Wozu recherchieren, wenn man auch abschreiben kann?
20. Februar 2013 von Jaspis
Fast hätte ich diesen Artikel gar nicht bemerkt. Denn um ehrlich zu sein, finde ich Boulevard-Klatsch über Promis und Royals in etwa so interessant wie … aber lassen wir das.
Doch bin ich an dem Header auf der Süddeutsche.de-Startseite hängengeblieben:
Eine Frau als “königliche Gebärmaschine” zu bezeichnen, ist bei der SZ “Kritik”?? Nun ist es ja nicht so, dass wir von unserem Hausblatt nicht schon allerhand gewohnt sind, was die Interpretation des Begriffs “Kritik” anbelangt. Doch waren derartige Entgleisungen bislang eher bei der so genannten Israel-“Kritik” zu finden. Also habe ich mir den Artikel angesehen.[1]
Sie sei eine emotionslose Marionette und Schaufensterpuppe: Die Kritik, die Herzogin Catherine momentan einstecken muss, ist harsch. (…) Jetzt ist die Aufregung im Königreich erneut groß - diesmal wegen eines harten Verbalangriffs der Autorin Hilary Mantel gegen die Herzogin.
Mantels Kritik geht weit über die modischen Empfehlungen Westwoods hinaus: Sie verurteilt die Rolle der Frau in der Monarchie. Diese würde nur auf ihre “königliche Vagina” reduziert. Die Herzogin von Cambridge sei lediglich eine Schaufensterpuppe, deren eigentlicher Zweck das Gebären eines Thronfolgers ist.
Der SZ-Artikel endet mit
Mantel selbst fühlt sich missverstanden: Ihre Worte seien nicht als Kritik, sondern “mitfühlend” gedacht gewesen.
Kein Zweifel: Frau Mantel, die britische Autorin, muss von Sinnen sein.
Wer das genauer nachlesen möchte, hat jedoch Pech gehabt: Den Link zu Hilary Mantels Rede, aus der diese “harten Verbalangriffe” stammen, hat die SZ nicht zur Hand. Erst ein Leserkommentar hilft weiter:
Erst mit diesem Link gelangt man zu dem Text der über einstündigen Rede.[2] Darin ist etwa zu lesen
In those days she was a shop-window mannequin, with no personality of her own, entirely defined by what she wore. These days she is a mother-to-be, and draped in another set of threadbare attributions. Once she gets over being sick, the press will find that she is radiant. They will find that this young woman’s life until now was nothing, her only point and purpose being to give birth.
Das ist keine “Kritik” an Herzogin Kate, das ist eine Kritik an den Medien, die in der Herzogin nichts anderes sehen als eine Modepuppe.
BBC News devoted a discussion to whether a pregnant woman could safely put on a turn of speed while wearing high heels. It is sad to think that intelligent people could devote themselves to this topic with earnest furrowings of the brow, but that’s what discourse about royals comes to: a compulsion to comment, a discourse empty of content, mouthed rather than spoken.
Ja, das ist harsche Kritik. Aber nicht an Kate.
Weiter lässt sich Mantel über das Verhältnis zu den Royals aus, vergleicht sie gar mit Pandas: Ein bisschen teuer zwar, aber so nett anzuschauen. In weiteren, sehr umfangreichen Ausführungen führt Mantel das eigentliche Thema aus, das in der Frage mündet:
Is monarchy a suitable institution for a grown-up nation?
Das ist es, was Hilary Mantel gerne diskutiert hätte, und nicht das inhaltsleere Blabla der BBC oder die Ergüsse der Presse über das jeweilige Outfit der Royals. Dass das der Presse wehtut und sie sich lieber auf die angeblichen Angriffe auf Herzogin Kate gestürzt hat, ist verständlich: Durch Kritikfähigkeit hat sich gerade die Boulevardpresse noch selten profiliert.
Nachdem sich nun also der britische Boulevard fürchterlich über Hilary Mantel echauffiert hat, tat es der deutsche ihm gleich. Die Süddeutsche zum Beispiel, oder auch der Stern[3]
Doch anders als die SZ-Redakteure hat es Stern-Schreiberin Julia Kepenek geschafft, die Rede Hilary Mantels zu lesen und stellt in einem weiteren Artikel richtig:[4]
Sogar der britische Premierminister David Cameron - zurzeit auf Auslandsreise in Indien - kommentierte die Vorfälle. Mantels Äußerungen seien “”unangebracht und falsch”, sagte Cameron der BBC. Gleichzeitig musste er einräumen, dass er nicht die Zeit gehabt habe, Mantels komplette Rede zu lesen. Ein Fehler.
Denn das Ziel von Mantels Kritik war nicht Kate Middleton. Nein, die Schriftstellerin nahm sich die britischen Medien zur Brust. Sie seien es, die die 31-Jährige auf ihr Äußeres und ihre Rolle als Mutter des zukünftigen Thronfolgers reduzierten. Die Berichterstattung von Boulevardblättern wie “Daily Mail” oder “Sun” beschränke sich oft auf die Kleiderwahl, die Frisur und den Gesichtsausdruck der Herzogin. Unvergessen bleibt ein altes Fotos von Kate Middleton, auf dem die damalige Studentin leicht bekleidet bei einer Modenschau ihrer Universität zu sehen war. Es gibt wohl kaum eine britische Zeitung, die dieses Foto nicht abgedruckt hat. Die zukünftige Königin von England wurde zum royalen Bikinigirl. Schwer vorstellbar, dass solche Bilder in einer anderen europäischen Monarchie veröffentlicht würden. Und es war nicht Mantel, die Kate auf eine “Gebärmaschine” reduzierte. Nein, es waren die britischen Medien. Seit ihrer Hochzeit mit Prinz William im April 2011 starrte ganz Großbritannien auf Kates Bauch. Immer in der Hoffnung, dass sich endlich eine Wölbung abzeichnen würde. Nun ist Kate schwanger. Die Berichterstattung ist deshalb nicht abgeebbt. Im Gegenteil. Die Herzogin steht mehr denn je im Fokus des Interesses.
Peinlich, dass die SZ lieber den Boulevard-Klatsch ungeprüft übernimmt, als sich selbst zu informieren, was so leicht möglich gewesen wäre. Peinlich. Aber nicht besonders verwunderlich.
Jaspis
[1] http://www.sueddeutsche.de/panorama/kritik-an-herzogin-kate-nur-eine-koenigliche-gebaermaschine-1.1604929
[2] http://www.lrb.co.uk/v35/n04/hilary-mantel/royal-bodies
[3] http://www.stern.de/lifestyle/leute/autorin-hilary-mantel-britin-nennt-kate-schaufensterpuppe-1973579.html
[4] http://www.stern.de/lifestyle/leute/autorin-hilary-mantel-wie-kate-middleton-zur-schaufensterpuppe-wurde-1973991.html