur Wiederbelebung] herrührten und einer kleinen Schürfwunde an seiner rechten Brust. Die Autopsie ergab keinen Hinweis auf eine Krankheit. Zwei Blutergüsse wurden festgestellt, einer an der Schulter und ein weiterer an der rechten Seite der Brust. Zwei Rippen waren gebrochen, was auf Wiederbelebungsversuche hinweist. Die Ergebnisse weisen auf keine eindeutige Todesursache hin. Solange die Ergebnisse der mikroskopischen und toxikologischen Untersuchungen nicht vorliegen, kann die Todesursache nicht festgestellt werden.
Doch das braucht Abbas nicht zu interessieren. Eine bessere Gelegenheit hätte sich kaum bieten können. Der Journalist und Publizist Dan Margalit äußerte sich in seinem Kommentar[4]
Die Stellungnahme der PA verfügt über keine medizinische Autorität, doch sie hat großes politisches Gewicht und bedeutet, dass Mahmud Abbas beschlossen hat, die Tragödie für einen politischen Angriff auszunutzen. Das ist sein gutes Recht, doch der palästinensische Schritt bedeutet, dass Ramallah sich von seiner erklärten Position der Kooperation mit Israel entfernt. Es heizt die Kontroverse absichtlich an.
Es ist wahrscheinlich, dass Abbas kein Interesse an einer erneuten Intifada hat. Nicht an einer Intifada, aber er ist allem Anschein nach daran interessiert, vor dem Besuch Barack Obamas am 20. März die Spannung ein wenig zu erhöhen. Abbas hat sich damit entschlossen, den Tiger zu reiten und kann leicht die Gewalt über ihn verlieren. Es gibt Kräfte in der PA, die daran interessiert sind, die Gewalt wieder anzuheizen, und sie werden dabei von Hamas-Anhängern im Westjordanland unterstützt. Außerdem enden Vorfälle mit vielen Opfern auf beiden Seiten in der Regel mit einer Eskalation, an deren Ende schließlich eine Intifada steht.
Doch damit die geschulten SZ-Leser nicht womöglich auf den gleichen Gedanken kommen könnten, dass es Abbas sein könnte, der hier Öl ins Feuer gießt, sprang Peter Münch in Position. Auch er greift die drohende Eskalation auf:[5]
Denn der Tod des Familienvaters in israelischer Haft könnte ein weiterer Funken sein, der die Flammen hochsteigen lässt in den besetzten palästinensischen Gebieten. So brenzlig wie derzeit war die Lage tatsächlich schon sehr lange nicht mehr - und ausgerechnet vor dem mit großer Hoffnung erwarteten Besuch von US-Präsident Barack Obama in der Region am 20. März wird nun sogar wieder vor einer dritten Intifada gewarnt.
Doch wird bei München nur zu schnell klar, auf wen der Zeiger deutet:
Arafat Dscharadat war vor einer Woche verhaftet worden. Er soll Steine geworfen haben, ein Routinefall. Am Samstag aber ist er, vermutlich nach intensiven Verhören durch den Geheimdienst Schin Bet, plötzlich verstorben. Aus dem Gefängnis in Megiddo wurde sogleich ein Herzstillstand als Todesursache gemeldet. Doch nach einer ersten Obduktion eilte der palästinensische Minister für Gefangenenfragen in Ramallah vor die Presse. Rippenbrüche und Blutergüsse waren festgestellt worden. Aber während die Israelis dies auf die Wiederbelebungsmaßnahmen schoben, erhob Issa Karaka öffentlich schwerwiegende Vorwürfe: Von “Folter” sprach er und von einem ”Kriegsverbrechen.” [Hervorhebungen: Jaspis]
“vermutlich nach intensiven Verhören durch den Geheimdienst Schin Bet”, Version Münch, nicht anwesend, konkretisiert durch Issa Karakas, ebenfalls nicht anwesend, Vorwürfen “Folter” und “Kriegsverbrechen” und: die Israelis “schoben” die Verletzungen auf die Wiederbelebungsmaßnahmen
vs.
“Zwei Blutergüsse wurden festgestellt, einer an der Schulter und ein weiterer an der rechten Seite der Brust. Zwei Rippen waren gebrochen, was auf Wiederbelebungsversuche hinweist.” (Stellungnahme des Gesundheitsministeriums)
Schon mit seiner Wortwahl macht Münch klar, wem der Leser zu glauben hat: Den Mutmaßungen der PA und niemand anderem.
Nach dieser ebenso klaren wie einseitig-unfundierten Schuldzuweisung verkommen die Befürchtungen, die Münch in Bezug auf ein erneutes Aufflammen der Gewalt aus den Palästinensergebieten äußert, zur puren Heuchelei. “Gezielte Eskalation” nennt er seinen Artikel. Zu Recht.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/nahost-konflikt-rakete-aus-gaza-schlaegt-in-israel-ein-1.1609892
[2] http://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-4348894,00.html
[3] http://embassies.gov.il/berlin/NewsAndEvents/Pages/Das-Gesundheitsministerium-zum-Tod-von-Arafat-Dscharadat.aspx
[4] http://embassies.gov.il/berlin/NewsAndEvents/Kommentare/Pages/Abbas-heizt-die-Situation-absichtlich-an.aspx
[5] http://www.sueddeutsche.de/politik/konflikt-im-westjordanland-gezielte-eskalation-1.1609921